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Ökonom aus Amtzell: „Auch kleine Kliniken können gute Medizin machen“

Amtzell / Lesedauer: 5 min

Die Firma BinDoc hat berechnet, welche Klinik nach einer Reform welche Behandlungen anbieten würde. Was das für Patienten bedeutet, erklärt der Ökonom Maximilian Schmid.
Veröffentlicht:04.08.2023, 18:30

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Die Firma BinDoc aus Tübingen hat im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums berechnet, welche Klinik nach einer Krankenhaus–Reform welche Operationen und Behandlungen anbieten würde. Was das für Patienten bedeutet, erklärt Maximilian Schmid. Der Ökonom aus Amtzell ist einer der Geschäftsführer von BinDoc und Projektleiter zur Folgenabschätzung der Krankenhausreform.

Was genau hat BinDoc getan?

Vereinfacht gesagt war Folgendes das Ziel: Wir sind damit beauftragt herauszufinden, welches Krankenhaus welche Behandlungen oder Operationen anbietet und in welcher Höhe und Leistungsgruppe sie das tut. Denn es gibt keine deutschlandweit einheitlichen Standards dazu, was eine Klinik innerhalb von Fachabteilungen leisten kann.

Ein Krankenhaus in Düsseldorf kann zum Beispiel in der Inneren Medizin vor allem Herzerkrankungen behandeln, eines in Nürnberg kann in derselben Fachabteilung eher auf Krankheiten der Atmungssysteme spezialisiert sein. Wir haben den Auftrag, vier Simulationen durchzuführen, zwei haben wir bereits erstellt und diese Bund und Ländern präsentiert.

Maximilian Schmid von Bindoc.
Maximilian Schmid von Bindoc. (Foto: Bindoc)

Warum ist es wichtig, das so genau zu wissen?

Damit alle Kliniken vergleichbar werden. Dazu hat man ein Modell aus Nordrhein–Westfalen als Grundlage genutzt. Dieses ordnet Krankheitsbilder und dazugehörige Behandlungsverfahren jeweils Leistungsgruppen zu. Das ermöglicht einen transparenten Überblick darüber, welches Krankenhaus welche dieser Leistungsgruppen abdeckt und welche Geräte beziehungsweise welche Ärzte und welches Pflegepersonal eine Klinik dazu vorhält.

Welche Vorgaben gab es aus dem Ministerium, wurde eine Zahl von Kliniken vorgegeben?

Nein, generell fand jedes somatische Krankenhaus in Deutschland Berücksichtigung in unseren Analysen. Wir haben nicht konzeptionell gearbeitet, sondern als neutrale Gutachter auf Grundlage bestimmter Prämissen Szenarien zur zukünftigen Versorgungslandschaft simuliert und die Krankenhausstandorte in Deutschland nach diesen Vorgaben in vorläufige Versorgungsstufen eingeteilt. Diese Prämissen kamen von der Expertenkommission, die das Bundesgesundheitsministerium einberufen hat und dem Ministerium selbst.

Klar ist: Die Regierungskommission des Ministeriums ist kein demokratisch gewähltes Gremium, dennoch haben seine Vorschläge großen Einfluss auf den nun folgenden Gesetzgebungsprozess. Vorgegeben waren die Leistungsgruppen — also die Zuordnung bestimmter Behandlungen zu einem Fachbereich. Vorgegeben war auch, welche Strukturvoraussetzungen eine Klinik haben muss, um künftig bestimmte Leistungen weiterhin anbieten zu können.

Wenn ich als Patientin wissen will, was aus meiner Klinik wird — kann ich das irgendwo ablesen?

Zunächst einmal ging es darum zu erfassen, welche Klinik welche Leistungen anbietet und ob sie die Strukturvoraussetzungen dafür erfüllt. Das sind sozusagen die Mindestanforderungen, die eine Klinik haben muss, um nach Vorstellungen des Bundesgesundheitsministeriums bestimmte Behandlungen in dafür vorgesehen Qualität erbringen zu können.

Also etwa, welche medizinischen Geräte sie hat und welches Personal. Eine abschließende Abschätzung steht noch aus, bis politisch die entsprechenden Entscheidungen zwischen Bund und Ländern getroffen sind und wir auf deren Grundlage weiterarbeiten können. Für endgültige Aussagen fehlen noch wesentliche Entscheidungen der Politik.

Viele Menschen haben Angst, dass sie künftig kein Krankenhaus in erreichbarer Nähe finden.

Selbst wenn ein Krankenhaus bestimmte Voraussetzungen nicht erfüllt, heißt das nicht zwangsläufig, dass es schließt. Jedes Bundesland hat die Möglichkeit, Kliniken und ihre Angebote zu erhalten, wenn eine Bedarfsnotwendigkeit für eine Region angezeigt ist und die hierfür vorgesehenen Leistungserbringer für eine flächendeckende medizinische Grundversorgung notwendig sind.

Wonach entscheidet sich, ob ein Land eine Ausnahmegenehmigung erteilen kann?

Im nächsten Schritt soll hierzu berechnet werden, wie hoch der Versorgungsbedarf einzelner Regionen ist und ob unter den nun beschlossenen Voraussetzungen unterversorgte Regionen vor dem Hintergrund der Erreichbarkeit resultieren könnten. Es geht um die Frage, wie gut und schnell Bürger ein Krankenhaus zum Beispiel mit Geburtshilfe oder Schlaganfall–Einheit erreichen.

Dazu gibt es sehr valide Daten zu Fahrtzeiten, zum Straßennetz, zum ÖPNV und zu anderen Variablen. Vor allem in den großen Flächenländern wie Niedersachsen, Bayern oder Baden–Württemberg wird es Regionen geben, die ohne Ausnahmeregeln unterversorgt wären. Da müssen Bund oder die Länder für den Transformationsprozess der Krankenhäuser entweder investieren, um an Kliniken vor Ort die entsprechenden Standards zu setzen oder eben Ausnahmeregeln erteilen und diese ausreichend begründen können.

Wie wird die Kliniklandschaft der Zukunft aussehen?

Nur, weil eine Klinik eine niedrige Versorgungsstufe bietet, ist das nicht gleichbedeutend mit einer Schließung oder einer schlechteren Behandlungsqualität im Vergleich zu Krankenhäusern einer höheren Versorgungsstufe. Wenn ich mir in den Finger schneide, werde ich an solchen Standorten weiterhin gut versorgt werden.

Aber derzeit bieten gerade im ländlichen Raum viele Krankenhäuser 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche ein Leistungsspektrum, für das es entweder keinen Versorgungsbedarf gibt oder dort nicht von der Bevölkerung nachgefragt wird. Das ist teuer. Wir sehen aus unsere Daten, dass Patienten schon heute bei aufwändigen Behandlungen die Klinik nicht danach aussuchen, wie schnell sie erreichbar ist — sondern danach, wo sie eine gute Behandlung erwarten. Dafür nehmen sie längere Fahrtzeiten in Kauf.

Gibt es Defizite in den Plänen?

Als Ökonom würde ich gerne Finanzierung stärker mit Behandlungsqualität verknüpfen. Kritiker sagen, medizinische Behandlungsqualität lasse sich nicht messen. Das sehe ich anders. Wir haben für eine hinreichende Anzahl an Behandlungsverfahren gute Daten dazu, ob es zum Beispiel zu Komplikationen nach einem Eingriff kommt, die für ein unerwünschtes medizinisches Ereignis sprechen.

Der technologische Fortschritt der Datenverarbeitung erledigt den Rest. Derzeit sagen wir nur: eine größere Klinik liefert im Schnitt bessere Ergebnisse. Aber auch kleine Häuser können gute Medizin machen. Das könnten wir über mehr Qualitätsindikatoren auch besser abbilden und finanzieren.

Baden–Württembergs Gesundheitsminister Manfred Lucha betont, das Land sei weiter als andere bei der Krankenhaus–Struktur. Teilen Sie die Einschätzung?

Ich sehe jetzt nicht, dass Baden–Württemberg deutlich weiter wäre als andere. Im Vergleich zu anderen Ländern ist die Anzahl insolvenzgefährdeter Kliniken relativ hoch. Ich höre zwar, dass man hier den Kurs der Zentralisierung der Kliniklandschaft mitgeht. Aber es sollte ja nicht der Anspruch sein, dass viele Kliniken schließen, bevor es überhaupt zu geänderten Rahmenbedingungen für alle kommt.