Private Equity im Gesundheitswesen „Medizin ist für Finanzinvestoren ein Mittel, um Gewinne zu machen“

Quelle: imago images

Hinter immer mehr Augenkliniken stecken internationale Finanzinvestoren. Besonders beliebt sind dort lukrative Operationen, etwa am Grauen Star. Schlecht vergütete Behandlungen von schielenden Kindern werden dafür gern in die nächste öffentliche Klinik abgeschoben – sagt der Regensburger Augenarzt Horst Helbig.    

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WirtschaftsWoche: Herr Professor Helbig, Sie arbeiten als Augenarzt am Universitätsklinikum Regensburg. Wie denken Sie über Ihre Kollegen in den von  Investoren geführten Augenarztpraxen?
Horst Helbig: Die Kollegen, die an Investoren-geführten Augenarztpraxen angestellt sind, machen genauso gute und ehrliche Arbeit wie selbständige Kollegen, aber sie sind weniger frei in ihren Entscheidungen und ihren Schwerpunkten. Ihr Arbeitgeber will primär Gewinne machen und so entstehen Vorgaben, sich auf lukrative Leistungen zu konzentrieren.

Zum Beispiel?
Besonders beliebt sind da unkomplizierte Operationen am Grauen Star oder Medikamenten-Eingaben in das Auge, weil das Geld bringt. Die schlecht vergütete Behandlung von Notfällen wie Verletzungen und Netzhautablösungen oder eine Schieloperation bei einem Kind wird dagegen gleich in die nächste, völlig überlastete Klinik überwiesen. Am Uniklinikum Regensburg leisten wir uns noch eine Abteilung mit vier Ärzten, die schielende Kinder behandelt. Die ist weit davon entfernt, kostendeckend zu sein. Wenn wir es nicht machen, macht solche Behandlungen kaum einer. Fairerweise muss man sagen, dass es auch einige wenige kommerzielle Anbieter gibt, die sich der schielenden Kinder und anderer defizitärer Behandlungen annehmen. Aber grundsätzlich gilt: Medizin ist für Finanzinvestoren nur ein Mittel, um Gewinne zu machen.   



Das heißt, die kommerziellen Anbieter steuern ihre Praxen nach den Gewinnaussichten für die jeweiligen Behandlungen?
Natürlich, das ist ja auch die Aufgabe eines Finanzinvestors, der sich seinen Geldgebern gegenüber verantworten muss. Versuchen Sie doch mal, etwa einen Termin für eine normale Augenuntersuchung zu bekommen. Da warten Sie in einigen Regionen viele Monate. Falls Sie jedoch eine kosmetische Behandlung am Auge wünschen, geht das bei vielen kommerziellen Anbietern deutlich schneller. Ist ja auch lukrativer. Das zeigt, dass es eine Steuerung nach Gewinn gibt.

Worüber ärgern Sie sich noch bei den von Investoren geführten Kliniken?
Sie sparen sich oft die Kosten für die Aus- und Weiterbildung von Fachärzten und Operateuren. Das überlassen sie dann gerne öffentlichen Kliniken. Dabei ist das Training sehr wichtig. Ein Operateur, der gerade anfängt, braucht in der Regel doppelt so lange wie ein erfahrener Kollege. Die kommerziellen Anbieter warten dann gerne ab, bis die Kolleginnen und Kollegen gut ausgebildet sind, und werben sie dann ab. Sie haben ja ganz andere finanzielle Möglichkeiten als öffentliche Träger und verlangen keine Arbeit nachts oder am Wochenende.

Finanzinvestoren kaufen Kliniken und Praxen. Sie drücken die Kosten, verordnen teure Therapien – und optimieren doch das Gesundheitssystem.
von Jürgen Salz, Angela Maier

Gibt es auch etwas Positives an den kommerziellen Anbietern?
Positiv ist, dass die Investoren Geld für eine moderne Infrastruktur ins Gesundheitssystem stecken. Geld, das der Staat nicht mehr aufbringen will. Die Länder vernachlässigen etwa seit Jahren die Krankenhaus-Finanzierung. Ich sehe auch, dass ohne Finanzinvestoren viele Arztpraxen wohl schließen müssten. Auch unter den Ärzten gehen die Babyboomer in den kommenden Jahren in Rente. Und junge Ärzte wollen oft nicht mehr viele Jahre lang die Kredite für die teuren Apparaturen abbezahlen. Die zweistelligen Millionenbeträge, die nötig sind, um einen Praxisverbund zu übernehmen, bringen nur noch Finanzinvestoren auf. Ohne sie geht es also nicht, eine Patentlösung gibt es nicht.   

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