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Hessens Krankenhäuser: „Ohne Reform käme es zu einer kalten Marktbereinigung“

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Spezialisierte Klinik: Oberärzte testen am Krankenhaus Bergmannstrost in Halle einen OP-Roboter..
Spezialisierte Klinik: Das soll die Zukunft sein. © dpa

Sozialminister Klose sieht die Zukunft der Krankenhäuser in Verbünden und Spezialisierungen. Viele seien für die Notfallversorgung unverzichtbar. Ein Interview von Jutta Rippegather

In zähem Ringen haben sich die Bundesländer mit Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) auf die Eckpunkte der Klinikreform verständigt. Nach der Sommerpause soll der Gesetzentwurf fertig sein. Die Reform sichert die Qualität, verbessert sie womöglich, sagt Hessens Sozialminister Kai Klose (Grüne) im Interview mit der Frankfurter Rundschau.

Herr Klose, die Menschen machen sich Gedanken darüber, wie es weitergeht mit Ihrem Krankenhaus. Immer mehr Häuser stehen finanziell mit dem Rücken zur Wand. Kommt die Reform für manche zu spät?

Sie hätte früher kommen sollen. Und ja, es besteht die Gefahr, dass sie für manche zu spät kommt. Deshalb haben wir Länder vom Bund ein sogenanntes Vorschaltgesetz gefordert, das die Zeit finanziell überbrückt, bis die neuen Vergütungsmechanismen greifen. Denn das wird frühestens Mitte 2025 sein.

Der Bund lehnt dies ab. Warum springt das Land nicht in die Bresche, um Insolvenzen zu verhindern?

Die Krankenhausfinanzierung ist dual geregelt: Das Land verantwortet die Investitionskosten, die Summe haben wir während meiner Amtszeit fast verdoppelt. Das muss verstetigt werden. Die Betriebskosten, um die es hier geht, sind Sache der Krankenkassen beziehungsweise des Bundes. Das ist strikt getrennt, bei akuten finanziellen Engpässen sprechen wir dennoch mit einzelnen Krankenhäusern darüber, wie die Versorgung aufrechterhalten werden kann

Also wird es zu Pleiten kommen. Was bedeutet das für die Patientinnen und Patienten?

Viele Krankenhäuser sind für die Notfallversorgung unverzichtbar. Dafür gibt es schon jetzt Sicherungszuschläge. Ein Krankenhaus muss auch künftig innerhalb von 30 Minuten erreichbar sein. Plus zehn Minuten Rettungsdienst. Das heißt, in der Fläche sind wir schon jetzt gut – im Sinne der Reform – aufgestellt. Bei der Umsetzung der Reform schauen wir zunächst, welche Häuser für die Notfallversorgung gebraucht werden.

Könnte es sein, dass wir in der Fläche sogar neue Kliniken brauchen?

Sicher wird es zu mehr Verbundbildungen und Zusammenarbeit kommen. Krankenhäuser werden sich stärker spezialisieren. Es ist auch richtig, dass nicht mehr alle Generalanbieter sind, sondern sich auf ihre jeweiligen Kompetenzen konzentrieren. Entscheidend ist gute medizinische Qualität, und die kann es genauso auch in kleineren spezialisierten Häusern geben. Davon haben die Länder den Bund überzeugen können.

Schauen wir auf die Großstadt. Wird die Hälfte der Notfallambulanzen in Frankfurt abgeschafft, weil es davon zu viele gibt?

Im dicht besiedelten und sehr gut versorgten Rhein-Main-Gebiet wird es sicher zu einer stärkeren Konzentration kommen müssen. Auch dort werden nicht mehr alle alles machen können und müssen. Hinzu kommt der Fachkräftemangel. Auch deshalb beziehen wir seit Beginn der Reformdiskussion auch den ambulanten Bereich und den Rettungsdienst ein und begleiten die Reform mit einer eigenen Arbeitsgruppe des Landeskrankenhausausschusses, in der sich alle Akteure austauschen.

Die Reform des Bundes hat aber nur die Krankenhäuser im Visier. Ist das sinnvoll, wenn mehr Eingriffe ambulant gemacht werden sollen?

Wir denken in Hessen von Beginn an sektorenübergreifend. Gerade in der Pandemie haben wir die Erfahrungen gemacht, wie wichtig eine gute Abdeckung im niedergelassenen Bereich ist, damit die Krankenhäuser nicht überlastet werden. Aber die Komplexität des Systems ist hoch und das jetzt mit dem Bund erzielte Ergebnis ist eine gute Grundlage. Es muss ja auch schnell gehen.

Der 1. Januar als Reformstart ist in der Tat sportlich. Kommt dann der Mann oder die Frau vom Sozialministerium und sagt dem Krankenhaus, was es künftig zu tun hat oder wie kann man sich die Umsetzung praktisch vorstellen?

Die Krankenhäuser sind schon jetzt dazu aufgerufen, miteinander zu sprechen und mit benachbarten Häusern abzustimmen, wer sich künftig auf welchen bestimmten Feldern spezialisiert oder Verbünde zu bilden – dazu muss man Anreize schaffen.

In der Kritik: der hessische Sozialminister Kai Klose (Grüne).
Hessens Sozialminister Kai Klose (Grüne). © Frank Rumpenhorst/dpa

Zur Person

Kai Klose ist seit 18. Januar 2019 Hessischer Minister für Soziales und Integration. Der Grünen-Politiker tritt nicht mehr zur Landtagswahl am 8. Oktober an; aus persönlichen Gründen.

Bund und Länder hatten sich vor einem Monat auf Eckpunkte für eine Krankenhausreform geeinigt. Den Plänen zufolge bekommen Kliniken einen großen Anteil der Vergütung allein schon für das Vorhalten von Leistungen (Vorhaltepauschale). Grundlage der Finanzierung durch die Krankenkassen sollen definierte Leistungsgruppen mit Qualitätsvorgaben sein. jur/bild: hoyer

Wie kann man zu einem Zusammenschluss zu Verbünden anreizen?

Verbundbildungen werden durch Mittel des Strukturfonds unterstützt.

Aber schon seit Jahren. Einen großen Run auf das Angebot gab es bislang nicht.

Aber der Druck wird durch die Reform größer. Unser Job als Länder wird sein, gemeinsam mit dem Bund die neuen Leistungsgruppen zu definieren und sie an die Krankenhäuser zu vergeben. Da orientieren wir uns natürlich auch an jetzt schon bestehenden Schwerpunkten.

Was wäre ein Beispiel für eine Leistungsgruppe?

Als Beispiel: Bisher gab es einen Versorgungsauftrag für das breite Feld der inneren Medizin. Jetzt wird es differenzierter. Zum Beispiel konzentriert sich ein Haus auf die Kardiologie, ein anderes auf Gastroenterologie. Die ganz großen Maximalversorger werden in der Regel weiterhin fast alles anbieten. Bei der Frage der Leistungsgruppenzuordnung werden wir gewiss auch streiten, vielleicht wird geklagt. Das ist Sache der Länder, die gegenüber dem Bund mit Erfolg die Zuständigkeit für die Krankenhausplanung verteidigt haben. Die ursprünglich geplanten Level sind weg.

Lauterbach spricht von Revolution, Entökonomisierung. Sehen Sie das auch so? Immerhin bleiben 40 Prozent der Fallpauschalen erhalten.

Aber 60 Prozent Vorhaltefinanzierung sind eine gewisse Entökonomisierung in dem Sinne, dass es bei den Einnahmen nicht mehr rein auf die Menge ankommt und was ja zum Teil zu Fehlanreizen führte, gewisse Eingriffe finden in Deutschland überproportional oft statt. Es nimmt auch Druck von den Kliniken, wenn sie 60 Prozent als Vorhaltepauschale bekommen, die unabhängig ist von der Zahl der Fälle. Gerade für die kleineren Häuser ist das eine Entlastung. Die anderen 40 Prozent können sie weiter über Fallpauschale generieren.

Reden die Krankenhäuser bei der Reform mit?

In der Pandemie ist eine gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen den zuvor oft konkurrierenden Krankenhäusern, allen Playern – beispielsweise auch den Krankenkassen, den ambulanten Versorgern, den Kammern und meinem Ministerium gewachsen, daran können wir anknüpfen und haben deren wertvolle Hinweise auch in die Diskussion mit dem Bund eingebracht.

Wie schätzen Sie die Stimmung in der Branche ein?

Allen ist bewusst, dass es im bestehenden System nicht mehr weitergeht und es ohne Reform zu einer kalten Marktbereinigung käme. Dann würden auch Krankenhäuser verschwinden, die wir für die Notfallversorgung brauchen, weil sie es wirtschaftlich nicht schaffen. Deshalb wäre das Vorschaltgesetz des Bundes so wichtig.

Und was erwarten Sie persönlich von der Reform?

Wir wollen das Qualitätsniveau unserer guten stationären Versorgung in Deutschland halten, wenn nicht gar verbessern. Ich glaube, die Reform setzt dazu die richtigen Impulse, wenn wir die Vorzüge des neuen Systems für die Patient:innen gut kommunizieren. Das wird jetzt die Kernaufgabe.

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