Pleitewelle im Gesundheitssektor Das verlorene Jahr für die Hospitäler – und für Kranke im Land

Quelle: imago images

Anfang 2023 versprach Gesundheitsminister Karl Lauterbach einen umfassenden Umbau der Kliniken. Ein Jahr später rutscht eine Rekordzahl an Häusern in die Pleite.

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Schnell zieht der Chef der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) einen Vergleich mit den protestierenden Bauern. Gerald Gaß, Vorstandsvorsitzender der DKG, sagt, die Landwirtschaft investiere ähnlich wenig wie die rund 1800 stationären Kliniken in Deutschland, nämlich nur rund drei Prozent des Umsatzes. Doch in einem Hochtechnologiebereich wie der Medizin seien die Folgen nicht schleichend, sondern bald drastisch zu spüren.

Die Lage sei dramatisch: Monat für Monat häuften die Kliniken trotz Sparens 500 Millionen Euro Verluste an. Die Inflation, steigende Energiepreise und hohe Tarifabschlüsse trieben die Entwicklung an, ohne dass die Vergütung durch die Krankenkassen mithielte. „Wir starten in das dritte Jahr in Folge, in dem die Krankenhäuser mehr Geld für die Behandlung der Patienten ausgeben müssen, als sie von den Krankenkassen für die Versorgung erhalten“, sagt Gaß.

Nach den Zahlen des Verbandes erwirtschafteten 78 Prozent der Häuser im vorigen Jahr Defizite, dieses Jahr dürften es 81 Prozent werden. Entsprechend gehe der „kalte Strukturwandel“ weiter. Einrichtungen gingen pleite, aber eben nicht solche, die entbehrlich seien, sondern jene, die im Kampf um Patienten, Fachpersonal oder Kostensenkungen nicht mehr mithalten könnten. Immer wieder sind das kleinere Häuser auf dem Land, wo die medizinische Versorgung ohnehin ausgedünnt ist. 2022 seien 7 Standorte in die Insolvenz geraten, voriges Jahr schon 34 und allein im Januar 2024 bereits 6 Krankenhäuser, so die DKG.   

Und die Politik? Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hatte die Krankenhausreform zu einem seiner wichtigsten Vorhaben erkoren. Und er hatte Anfang vorigen Jahres Grundzüge eines Umbaus vorgestellt: ES sollten weniger Häuser werden und mehr spezialisierte Zentren entstehen. Auf dem Land sollten einfache Krankenhäuser entstehen, die auch die ambulante Versorgung mit übernehmen könnten. Die Finanzierung sollte umgestellt werden, dass nicht mehr allein die Zahl der Behandlungen über die Fallpauschalen Geld in die Kasse bringen, sondern Häuser auch für die Vorhaltung bestimmter Leistungen an bestimmten Orten bezahlt würden.

Und heute? Nichts davon ist umgesetzt oder nahe an der Umsetzung. Im Bundesrat blockieren sich Bund und Länder. Die Länder wollen die Vorgaben Lauterbachs nicht hinnehmen, sie sehen die Planung von Standorten als ihre Aufgabe und befürchten zu viele Schließungen. Auch Karl Lauterbach befürchtet das Ende für viele Häuser – ohne Umbauten.

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„Mehr als 100 Krankenhäusern droht ohne das Gesetz 2024 die Insolvenz“, sagt der Bundesgesundheitsminister zuletzt. Er will zudem mit einem Transparenzgesetz erreichen, dass die Leistungen und die Qualität von Häusern verglichen werden und Patientinnen und Patienten Orientierung bieten sollen, wo sie gut behandelt werden. Dieses Gesetz ist ebenso im Bundesrat blockiert.

Das Schwierige an jedem Umbau: Kein Landrat und keine Landesministerin will für die Schließung von Kliniken verantwortlich gemacht werden. Zumal nicht sicher scheint, was an die Stellen von Krankenhäusern für eine Versorgung tritt. Betreiber einzelner Hospitäler fürchten nach dem Transparenzgesetz zudem einen direkten Vergleich mit anderen, der offen legen könnte, wo die Versorgung besser ist. Das ist von Lauterbach durchaus beabsichtigt und könnte Veränderungen bringen. Denn Deutschland hat im internationalen Vergleich sehr viele Krankenhausbetten, es wird sehr viel stationär behandelt und nicht überall hat die Versorgung ähnliche Qualität.   

Minister Lauterbach versucht nun, die Länder mit sechs bis acht Milliarden Euro für die Krankenhäuser zum Klinikvergleichsgesetz zu bewegen. Das sei nur Geld, was ohnehin in den kommenden Monaten an die Kliniken fließen solle, kritisiert Krankenhaus-Vertreter Gaß. „Das ist kein einziger Euro mehr.“ Auch deshalb machten Länder und Kliniken nicht mit.

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Und so brechen in einem weiteren Sektor in Deutschland konfliktreiche Monate an. Nicht nur Krankenhaus-Geschäftsführer könnten in diesem Umfeld kaum mehr planen oder in bessere Versorgung investieren, klagt Gaß. Auch die Patienten würden verunsichert, wenn Leistungen mancherorts zurückgefahren würden. Es gehe nicht anders: „Es ist noch keine Besserung in Sicht.“


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