Telemedizin „Das ist alles nur in Teilen digital“

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Constanze Stypula, Chefin des Telemedizin-Anbieters Jameda, hadert mit der unvollständigen Digitalisierung im Gesundheitswesen – und schlägt vor, sich an einem eher selten genannten Vorbild zu orientieren: Lateinamerika.

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WirtschaftsWoche: Frau Stypula, Anfang Januar wird das E-Rezept in Deutschland flächendeckend eingeführt – nach jahrelangem Hickhack zwischen Kassen, Ärzteverbänden und Patientenvertretern. Ist das endlich ein Durchbruch für die Digitalisierung im Gesundheitswesen?
Constanze Stypula: Grundsätzlich ist der Start sehr begrüßenswert. In Deutschland werden pro Jahr 500 Millionen Rezepte ausgestellt – je mehr davon digital bearbeitet werden können, desto effizienter wird dieser Arbeitsschritt. Allerdings berichten unsere Partner-Ärzte noch von Problemen, etwa weil der Server nicht stabil läuft oder die entsprechende Funktion in ihren Patientenverwaltungssystemen fehlt. Ähnliches hören wir aus den Apotheken. Da muss die digitale Infrastruktur noch verbessert werden.

Das klingt nach typischen Startschwierigkeiten eines solchen Großprojekts. Ansonsten sind Sie aber damit zufrieden, wie das E-Rezept ausgestaltet ist?
Als Portal, mit dem Millionen von Patienten ihre Termine und Gesundheitsdaten pflegen, sehen wir kritisch, dass es bisher nur drei Wege gibt, wie das Rezept an den Patienten und dann in die Apotheke kommt: Die E-Rezept-App, deren Nutzung sich inzwischen im Aufwind befindet, die Gesundheitskarte – und es gibt den QR-Code, der ausgedruckt wird. Das ist nur in Teilen digital. Eine weitere Option bestünde darin, dass Patienten auch Drittplattformen wie Jameda nutzen könnten. Denn wir bieten Ärzten und Patienten ja bereits vollständig digitale und verschlüsselte Kommunikationswege an. Diese wären auch für das E-Rezept ein vierter gangbarer Weg, den wir gerne diskutieren würden.

Sie wollen also auch das E-Rezept abwickeln?
Ja, wir würden das E-Rezept sehr gerne auch in unserer App zur Verfügung stellen – wenn Arzt und Patient das wünschen. Da sind uns jetzt durch die Gesetzgebung aber erst einmal die Hände gebunden.

Constanze Stypula Quelle: PR

Zur Person

Haben Sie denn noch Hoffnung, die Situation noch zu Ihren Gunsten zu ändern?
Lassen Sie es mich so sagen: Wir suchen das Gespräch dazu.

Nun ist das E-Rezept zwar wichtig, aber auch nur ein eher kleinerer Baustein in der Digitalisierung der Gesundheitswirtschaft. Welche wichtigen Schritte fehlen in Ihren Augen noch?
Das deutsche Gesundheitswesen ist stark heterogen: Ärzte, Kliniken und Krankenkassen nutzen teils völlig verschiedene Softwarelösungen, die wenig bis gar nicht miteinander kommunizieren. Viele dieser Systeme sind auch nicht Cloud-basiert, also in gewisser Weise komplett veraltet. Wenn die IT-Systeme nicht miteinander kommunizieren können, sorgt Digitalisierung nicht für Entlastung, sondern führt zu Mehraufwand und Stress. Solange keine standardisierten Schnittstellen existieren, sollte man daher Teillösungen schaffen, um Interoperabilität zu ermöglichen.



Technologisch wären viele Dinge kein Problem – gleichwohl geht es im deutschen Gesundheitssystem mit Innovationen nur langsam voran. Warum?
Viele Abläufe stammen noch aus rein analogen Zeiten. So ist es beispielsweise bis heute nicht möglich, Rezepte für eine quartalsübergreifende Medikation auszustellen. Denn Ärzte können bis heute nur pro Quartal abrechnen. Deswegen muss ein Patient jedes Quartal erneut die Praxis aufsuchen, um sich seine Medikamente verschreiben zu lassen. Dieser Abrechnungsmodus stammt aus einer Zeit, als Ärzte ihre Rechnungen gesammelt und am Quartalsende bei der Krankenkasse eingereicht haben. Das ist überholt – aber die Logik dahinter zu ändern, ist schwierig.

Eine weitere wichtige Neuerung, die bald ansteht, ist die elektronische Patientenakte. Kann die von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach angestoßene Opt-Out-Regelung bei der elektronischen Patientenakte dabei helfen, die Nutzung zu beschleunigen?
Ja, das macht für Patienten vieles einfacher und wird die elektronische Patientenakte mittelfristig in die breite Nutzung bringen. Allerdings sind ja nicht nur Patienten zögerlich, sondern teilweise auch Ärzte. Laut einer vor einem halben Jahr von uns durchgeführten Umfrage versprechen sich nur rund 35 Prozent der Ärzte Effizienzgewinne durch die elektronische Patientenakte. Auch diese Ärzte gilt es also abzuholen.

Schneller schlau: Elektronische Patientenakte

Seit Anfang 2022 gehört Ihr Unternehmen zum aus Polen stammenden Digital-Health-Pionier Docplanner. Was kann Deutschland von den Vorreitern bei der Digitalisierung im Gesundheitswesen lernen, um endlich schneller voranzukommen?
Was ich vor allem mit großer Begeisterung beobachte, ist eine Region, die wir nicht auf dem Schirm haben für Digitalisierung und die uns gerade Schnelligkeit vorlebt – das Gesundheitswesen in Lateinamerika. Das hat den simplen Grund, dass es dort keine erste Digitalisierungswelle in den Neunzigerjahren wie in Deutschland gab. Daher existieren dort keine vor Ort installierten Altlösungen, die jetzt den Fortschritt verlangsamen. Stattdessen können diese Länder direkt auf flexible Cloud-basierte Lösungen gehen.

Überholen, ohne einzuholen sozusagen...
Das ist natürlich nicht ganz fair, aber das erleben wir ja auch in anderen Industrien. Wir sollten daraus lernen: Uns an die Schnelligkeit gewöhnen und ein bisschen pragmatischer und industriegetriebener an einzelnen Stellen vorgehen. Das bedeutet: Die Industrie sollte nicht abwarten, bis der Gesetzgeber einheitliche Standards – etwa für Schnittstellen – definiert, sondern eigene Impulse setzen. Interoperabilität ist ein wesentlicher Schlüssel zur Effizienzsteigerung, die kann bei entsprechender Datenverschlüsselung gesetzeskonform und sicher auch zwischen Anbietern verschiedener Lösungen hergestellt werden, wenn diese kooperieren.

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Jameda hat Anfang 2020 enorm vom Corona-Ausbruch profitiert und konnte allein in den ersten Wochen der Viruspandemie die Zahl der digitalen Sprechstunden versechsfachen. Wie ist es seitdem weitergegangen – sind Videosprechstunden heute immer noch beliebt?
Die sind durchaus beliebt, vor allem in bestimmten Fachgebieten wie etwa der Psychotherapie oder Psychologie. Patienten können gezielt über Jameda danach suchen – was überregionale Arztbesuche möglich macht. Hier gibt es aber auch wieder ein Nadelöhr, das aus der Historie des Gesundheitswesens kommt: Ein Patient muss seine digitale Gesundheitskarte immer noch physisch in die Arztpraxis schicken, damit der Arzt die Videosprechstunde abrechnen kann.

Lesen Sie auch: Elektronische Gesundheitsakte – Deutschland kann doch  ein bisschen digital

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