Spitalkrise in der Schweiz: Die Schliessung von zehn Krankenhäusern wäre gut zu verkraften

Immer mehr Eingriffe finden ambulant statt. Zugleich habe manches Spital überrissene Investitionspläne, sagen Experten. Die Frage sei nicht mehr, ob Spitäler geschlossen würden. Sondern nur noch, nach welchen Kriterien.

Christoph Eisenring 5 min
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Wie viele Spitäler braucht die Schweiz? Eine Pflegerin eilt zum nächsten Patienten.

Wie viele Spitäler braucht die Schweiz? Eine Pflegerin eilt zum nächsten Patienten.

Gaëtan Bally / Keystone

Von neun grossen Spitälern, die bisher ihre Bilanz präsentiert haben, schreiben laut dem Portal Medinside sieben rote Zahlen. Den Vogel schiesst dabei die Berner Insel-Gruppe mit einem Defizit von 113 Millionen Franken ab. Bei einer normalen Firma müssten die Verantwortlichen den Hut nehmen, doch im Spitalwesen haben die Kantone das Sagen und offenbar eine Engelsgeduld. Der Kanton Bern will denn auch für hoch verschuldete Spitäler einen Rettungsschirm aufziehen – dies erinnert an die Banken und Stromfirmen.

Spitaldirektoren warnen vor einem finanziellen Kollaps. Dabei geraten auch die Fallpauschalen ins Visier, mit denen in der Schweiz seit 2012 Spitalleistungen vergütet werden. Jedes Spital handelt dabei mit den Krankenversicherern eine Basisfallpauschale aus, von der sich die Vergütungen für verschiedene Diagnosen ableiten. So beträgt die Fallpauschale für ein künstliches Hüftgelenk rund 16 000 Franken.

Kantonsspital Aarau ist nicht «too big to fail»

Die Fallpauschalen brachten erstmals Transparenz über die Kosten in den Spitalsektor. Die Idee ist, dass durch den Vergleichswettbewerb die Spitäler motiviert werden, möglichst kostenbewusst zu arbeiten. Es bringt einem Spital bei einer Fallpauschale nichts, den Patienten möglichst lange zu behalten, weil das nur die Kosten, nicht aber den Ertrag erhöht.

Der Ökonom Stefan Felder von der Universität Basel hat ausgerechnet, wie viel Geld man sparen könnte, wenn Patienten statt in den fünf vergleichsweise teuren Universitätsspitälern in umliegenden Zentrumsspitälern behandelt würden, die ebenfalls ein breites Spektrum von Leistungen anbieten.

Eine Behandlung kostet laut Felder in den Unispitälern im Schnitt 1500 Franken mehr. Würden deren Tarife auf diejenigen der Vergleichsspitäler gesenkt, liessen sich 320 Millionen Franken einsparen. Das sind knapp 5 Prozent der stationären Kosten in der obligatorischen Krankenversicherung.

Sparen liesse sich aber vor allem, wenn ganze Spitäler geschlossen würden. Dabei stellt sich die Frage, ob die Patienten in der Nähe eine angemessene Behandlung erhalten. Ein Anschauungsbeispiel liefert das Kantonsspital Aarau. Es wurde vom Kanton Aargau aufgefangen, nachdem es eine Abschreibung von 240 Millionen Franken hatte ankündigen müssen. Laut Stefan Felder gibt es im Umkreis mit 50 Minuten Fahrzeit genügend Reservekapazitäten, um alle 30 000 Fälle des Kantonsspitals zu übernehmen.

«Eine Too-big-to-fail-Problematik existiert beim Kantonsspital Aarau im medizinischen Sinne nicht», sagt Felder. Auf den Neubau hätte man verzichten und die stationären Leistungen auf andere Spitäler übertragen können. Damit wären deren Kapazitäten besser ausgelastet als bisher. Felder verweist auf eine deutsche Studie, laut der erst ab einer Auslastung von 92,5 Prozent die Patientensicherheit abnimmt.

Die Spitäler in der Schweiz sind im Schnitt zu 80 Prozent ausgelastet. Würde man 90 Prozent erreichen, liessen sich theoretisch 2500 Betten oder rund 10 Prozent streichen. Und das bei konstanter Nachfrage. Doch der Trend geht eindeutig zu ambulanten Operationen, bei denen man also nicht mehr im Spital übernachtet. Dies reduziert die Notwendigkeit von Bettenkapazitäten weiter.

Während zum Beispiel in den Niederlanden bereits 80 Prozent der Mandeloperationen ambulant durchgeführt werden, sind es in der Schweiz erst 13 Prozent. Hierzulande ist eine ähnliche Entwicklung zu erwarten. Die Frage ist dann noch, wie man die Spitäler bestimmt, die geschlossen werden sollen.

Dreimal so teuer wie in Deutschland

Simon Hölzer ist Chef der SwissDRG AG, die die Grundlagen für die Umsetzung der Fallpauschalen in der Schweiz liefert. «Es gibt Spitäler unterschiedlicher Grösse, die man schliessen kann, ohne Abstriche bei der Versorgung zu machen», sagt er. Einen wichtigen Hinweis liefern die durchschnittlichen Fallkosten eines Spitals, wobei der Schweregrad der Fälle berücksichtigt wird, damit man nicht Äpfel mit Birnen vergleicht.

In einem ersten Schritt sollte man die 15 Prozent teuersten Häuser in den Blick nehmen und den Ursachen nachgehen, weshalb sie so hohe Fallkosten haben, empfiehlt Hölzer. Dann gilt es zu prüfen, ob alle Leistungen für die Versorgung einer Region notwendig sind oder ersetzt werden können. «Spitalschliessungen lassen sich so datengestützt und betriebswirtschaftlich begründen», führt Hölzer aus.

Allerdings spielen in der Spitallandschaft betriebswirtschaftliche Gründe oft eine untergeordnete Rolle. So gibt es Spitäler, die für die Versorgung zentral, mithin systemrelevant sind, wie das Kinderspital Zürich, das vom Kanton gerade gerettet wird. «Auch bei systemrelevanten Spitälern sollte man überbordende Kosten aber nicht akzeptieren», insistiert der Direktor der SwissDRG AG. Und er fragt sich, weshalb die stationäre Versorgung in manchen Schweizer Unispitälern mehr als dreimal so teuer sein muss wie im benachbarten Ausland.

Er spielt damit auf die Schweregrad-bereinigten Fallkosten der Unispitäler an. In Basel, Bern, Lausanne und Zürich liegen sie zwischen 11 226 und 11 831 Franken – dabei falle die Berner Insel-Gruppe unter den Unikliniken nicht aus dem Rahmen, sagt Hölzer. Ein Ausreisser ist dagegen das Universitätsspital Genf (HUG), dessen Wert für 2022 sogar bei 13 907 Franken liegt. Das HUG ist also noch einmal 20 Prozent teurer als die Vergleichsgruppe der anderen Unispitäler, die schon höhere Fallkosten haben als das Gros der Häuser.

Mit anderen Worten: Würden Genfer Fälle zu den Kosten der anderen Unispitäler behandelt, könnte man alleine dadurch 111 Millionen Franken sparen.

Schweizweit nur noch zwei Unispitäler?

Der Wettbewerb zwischen den Spitälern wird durch stark unterschiedliche Hilfen der Kantone verzerrt. Stefan Felder hat berechnet, dass der Kanton Genf jeden Fall im dortigen Unispital mit 6400 Franken bezuschusst. Dabei handelt es sich um die Vergütung gemeinwirtschaftlicher Leistungen und um Investitionskosten. An zweiter Stelle kommt der Kanton Waadt mit 6100 Franken pro Fall.

«Die Kantone haben ein politisches Interesse, das Überleben der eigenen Spitäler um jeden Preis zu sichern», sagt Felder. Die Abgeltung gemeinwirtschaftlicher Leistungen ausserhalb von Lehre und Forschung fungiert dabei zuweilen als versteckte Defizitdeckung.

Genf und Lausanne liegen lediglich 60 Kilometer auseinander. Felder ist überzeugt, dass die Schweiz zu viele Universitätsspitäler hat. Er schlägt deshalb ein «ETH-Modell» mit zwei Unikliniken vor, einer in der Deutsch- und einer in der welschen Schweiz. Stattdessen gebe es eine Tendenz, dass die grossen Krankenhäuser zunehmend aufrüsteten und Unispital sein möchten: So biete das Kantonsspital St. Gallen nun Herzchirurgie an und habe das Kantonsspital Graubünden weiterhin eine Neonatologie-Abteilung, dabei würden in diesem Bereich schweizweit vier statt derzeit zwölf reichen, erklärt Felder.

Die Spitäler hätten in den letzten Jahren auch wegen der Zuwanderung ein Wachstum gesehen, das sie fälschlicherweise in die Zukunft projiziert hätten. Dies habe zu einem Wettrüsten mit überrissenen Investitionen geführt, die jetzt mit wieder höheren Zinsen nicht finanziert werden könnten.

Immerhin: Die Zürcher Gesundheitsdirektorin Natalie Rickli hat zwar das Kinderspital aufgefangen, aber beim Spital Wetzikon, das sich mit einem geplanten Neubau übernommen hat, ist sie hart geblieben. Es muss selber schauen, wie es solvent bleibt.

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