Über­gangs­pflege Wann Patienten länger im Kranken­haus bleiben dürfen

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Über­gangs­pflege - Wann Patienten länger im Kranken­haus bleiben dürfen

Mobilisierung am Krankenbett. Können Patient oder Patientin nach einer Kranken­hausbe­hand­lung zu Hause nicht versorgt werden oder warten beispiels­weise auf eine Reha, müssen sie nicht mehr gleich entlassen werden. © Getty Images / Halfpoint

Nach ihrem Behand­lungs­ende können Patienten jetzt bis zu zehn Tage weiter in der Klinik versorgt werden. Diese Über­gangs­pflege läuft allerdings noch nicht über­all glatt.

In vielen Fällen ist es mit einer Operation oder Kranken­hausbe­hand­lung längst nicht getan: Für die voll­ständige Genesung einer erkrankten Person ist oft eine Reha oder vorüber­gehend sogar Pflege nötig. Auf die Schnelle finden Patientinnen und Patienten im Anschluss dafür aber häufig keinen Platz in einer passenden Einrichtung. Was passiert dann?

Was ist Über­gangs­pflege?

Bisher gab es keine wirk­liche Lösung. Seit Juli 2021 existiert eine – zumindest auf dem Papier: die Über­gangs­pflege, für die die gesetzlichen Krankenkassen aufkommen. Es hat jedoch mehr als zwei Jahre gedauert, bis sie lang­sam in der Realität ankommt. Die Expertinnen der Stiftung Warentest erklären, was die Über­gangs­pflege leisten kann, wer einen Anspruch auf sie hat, warum die Umsetzung für Kliniken Tücken birgt und an wen sich Patienten wenden können, falls es mit dem Über­gang nicht reibungs­los klappt.

Unser Rat

Weiterversorgung nötig. Als Kassenpatient oder Kassenpatientin haben Sie nach einer Kranken­hausbe­hand­lung oder OP jetzt Anspruch auf zehn Tage Über­gangs­pflege in demselben Haus. Das ist der Fall, wenn eine weitere Versorgung in der häuslichen Kranken­pflege, Kurz­zeit­pflege oder medizi­nischen Rehabilitation oder mit Pflege­leistungen nach Sozialgesetz­buch XI gebraucht wird, aber noch kein Platz für Sie da ist.

Erlaubnis erteilen. Sie müssen dem Entlassmanagement des Kranken­hauses und der Option auf Über­gangs­pflege als Patient oder Patientin aktiv zustimmen – oft bereits bei Einlieferung. Kreuzen Sie auf dem Formular „ja“ an.

Neue Versorgungs­möglich­keit

Am besten lässt sich die Idee der Über­gangs­pflege an einem fiktiven Beispiel erklären: Unsere Modell­patientin ist 70 Jahre alt und wurde nach leichtem Schlag­anfall für acht Tage im Kranken­haus behandelt. Ihr Zustand hat sich in dieser Zeit deutlich gebessert, doch sie muss einige Fähig­keiten wieder neu erlernen. Die Rentnerin hat noch starke Gleichgewichts­probleme und außerdem Taub­heits­gefühle im linken Fuß sowie der linken Hand. Eine geeignete Reha-Maßnahme ist bewil­ligt, ein Platz wird für sie aber voraus­sicht­lich erst eine Woche später frei, als nötig wäre.

Wer verordnet Über­gangs­pflege?

Früher hätte das Kranken­haus die Patientin in der Zwischen­zeit nicht weiter versorgen können, weil es ihre Versorgung nicht abrechnen konnte. Es hätte die Rentnerin nach Hause geschickt, obwohl sie zu Hause allein nicht klarge­kommen wäre. Mit der Über­gangs­pflege können Kliniken in solchen Fällen nun eine Puffer­zeit von bis zu zehn Tagen abrechnen und so die Patientin weiter versorgen. Die Über­gangs­pflege wird von den behandelnden Ärztinnen oder Ärzten im Kranken­haus verordnet.

So läuft die Über­gangs­pflege ab

Über­gangs­pflege - Wann Patienten länger im Kranken­haus bleiben dürfen

© Stiftung Warentest / René Reichelt

Sinn­volle Ergän­zung des Entlass­managements

„Wir halten die Über­gangs­pflege wie die damalige Einführung des Entlass­managements für absolut sinn­voll“, sagt Heike Morris, ehemals juristische Leiterin der Unabhängigen Patientenberatung Deutsch­land (UPD). „Sie hilft, wenn in der Zwischen­zeit vonseiten der Klinik alles getan wird, um schnell einen Platz in der Kurz­zeit­pflege oder Reha oder was sonst gebraucht wird, zu organisieren.“

Tipp: Kliniken müssen die Anschluss­versorgung gewähr­leisten. Lesen Sie mehr dazu in unserem Special zum Entlassmanagement.

Wie lange geht Über­gangs­pflege?

Das Kranken­haus versorgt Patienten wie unsere fiktive Rentnerin in der Über­gangs­pflege bis zu zehn Tage weiter. Der Tag, an dem die eigentliche Kranken­hausbe­hand­lung endet, gilt als erster Tag der Über­gangs­pflege, der Tag der Entlassung als letzter.

Komplette Versorgung einge­schlossen

Über­gangs­pflege umfasst die notwendige Versorgung mit Arznei-, Heil- und Hilfs­mitteln, die Akti­vierung, die Grund- und Behand­lungs­pflege, Unterkunft, Verpflegung sowie die erforderliche ärzt­liche Behand­lung. In unserem Beispiel würde die Klinik die Rentnerin also weiter mit allem Nötigen versorgen. Außerdem würde sie mit Koor­dinations­übungen und Physio­therapie bereits starten. Nach einer Woche wechselt sie dann in eine Reha-Klinik. Wer von der Über­gangs­pflege profitieren kann, definiert das Sozialgesetz­buch. Der Anspruch gilt bei fest­gelegten Bedarfen laut Paragraf 39e Sozialgesetz­buch V, die nach der Behand­lung organisiert werden müssen. Das sind:

  • Leistungen der häuslichen Kranken­pflege,
  • Kurz­zeit­pflege,
  • Leistungen zur medizi­nischen Rehabilitation nach Paragraf 40 Sozialgesetz­buch V und
  • Pflege­leistungen nach Sozialgesetz­buch XI.

Problem: Kurz­zeit­pfle­geplätze oft rar

Wenn wie bei unserer Rentnerin ein Reha­platz bewil­ligt ist und absehbar frei wird, kann die Über­gangs­pflege diese Zwischen­zeit gut über­brücken. Komplizierter wird es, wenn beispiels­weise ein Kurz­zeit­pfle­geplatz gebraucht wird, aber nicht absehbar ist, ob und wann einer verfügbar ist.

Knappe Versorgungs­situation vieler­orts

Das gesetzlich fest­gelegte Entlass­management schreibt vor, dass Kliniken ihre Patienten erst entlassen dürfen, wenn die Nach­versorgung geklärt ist. Der Sozial­dienst des Kranken­hauses muss den Bedarf abschätzen und dabei helfen, die Versorgung zu organisieren. Das gilt für Reha- und Kurz­zeit­pflege ebenso wie für Physio-, Ergo- oder sons­tige Therapien. Doch wenn es keine passenden Versorger in der Region gibt oder diese zum benötigten Zeit­punkt keine Kapazitäten frei haben, wird es eng.

Zumindest gute Zwischenlösung

„Wir sehen in der Beratung leider nach wie vor, dass das Entlass­management nicht immer funk­tioniert und Patienten ohne Unterstüt­zung und pflegerische Versorgung nach Hause entlassen werden“, berichtet Morris aus der Patientenberatung. „An manchen Stellen hapert es deutlich, etwa weil es zu wenige Pflege­dienste oder Kurz­zeit­pfle­geplätze gibt.“ Daran ändere auch die neue Regelung nichts, weil sie das eigentliche Problem nicht löst. „Zumindest bietet sie im besten Fall aber eine gute Zwischenlösung für Betroffene.“

Neues Recht kennt noch kaum einer

Patientinnen und Patienten beschweren sich bislang kaum, wenn sie keine Über­gangs­pflege bekommen. Kein Wunder: Die meisten haben noch nie davon gehört.

Das liegt auch daran, dass es nach Gesetzes­einführung lange dauerte, bis die Umsetzung der Über­gangs­pflege in allen Bundes­ländern zwischen Kranken­haus­verbänden und Versicherern verhandelt war. Inzwischen besteht zwar der Anspruch und laut Brancheninsidern sollte die Umsetzung in leichteren Fällen wie dem unserer Modell­rentnerin klappen. Doch wenn ein Anschluss­platz fehlt, bleibt es kompliziert.

Dokumentations­aufwand für die Kliniken ist hoch

„In vielen Regionen gibt es einfach zu wenig Kapazitäten in Kurz­zeit­pflege, Reha-Zentren und bei ambulanten Pflege­diensten“, sagt Antje Liesener, Referentin bei der Deutschen Vereinigung für Soziale Arbeit im Gesund­heits­wesen. Sie steht im Austausch mit Mitarbeitenden in Sozialen Diensten in Kliniken aus ganz Deutsch­land und weiß: „Die Pfle­gekräfte und die Sozial­arbeite­rinnen sind häufig sowieso schon über­lastet.“ Wenn zusätzlich Über­gangs­pflege geleistet und mit hohem Aufwand dokumentiert werden muss und parallel das Entlass­management weitergeführt werden soll, steige der Aufwand. „Die Tages­sätze für die Über­gangs­pflege sind auch eher nied­rig“, sagt Liesener. „Aktuell melden uns sogar Krankenhäuser zurück, dass sie zwar Über­gangs­pflege leisten, aber auf eine Abrechnung verzichten, weil der Aufwand es nicht wert ist.“

Was Patienten selbst tun können

Was tun, wenn absehbar ist, dass die Weiterversorgung nicht gut ist? Auf jeden Fall sollten Patientinnen und Patienten das Thema ansprechen und zusätzlich auf folgende Punkte achten:

  • Bei der Einweisung ins Kranken­haus sollten Patienten direkt unter­schreiben, dass sie dem Entlass­management und einer eventuell nötigen Über­gangs­pflege zustimmen. Nur dann kann und muss die Klinik handeln.
  • Ist absehbar, dass Patienten oder Angehörige nach dem Kranken­haus­auf­enthalt weitere Versorgung brauchen werden, fragen sie besser früh­zeitig beim Sozialen Dienst der Klinik nach, welche Möglich­keiten bestehen. Ein Kontakt ist entweder direkt oder über Pfle­gekräfte möglich. Wenn der Soziale Dienst zwar koope­rativ, aber über­lastet ist, kann es eine Option sein, sich eine Liste geben zu lassen und das Abtelefonieren verschiedener Anbieter aufzuteilen.
  • Hilft der Soziale Dienst nicht, können sich Patienten an einen Patientenfür­sprecher wenden. Diese arbeiten ehren­amtlich in vielen Kliniken.
  • Gibt es Ärger, kann als offizielle Abteilung das örtliche Beschwerdemanagement helfen. Es hat die Aufgabe, Beschwerden zu bearbeiten und Abläufe zu verbessern. Patienten sollten hier auf ihr Recht auf Entlass­management und eventuell Über­gangs­pflege hinweisen.
  • Die letzte und höchst­mögliche Anlauf­stelle ist die Klinik­leitung. Sie ist verantwort­lich.
  • Nutzt das alles nichts, hilft es, Kontakt zur Krankenkasse aufzunehmen. Diese hat Interesse daran, dass es nicht zu einer Unter­versorgung kommt, die Kosten nach sich zieht. Außerdem besteht das Recht auf Über­gangs­pflege gegen­über der Krankenkasse. Diese muss sich also im Zweifels­fall oder bei Problemen kümmern. Welche Hand­habe für Patienten hier konkret besteht, lässt sich momentan noch nicht sagen, da es bislang aufgrund der jungen Regelung noch keine Gerichts­entscheidungen gibt.

Regeln für Privatversicherte

Für privat Krankenversicherte ist die Lage noch komplizierter. Denn das Gesetz gilt nur für gesetzlich Versicherte. Ob die Rege­lungen ins Leistungs­spektrum aufgenommen werden, entscheidet jeder Privatversicherer individuell. Es gibt lediglich eine sogenannte Empfehlung an private Versicherer, die gleichen Leistungen wie die gesetzlichen Kassen zu erbringen. Patientinnen und Patienten müssen also direkt bei ihrer privaten Kranken­versicherung nach­haken, welche Rechte für sie gelten.

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Kommentarliste

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  • space_shuttle am 12.01.2024 um 10:27 Uhr
    Entlassmanagement

    Meine fast 86 Jahre alte Mutter konnte Gott sei Dank während ihres letzten Krankenhausaufenthaltes vor 2 Jahren kliniksintern eine Reha in der geriatrischen Station machen. Danach musste sie allerdings auf Dauer ins Pflegeheim. Das Entlassmanagement des Krankenhauses war miserabel, der soziale Dienst völlig überarbeitet. Wenn ich nicht massiven Druck aufgebaut hätte, hätte man meine Mutter einfach auf die Straße gesetzt! Zum Glück war dann auch in drei Pflegeheimen ein Langzeitpflegeplatz verfügbar.