Kommunales

Auch den Kliniken im Arberland reicht der sogenannte Inflationsausgleich nicht aus, um dadurch bedingte Mehrausgaben zu decken. (Foto: Arberlandklinik Zwiesel)

15.12.2023

XXL-Risiko: Krank werden im Woid

Die Kommunalpolitik der Region ist wütend und hilflos angesichts der kleine Häuser bewusst zerstörenden Klinikreform

Mit Ärzt*innenmangel und defizitären Kliniken haben viele Regionen in Bayern zu kämpfen – aber im Bayerischen Wald schaut es besonders düster aus. Die scheidende Regener Landrätin Rita Röhrl (SPD) hat ein Politikleben lang für eine bessere medizinische Versorgung der Region gekämpft – doch inzwischen resigniert: Von Bund und Land käme nicht nur keine Hilfe, sondern eher neue Hindernisse.

Der Bayerische Wald ist heuer schon märchenhaft eingeschneit. Aber leichter ist unter der Schneedecke noch ein Steinpilz finden als darüber Ärzt*innen oder Politiker*innen, denen die Pläne von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) für eine Krankenhausreform gefallen. Dass kleine Kliniken zusammengelegt, rationalisiert und neu koordiniert werden müssen, um gestiegene Kosten zu senken: das ist allen Beteiligten bewusst. Ebenso aber allseits die Forderung, erst den Finanzbedarf der Kliniken abzudecken, bevor man sie schließt und dann teuer retten muss.

„Die Revolution geht weiter!“ tönt Lauterbach. „Aber niemand weiß wohin!“ hallt das Echo aus der niederbayerischen Kommunalpolitik zurück. „Die Vorgaben für die sogenannte Krankenhausreform sind immer noch nicht klar; niemand weiß, in welche Richtung es geht“, kritisiert Rita Röhrl, die jetzt mit 70 Jahren als SPD-Landrätin von Regen und niederbayerische Bezirksrätin in Pension geht: „Die Planungen des Bundesgesundheitsministeriums sind so gemacht wie das Deutschland-Ticket: nur von Großstädtern für Großstädter! Die Vorgaben des Bundes für angebliche Qualitätsverbesserung sind so gestrickt, dass wir sie bei uns im Landkreis gar nicht erfüllen könnten. Der ländliche Raum würde stark benachteiligt!“

 

"Lauterbach hört nur auf Großstadt-Professoren"


Ihr Kollege, der CSU-Landrat von Freyung-Grafenau, Sebastian Gruber, stimmt zu: „Die sogenannten Experten von Minister Lauterbach sind immer die gleichen Professoren aus Großkliniken in Metropolen. Die haben nur Spitzenmedizin im Sinn – aber keine Ahnung von normaler Gesundheitsversorgung der Bevölkerung am Land durch Zusammenwirken von Haus-, Fach- und Krankenhausärzten. Auch Notärzte werden bei uns zu 80 Prozent von den Kliniken gestellt, der Rest meist von Rentnern. Wer soll künftig Notstationen mit Ärzten besetzen?“

Die beiden Bayerwald-Landkreise halten folgende medizinische Einrichtungen vor: im Kreis Regen zwei Kliniken (Zwiesel und Viechtach) sowie drei Medizinische Versorgungszentren (MVZ); im Kreis Freyung-Grafenau zwei Kliniken sowie drei MVZ. Bei Letztgenannten handelt es sich um Einrichtungen, die durch Zusammenarbeit von mehreren Fachärzt*innen eine interdisziplinäre Versorgung unter einem Dach gewährleisten.

Dabei wird – freilich ohne Spitzenmedizin und Spezialoperationen – so weit wie möglich die volle Bandbreite medizinischer Fachbereiche geboten. „Unsere Kliniken haben sich stark spezialisiert,“ sagt Röhrl: „Die achten darauf, dass nicht Viechtach von A bis Z das gleiche anbietet wie Zwiesel. Die Belegung war immer gut und die Zahlen auch. Jetzt haben uns erstmals die Kliniken ein Defizit von 5 Millionen Euro für das Jahr 2023 mitgeteilt. Das hat uns aufgeschreckt, weil es der Landkreis als Träger ausgleichen muss. Aber wir können unsere Klinken nicht hängen lassen! Wo sollen Landkreise noch sparen? Wir haben doch lauter Pflichtaufgaben!“

 

"Müssen die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung gewährleisten"



Weder den Kliniken im Arberland noch am Goldenen Steig reicht der sogenannte Inflationsausgleich, um dadurch bedingte Mehrausgaben zu decken. „Die Landkreise müssen die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung gewährleisten. Wie lange das noch gut geht, weiß ich nicht. Wir brauchen dringend Vorgaben, wie es mit der Finanzierung von Bund und Land weitergeht“, sagt Rita Röhrl.

Und Landrat Gruber ergänzt: „Wegen der unsicheren Zukunft liegen Baumaßnahmen zum Aus- oder Umbau der Kliniken auf Eis. Wir hängen in der Luft, weil belastbare Vorgaben für ein künftiges Gesetz fehlen.“
Spricht man mit Leuten aus Haus- und Facharztpraxen sowie aus der Geschäftsführung der Kliniken, so lautet deren Grundtenor: Wir brauchen im ländlichen Raum keine großen Reformen, keine Revolution, keine komplizierte Spezialmedizin – sondern schrittweise Verbesserung des bewährten Systems zur Anpassung an die medizinische Entwicklung: moderne Technik, mehr ambulante Operationen, kürzere stationäre Verweildauer, geringere Bettenzahl, mehr medizinisches und Pflegepersonal.

Hausarzt Richard Hofmann in Freyung meint: „Wir sind in unserer Region heute gut aufgestellt mit Hausärzten und Fachärzten – darunter solchen mit Belegbetten, die im Krankenhaus operieren. Ein bewährtes System für den medizinischen Alltag! An Verbesserungen arbeiten alle gemeinsam.“

Bisher kann man von jedem Winkel der Bayerwald-Landkreise in gut 20 Minuten die Grundversorgung einer Klinik erreichen: „Als Reform würden wir noch bessere Abstimmung von Fachbereichen und bauliche oder technische Investitionen erwarten. Ohne mehr Geld bringt die Reform für Krankenhäuser am Land aber nicht mehr Qualität, sondern weniger Leistungen!“


Belegarztsystem soll nicht mehr anerkannt werden
 


Landrätin Röhrl kritisiert ein weiteres Übel der Reformpläne: „Unser Belegarztsystem soll nicht mehr anerkannt werden. Wir brauchen aber auf dem Land Fachärzte mit eigener Praxis, die bei Bedarf im Krankenhaus operieren und Patienten dort nachbetreuen lassen können!“ Kliniken eines Landkreises können sich nicht in jedem Fachbereich drei Ärzt*innen für Präsenz in 24 Stunden an 365 Tagen leisten.

„Kleine Krankenhäuser am Land werden unter Kostendruck gesetzt, aber bei Uni-Kliniken spielt Geld keine Rolle!“ ärgert sich Maximilian Haider. Er hat seine Urologie-Praxis am Krankenhaus in Grafenau und operiert hier als Belegarzt, auch bei Unfällen. „Wenn diese Pläne umgesetzt werden, ist das eine Katastrophe für den ländlichen Raum,“ prophezeit Haider.
HNO-Facharzt Gerhard Stömmer, der in Freyung als Belegarzt operiert, meint resigniert: „Der Lauterbach ist ein Theoretiker ohne Ahnung von medizinischer Praxis. Der will nur Staatsmedizin mit Beamten-Ärzten!“

Diesen Trend muss auch Landrätin Röhrl zur Kenntnis nehmen: „Immer weniger Fachärzte wollen frei praktizieren, sondern suchen Festanstellung mit sicherem Gehalt und festem Stundenplan in einem MVZ mit Praxis- und Personalausstattung. Facharztversorgung wäre eigentlich Aufgabe der Kassenärztlichen Vereinigung, aber die kümmert das halt wenig.“

 

Volle Breite medizinischer Leistungen nur noch in Großkliniken mit weitem Einzugsbereich



Lauterbach plant, nur noch in Großkliniken mit weitem Einzugsbereich die volle Breite medizinischer Leistungen anzubieten und Land-Krankenhäuser auf Erstversorgung zurückzustufen. Eine Illusion dürfte sein, dass sich Pflegekräfte einfach über 100 Kilometer in Großkliniken versetzen lassen; die können auch Senioren gut brauchen. Zentralisierung bedeutet weder Entbürokratisierung noch Vermehrung der Ärztezahl, sondern nur mehr und längere Krankentransporte mit einer Stunde Fahrtzeit oder Hubschrauber bei Schlaganfall, Herzinfarkt, Geburt oder Unfall. Das ist das Ende der Krankenhäuser am Land. Welcher ambitionierte Facharzt geht in so eine Erstversorgung? Will ein junger Mediziner als Assistenzarzt in einer Erstaufnahme seine Karriere beenden, wo er ohne Fortbildung nie mehr weiterkommt?

„Was der Ampel in Berlin offenbar nicht bewusst ist, betont Gruber als Sprecher der niederbayerischen Landräte: „Es geht um gleichwertige Lebensqualität. Am Land ist die Gesundheitsversorgung zugleich Strukturpolitik und Wirtschaftsfaktor. Haus- und Fachärzte ebenso wie eine schnell erreichbare Klinik sind als Standortfaktor gleich wichtig für die Wirtschaft wie Kitas, Schulen und gute Verkehrsanbindung.“

Unternehmerin Lisa Hintermann vom Bettenhaus Mühldorfer fügt hinzu: „Wir brauchen hier keine Spitzenmedizin, aber eine solide ärztliche Versorgung mit mindestens einem guten Krankenhaus pro Landkreis. Sonst siedeln sich Firmen nicht mehr im ländlichen Raum an – weil sie keine Facharbeiter oder Ingenieure mehr aus Großstädten herauskriegen.“
(Hannes Burger)

 

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