Bundessozialgericht überrascht: Krankenhaus ohne Anspruch auf Vergütung?

Der 1. Senat des Bundessozialgerichts (BSG, Urteil vom 22. Juni .2022 – B 1 KR 19/21 R) hat die Gelegenheit genutzt, sich in einer Entscheidung zur Kostenübernahme einer bariatrischen Operation bei Adipositas mit folgender Rechtsfrage zu beschäftigen: Verlieren Krankenhäuser ihren Vergütungsanspruch gegenüber der Krankenkasse, wenn die Krankenkasse gegenüber dem Versicherten den Behandlungsanspruch bereits abgelehnt hat? An sich lautete bisher die Antwort „nein“, ging doch der 3. Senat des BSG (zutreffend) davon aus, dass eine Ablehnung der Krankenkassen gegenüber dem Versicherten das Krankenhaus nicht binden kann, und zwar auch dann nicht, wenn das Krankenhaus von dieser Ablehnung weiß (BSG, Urteil vom 11. April 2002 – B 3 KR 24/01 R).

Die Entscheidung

Das BSG sah sich veranlasst, nicht nur die Rechtsfragen zu beantworten, auf die es für den konkreten Fall ankam, sondern positionierte sich darüber hinaus wie folgt: Krankenhäuser, die positive Kenntnis davon haben, dass die gesetzliche Krankenkasse gegenüber ihrem Versicherten den Behandlungsanspruch abgelehnt hat, können ihren Vergütungsanspruch gegenüber der Krankenkasse verlieren. Es liegt ein „obiter dictum“ vor, wie es im Buche steht: Ein Gericht überlegt, wie ein bestimmter Fall, den es in Wahrheit gar nicht gibt, zu entscheiden wäre, wenn er denn vorliegen würde. Oder anders ausgedrückt: Es liefert ungefragt Antworten.

Bisher ging das BSG (zutreffend) davon aus, dass Versicherungs- und Abrechnungsverhältnis strikt zu trennen sind. Während das Versicherungsverhältnis zwischen dem Versicherten und der gesetzlichen Krankenkasse besteht, betrifft das Abrechnungsverhältnis das Rechtsverhältnis zwischen dem Krankenhaus und der gesetzlichen Krankenkasse. Das bedeutete: Lehnte die Krankenkasse gegenüber dem Versicherten eine bestimmte Behandlung ab (oder bewilligte sie), so hatte diese Ablehnung (oder auch Bewilligung) für den Vergütungsanspruch des Krankenhauses keinerlei Relevanz. Wegen der strikten Trennung der Rechtsverhältnisse galt dies auch dann, wenn das Krankenhaus wusste, dass die Krankenkasse gegenüber dem Versicherten die Leistung abgelehnt hatte. Auf die Kenntnis kam es nicht an, weil eine Entscheidung der Krankenkasse das Versicherungsverhältnis betreffend für das Krankenhaus schlicht keine Bindungswirkung hat.

Die bisherige Rechtsprechung wird nunmehr eingeschränkt, und zwar in der Fallkonstellation eines „bösgläubigen“ Krankenhauses, das also z. B. vom Versicherten von der Leistungsablehnung erfahren hat. Allerdings lässt sich der Entscheidung des BSG nicht entnehmen, dass eine Bösgläubigkeit des Krankenhauses per se seine Vergütung entfallen lässt. Sie zielt vielmehr auf folgende Fallkonstellation ab: Eine Krankenkasse sieht von der Durchführung eines Prüfverfahrens ab. Dies hat zur Folge, dass die fehlende Erforderlichkeit der Krankenhausbehandlung nicht begründbar ist, denn dem Gericht ist es verwehrt, die Daten, die nur im Rahmen des Prüfverfahrens durch den MDK beim Krankenhaus hätten erhoben werden können, zu verwerten (Beweiserhebungs- und -verwertungsverbot). In dieser Fallkonstellation soll es dem bösgläubigen Krankenhaus „unter Umständen verwehrt sein, sich (…) auf zu seinen Gunsten eingreifende Ausschlussfristen der jeweiligen Prüfverfahrensvereinbarung (PrüfvV) zu berufen. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn das Krankenhaus in Kenntnis des ablehnenden Bescheides die Operation durchführt, auf diesen Umstand aber bei der Abrechnung nicht hinweist.“ Mit anderen Worten: Denkbar ist, dass die für das Krankenhaus günstigen Ausschlussfristen nicht greifen, wobei das BSG offenlässt, welches denn nun genau die Umstände sein sollen, derentwegen Ausschlussfristen nicht greifen.

Da das BSG annimmt, dass das Krankenhaus die Krankenkasse bei der Abrechnung darauf hinweisen muss, dass es von der Leistungsablehnung Kenntnis hat, wird man bei fehlender Information des Krankenhauses damit rechnen müssen, dass ein Verstoß gegen § 301 SGB V angenommen wird, die Forderung nicht fällig ist und der Lauf der Prüfungsfrist nach § 275c Abs. 1 SGB V noch nicht begonnen hat.
 

Fazit

Nun ist nicht ausgemacht, dass in Zukunft ein Gericht, sollte es über einen solchen Fall tatsächlich zu entscheiden haben, die im „obiter dictum“ geäußerte Rechtsauffassung übernimmt. Nichtsdestotrotz ist es ratsam, diese Rechtsauffassung ernst zu nehmen, denn es ist denkbar, dass sich Krankenkassen bei Abrechnungsprüfungen auf sie berufen werden. Damit sind Schwierigkeiten vorprogrammiert, sofern das Krankenhaus Behandlungen bei dem Versicherten durchführt, obwohl es weiß, dass die Krankenkasse sie abgelehnt hat, und hierauf bei der Abrechnung nicht hinweist.
 

Praxis-Hinweis

Das Krankenhaus kann sich durch Einholung einer sogenannten Kostenübernahmeerklärung vor einem Vergütungsverlust schützen. Bei ihrer Ausgestaltung ist vor allem darauf zu achten, dass sie den Behandlungszeitraum abdeckt. Gibt die Krankenkasse eine Kostenübernahmeerklärung ab, ist es ausgeschlossen, dass sie sich später gegen den Vergütungsanspruch mit Einwendungen wehrt, die sie bei Abgabe der Kostenübernahmeerklärung kannte oder mit denen sie rechnen musste.

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