Krise im Gesundheitswesen: Jetzt fordern linke Parteien, dass der Kanton Zürich Spitäler in Schieflage übernimmt – und schiessen auf die FDP

Ein Gesundheitsökonom hält den linken Vorschlag für Gift. Eine Kantonalisierung der Spitäler würde dringende Veränderungen verhindern.

Giorgio Scherrer, Jan Hudec 4 min
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Wie man die Finanznot der Zürcher Spitäler beheben soll: Darüber sind die Ansichten links und rechts grundverschieden.

Wie man die Finanznot der Zürcher Spitäler beheben soll: Darüber sind die Ansichten links und rechts grundverschieden.

Annick Ramp / NZZ

Die Schuldigen waren schnell gefunden. «Das System frisst seine Kinder!», rief die Grüne Jeannette Büsser in den Saal des Zürcher Kantonsparlaments. Für sie – und mit ihr die gesamte Linke – war klar: Die Misere der Zürcher Spitäler ist das Resultat einer «gewollten Unterfinanzierung». «Das ist konsequente bürgerliche Spitalpolitik. Das ist FDP-Spitalpolitik.»

Vergangene Woche wurde bekannt, dass sich zwei Zürcher Spitäler in akuter finanzieller Schieflage befinden: Das Kinderspital (Kispi) muss vom Kanton mit insgesamt 135 Millionen Franken gestützt werden, das Spital Wetzikon dagegen bleibt auf einem Finanzloch von 180 Millionen sitzen. Der Kanton hilft nicht, es droht ein Konkurs. Und auch bei anderen Spitälern – speziell dem Zürcher Universitätsspital – zeichnen sich hohe Defizite ab.

Nun beginnt die politische Aufarbeitung, und zwar mit einer explosiven Forderung: Im Namen von SP und Grünen forderte Büsser am Montag, dass nun «eine Rekantonalisierung einzelner Institutionen» erwogen werden solle. Es wäre ein Bruch mit dem Trend der jüngeren Vergangenheit, die im Zeichen einer Verselbständigung der Spitäler stand.

Linke sagen: Wettbewerb gescheitert

Diese «unternehmerische» – das Wort wurde spöttisch in den Saal gerufen – Reform sei gescheitert, so Büsser. «Ein Gesundheitsmarkt, der hauptsächlich mit Staatsgeldern und mit zusätzlichen Finanzspritzen am Leben gehalten wird, ist kein Markt – er ist ein staatlich erhaltenes System und wird es auch bleiben. Da können die bürgerlichen Verwaltungsräte ‹Markt spielen› so lange sie wollen.»

Die derzeitige Krise, sagte Nicole Wyss (AL), zeige denn auch: «Wettbewerb hat in der Gesundheitsversorgung nichts verloren.» Im heutigen System seien jene Spitäler die Verlierer, die auf die Grundversorgung fokussierten. Nur wer sich Privatpatienten angeln könne, mache signifikant Gewinn. Und um diese Patienten anzulocken, würden wiederum riskante Investitionen getätigt. Wyss: «Die Spitäler wurden gezwungen in wahnsinnige Bauprojekte zu investieren, um topmodern auftreten zu können.»

Mehr kantonales Engagement statt «Spitalplanung über das Scheckbuch»: Das war also die Forderung von links.

Vor allem die FDP wurde dabei zum Ziel des Angriffs. Sie habe den marktorientierten Umbau der Zürcher Spitallandschaft entscheidend geprägt und stelle oft auch die Führungsriege der Institutionen, etwa jene des Kinderspitals und des Spitals Wetzikon. Es sei schon seltsam, dass nun gerade jene, die sonst mehr Markt forderten, beim Staat die hohle Hand machten, sagte auch der GLP-Vertreter Urs Glättli am Rand der Debatte.

FDP: Nicht zu wenig, sondern zu viel Staat

Zur Verteidigung – und zum Gegenangriff – schritt daraufhin der FDP-Kantonsrat André Müller. «Viele FDP-Exponenten engagieren sich persönlich, um die Existenz der Zürcher Spitäler zu sichern», sagte er. Es sei also genau seine Partei, die an vorderster Front gegen die Finanzierungsmisere kämpfe. Das Problem sei dabei nicht zu wenig, sondern zu viel Staat.

Die FDP kritisiert, dass der Kanton bei seinen Finanzspritzen zwischen systemrelevanten und nicht systemrelevanten Spitälern unterscheidet. Erstere seien – ebenso wie die verbleibenden kantonalen Einrichtungen – finanziell klar bevorteilt.

Müller: «Der Regierungsrat hebelt so den Wettbewerb unter den Spitälern aus.» Dabei sei doch eigentlich klar: «Am ehesten erfolgreich sind unternehmerisch gut geführte Betriebe – und nicht staatlich gelenkte Einrichtungen.»

Eine «Strukturbereinigung» der Zürcher Spitallandschaft sei nötig, sagte Müller. Doch solle diese nicht über Finanzspritzen, sondern über echten Wettbewerb mit gleich langen Spiessen erfolgen.

Während die Linke also den Wettbewerb im Gesundheitswesen für gescheitert erklärt, sieht ihn die FDP als noch gar nicht richtig realisiert. So sind laut Müller etwa die Tarife im ambulanten und im stationären Bereich nicht ausreichend, um Spitälern einen kostendeckenden Betrieb zu ermöglichen. Statt nur über die Kantonskasse soll das Loch in den Finanzen der Spitäler aus bürgerlicher Sicht also auch via die Krankenkassen gestopft werden.

Die FDP hoffe, der Regierungsrat werde sich auf Bundesebene dafür einsetzen, wurde am Montag im Namen der Fraktion verkündet. Dann könnten die derzeitigen Turbulenzen auch «eine Chance für Veränderungen» sein.

Gesundheitsökonom spricht von Politikversagen

Das sieht auch der Zürcher Gesundheitsökonom und Spitalberater Willy Oggier so. Er sieht die heutige Krise vor allem als Weckruf: Strukturelle Anpassungen seien im Kanton Zürich dringend nötig. Es werde in Zukunft weniger stationäre Kapazitäten brauchen, stattdessen müssten die Spitäler vermehrt auf die ambulante Medizin umstellen.

Dies sei der beste Ausweg aus der finanziellen Misere im Spitalwesen. Denn ambulante Behandlungen, bei denen Patienten noch am gleichen Tag wieder aus dem Spital entlassen würden, seien effizienter und weniger personalintensiv.

Dass diese dringenden Anpassungen nicht schneller umgesetzt werden, bezeichnet Oggier als «Politikversagen». Einerseits habe der Bund das Tarifsystem noch immer nicht entsprechend angepasst. Andererseits scheuten sich die Politiker in Kanton und Gemeinden, in ihren Spitälern schwierige Reformen anzustossen – «sie wollen schliesslich wiedergewählt werden». Von einer Rekantonalisierung der Spitäler hält Oggier deshalb nichts. «Mehr politischer Einfluss wäre Gift für die nötige Strukturanpassung.»

Es gehöre dazu, dass auch einmal ein Spital schliessen müsse, so wie dies in Wetzikon nun passieren könnte. «Würde das Spital Wetzikon dem Kanton gehören, wäre es dem Regierungsrat wohl noch schwerer gefallen, ihm die finanzielle Unterstützung zu verwehren.»

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