E-Rezept und mehr: Digitalisierung konterkariert Entbürokratisierung

Nachdem Hausärzte auch aufgrund überbordender Bürokratie und schlechter Digitalisierung protestiert hatten, verspricht der Bundesgesundheitsminister Abhilfe.

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Karl Lauterbach

(Bild: Juergen Nowak/Shutterstock.com)

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Während Ärzte überlegen, sich Trecker zu besorgen, gibt sich Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) nach dem Krisengipfel mit Ärzteverbänden zuversichtlich. Wegen Überlastung der Arztpraxen, unter anderem aufgrund der überbordenden Digitalisierung und Bürokratie sowie ungerechter Bezahlung, blieben mehrere zehntausend Praxen in Deutschland zwischen den Jahren aus Protest geschlossen. Mit einem "Maßnahmenpaket zur Stärkung der ambulanten Versorgung" soll sich die Situation der Hausärzte verbessern.

Lauterbach, der zunächst kein Verständnis für die Proteste der Ärzte gezeigt hatte, traf sich am Dienstag mit Vertretern der Bundesärztekammer, der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, des Hausärzteverbandes, des Spitzenverbandes Fachärzte Deutschlands (SpiFa) und des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ). Letzterer hofft auf das angekündigte Entbürokratisierungsgesetz. "Der bürokratische Aufwand durch unnötige, gesetzliche Vorgaben ist neben der Frage, wie wir unsere Praxen wirtschaftlich führen können, wohl der größte Faktor, der den medizinischen Nachwuchs von der Niederlassung abhält", sagt BVKJ-Präsident Dr. Michael Hubmann.

"Bisher sind die Praxen überfüllt, weil viele Patienten in die Praxis kommen, um ein Rezept verlängern zu lassen oder eine Krankschreibung zu bekommen", sagte Lauterbach gegenüber dem ZDF. Mit der kürzlich dauerhaft beschlossenen telefonischen Krankschreibung ist es aktuell so, dass Versicherte trotzdem quartalsweise in die Praxis kommen müssen, um ihre Gesundheitskarte zur Abrechnung in das Kartenlesegerät zu stecken. Dass Versicherte einmal im Quartal zum Arzt müssen, sofern sie ärztliche Leistungen beanspruchen, will Lauterbach durch eine "jährliche Pauschale" ändern. Chronisch Kranke, die dauerhaft auf Medikamente angewiesen sind, sollen sich dafür künftig den vierteljährlichen Gang zum Arzt sparen können.

Zuvor hatte Lauterbach gegenüber dem ZDF eingestanden, dass die Praxen "bessere Arbeitsbedingungen und weniger Bürokratie brauchen. Das Geld muss auch gerechter verteilt werden". Er wolle "viel mehr Telemedizin zulassen, also eine ganz neue Medizin in der Praxis" und die Hausärzte entbürokratisieren und entbudgetieren. Derzeit kritisieren Kassenärzte unter anderem, dass sie – sofern Versicherte in einem Quartal mehrmals zum Arzt kommen – diese unbezahlt weiter behandeln.

Im Bereich Kinder- und Jugendmedizin wurde dahingehend bereits eine Entbudgetierung beschlossen. Für die Änderungen bei den Hausärzten soll noch diesen Monat das Versorgungs- und Stärkungsgesetz vorgelegt werden, auch ein Bürokratieentlastungsgesetz wurde bereits angekündigt. Dazu sei Lauterbach seit Monaten mit Beteiligten wie der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) im Gespräch. In der Ungleichbehandlung, dass Fachärzte von dieser Regelung ausgeschlossen sind, sieht der Ärzteverband VirchowBund laut Ärztenachrichtendienst einen Spaltungsversuch.

Der Ärzteverband MEDI Baden-Württemberg sieht in den Beschwichtigungen von Karl Lauterbach lediglich den Versuch einer "Ruhigstellung der Ärzteschaft". Außerdem verkaufe der Gesundheitsminister die elektronische Patientenakte und das E-Rezept als die "Gamechanger für eine Entbürokratisierung in den Praxen". Jedoch sei das Gegenteil der Fall, auf die Praxen komme bei der elektronischen Patientenakte und der damit zusammenhängenden Aufklärungs- und Dokumentationspflicht künftig noch mehr Arbeit auf die niedergelassenen Ärzte zu. Zudem sind die Systeme laut MEDI teils unausgereift und erschweren die Arbeit in den Praxen.

Auch BVJK-Präsident Hubmann erwartet "endlich" anwenderfreundliche Praxissoftware. "Interoperabilität und Wechselmöglichkeiten zwischen den Anbietern müssen deutlich verbessert werden", sagt Hubmann. Das soll sich laut BMG künftig mit einem einfacheren Wechsel von Praxisverwaltungssystemen in Zukunft ändern. Gesundheitsminister Lauterbach sprach nach Informationen des Ärztenachrichtendienstes sogar davon, dass Ärzte für eine funktionierende elektronische Patientenakte unter Umständen sogar das Praxisverwaltungssystem wechseln müssten.

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Information ergänzt, dass ein Teil der Ärzte sich für eine funktionierende elektronische Patientenakte wohl auf einen Wechsel des PVS einstellen muss. Stellungnahme des BVJK ergänzt.

Bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens bliebe laut KBV "außer vagen Ankündigungen alles offen". Unklar sei beispielsweise, wie der Wechsel zu leistungsfähigen Praxisverwaltungssystemen "erleichtert und finanzierbar" werde. "Bei der Gestaltung solcher Systeme müssen Niedergelassene involviert werden. Ärztinnen und Ärzte sind im Schnitt rund 60 Tage im Jahr nur mit Bürokratie beschäftigt. Die Zeit fehlt uns am Ende bei den Patientinnen und Patienten", kritisiert MEDI-Chef Dr. Norbert Smetak. Es brauche keine einzelnen Maßnahmen nach dem "Gießkannenprinzip", sondern eine praxisorientierte Digitalisierung.

Vom ZDF auf die Probleme beim E-Rezept angesprochen, wiegelte Lauterbach ab. Es werde Wochen dauern, bis sich das E-Rezept "zurechtgeruckelt" habe. Eine Blitzumfrage des Apothekerverbands Nordrhein unter 450 Apotheken hatte ergeben, dass jedes fünfte E-Rezept Probleme macht, was Lauterbach abstreitet. Außerdem würden laut Umfrage lediglich 1 Prozent der E-Rezepte über die E-Rezept-App der künftigen Digitalagentur des Gesundheitswesens, der Gematik, eingelöst, weitere 18 Prozent über den Papierausdruck. Auf Anfrage von heise online teilte die Gematik mit, dass ein Großteil der E-Rezepte über die elektronische Gesundheitskarte eingelöst werde, genaue Zahlen wurden jedoch nicht genannt. Die gesamte Technik stehe und es wurde bereits Millionen Mal eingesetzt, so Lauterbach.

Der deutsche Apothekerverband hatte sich aufgrund zahlreicher Mängel beim E-Rezept in einem Brandbrief an Susanne Ozegowski, Leiterin der Abteilung Digitalisierung und Innovation im Gesundheitsministerium, gewandt. So seien beispielsweise die teils Jahre dauernden Zeiträume für mögliche Retaxationen – wenn Krankenkassen die Abrechnungen der Apotheken über verordnete Medikamente beanstanden – weiterhin ein Problem für Apotheken. Doch auch Ozegowski sieht keinen Grund zur Sorge. Ihrer Ansicht nach sei die "Test- und Erprobungsphase des E-Rezepts" seit Monaten erfolgreich abgeschlossen und alle technischen Voraussetzungen für das E-Rezept erfüllt. Holm Diening, Chief Security Officer der Gematik, hatte in einem LinkedIn-Post erst kürzlich 2 Millionen E-Rezepte am Tag zelebriert.

Technische Probleme beginnen laut Prof. Nicola Buhlinger-Göpfarth, der Vorsitzenden des Hausärztinnen- und Hausärzteverbandes, schon bei der immer wieder ausfallenden Telematikinfrastruktur. "Unsere Praxen sind voll – wir haben keine Zeit auf unseren Rechner zu warten", erklärt Bühlinger-Göpfarth auf Anfrage von heise online. Schon ein Neustart der Konnektoren zur Datenübertragung im Gesundheitswesen reiche oft schon aus, "um viele Prozesse gleichzeitig lahmzulegen". Dann seien weder E-Rezept, KIM-Dienst noch weitere Anwendungen nutzbar. Doch auch wenn nichts ausfalle, dauere die Ausstellung des E-Rezepts viel zu lange. 20 bis 25 Sekunden für eine elektronische Signatur bei einer Massenanwendung wie dem E-Rezept bezeichnet Buhlinger-Göpfarth als "Unding". Auch die Apotheken bemängeln, dass E-Rezepte teils unfertig sind, da notwendige Signaturen der Ärzte fehlen.

"Grundsätzlich ist ein elektronisches Rezept nicht nur sinnvoll, sondern auch längst überfällig – das wissen wir Hausärztinnen und Hausärzte wahrscheinlich am besten. Leider erleben wir hier aber das Gleiche wie bei vielen anderen Digitalanwendungen im Gesundheitswesen: Uns Ärztinnen und Ärzten wird ein unfertiges Produkt übergestülpt, in dessen Entwicklung wir nicht eingebunden waren und dessen kleinere und größere Probleme wir am Ende in unseren Praxen ausbaden müssen", so Buhlinger-Göpfarth. Das E-Rezept werde als "eine der vielen Dauerbaustellen der Digitallandschaft unseres Gesundheitswesens" bezeichnet. Daran habe sich auch mit der E-Rezept-Pflicht für Ärzte seit Januar 2024 nichts geändert.

(mack)