26. Januar 2024

LLM, digitaler Zwilling und ChatGPT: KI im Klinikalltag nutzen

„Praxisdialog Information- und Medizintechnik im Krankenhaus“ zeigte Chancen und Herausforderungen Künstlicher Intelligenz

© IKIM, Thomas Opfermann Künstliche Intelligenz (KI) findet nicht mehr in der Zukunft statt. Sie durchdringt immer mehr Bereiche des heutigen Alltags. Das gilt auch im Gesundheitswesen. Dieser Herausforderung stellen sich immer mehr Krankenhäuser. Wie sie herausfinden, wo KI sinnvoll zum Einsatz kommen kann, zeigte die Fachtagung „Praxisdialog Information- und Medizintechnik im Krankenhaus“. Am 10. Januar führte die Krankenhausgesellschaft Nordrhein-Westfalen (KGNW) die Veranstaltung traditionell zum Jahresbeginn in Duisburg durch.

Am Vormittag konnten sich die circa 60 Teilnehmer zu den Chancen und Risiken des Einsatzes von künstlicher Intelligenz informieren und mit den Referentinnen und Referenten in der Podiumsdiskussion in den Austausch kommen. Künstliche Intelligenz ist aktuell die sicherlich spektakulärste Facette der Digitalisierung. Davon werden mittel- und langfristig auch viele Krankenhäuser profitieren. In welchem Ausmaß und wie schnell hängt mal wieder vom lieben Geld ab. Daher fühlte Referent Jörg Asma, Partner, Cyber Security & Privacy bei PwC Germany, zum Auftakt der Veranstaltung buchstäblich die „Krankenhäuser trotz Digitalisierung im Würgegriff der Kosten“. Die Krankenhäuser erkennen die Notwendigkeit, Prozesse zu digitalisieren. Doch die anfängliche Fördermittelperiode ende irgendwann. Wichtig sei jedoch im Anschluss eine solide Folgefinanzierung. Ansonsten könnte der Effekt der Förderung schlichtweg verpuffen. Messen könne man ihn, ähnlich wie beim E-Rezept, allerdings erst nach wenigen Jahren. Ganz wichtig bei der Digitalisierung: die technische Absicherung. Er kenne keinen Sicherheitsvorfall im Krankenhaus, bei dem personenbezogene Daten nicht betroffen gewesen seien. Dies würde neben dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) schnell auch die Datenschutzbehörden auf den Plan rufen. Deren Sanktionswerkzeuge mit der Datenschutzgrundverordnung seien erheblich ausgeweitet worden. Cybersicherheit – ein weiterer Kostenfaktor. Daher biete der Einsatz künstlicher Intelligenz – neben ihrem medizinischen Nutzen – eine Chance, Kosten zu sparen.

„Auf welchem der Bilder sehen Sie eine Brücke?“

Was vielen Menschen gar nicht bewusst ist: Fast jeder hat KI schon einmal genutzt oder nutzt sie regelmäßig: „Auf welchem der Bilder sehen Sie eine Brücke?“ Dieses Rätsel („Captcha“), um auf eine Webseite zu gelangen, hat sich eine KI „ausgedacht“. Sie will damit herausfinden, ob jemand Mensch oder Maschine ist. Manche User lassen Chat GPT inzwischen ihre E-Mails beantworten. Doch was steckt genau dahinter? Was bedeuten Ausdrücke wie „LLM“ („Large Language Model, ein Sprachmodell wie ChatGPT, das menschenähnliche Sprache versteht, erzeugt und damit reagiert) und „AGI“ („Artificial General Intelligence“ – echte künstliche Intelligenz eines Computerprogramms, das wie ein Mensch versteht und lernt)? All das brachte Thomas Opfermann vom Institut für Krankenhausinformationsmanagement in Münster (IKIM) den Teilnehmenden näher. Er riet eingangs Krankenhäusern davon ab, eigene Hardware zur Erprobung von KI anzuschaffen. KI benötige aktuelle und teure Hardware und sei ein absoluter Stromfresser. Jede Antwort von ChatGPT sei mit nicht zu unterschätzendem Energiebedarf verbunden. Er zeigte aber auch die Leistungsfähigkeit der KI auf: Bereits ohne jedes medizinische Vorwissen konnte sie den Medizinertest in den USA oder das bayrische Abitur bestehen. Der Referent warnte gleichzeitig aber auch vor Risiken. KI beabsichtige nicht, eine richtige Antwort zu erzeugen, sondern vielmehr, überhaupt eine wahrscheinliche Antwort auf die Frage zu erwidern.

Trotz dieser Risiken nutzen viele Einrichtungen im Gesundheitswesen bereits moderne KI-Technologien. Das beschrieb Dr. Marc Heiderhoff, Institutsleiter des Instituts für Krankenhausinformationsmanagement in Münster (IKIM). Er zeigte auf, in welchen Handlungsfeldern im Krankenhausbereich es bereits Lösungen gibt – von der Patientenadministration bis hin zur Therapieunterstützung. Großer Vorteil: die Zeitersparnis, die für die Arbeit am Patienten und an der Patientin frei werde. Große Herausforderung: Es fehlt entsprechendes Fachpersonal. „Daten- und Sicherheitsexpertinnen und -experten werden immer wichtiger“, sagt Dr. Jil Sander vom SmartHospital.NRW. KI sieht sie nicht als Allheilmittel. „Manchmal ist KI auch nicht der richtige Ansatz, sondern es sind einfache statistische Modelle vollkommen ausreichend.“ Es müsse aber diejenigen geben, die dies bewerten können. Das SmartHospital beschäftigt sich neben der praktischen Anwendung von KI damit, wie Krankenhäuser den Weg hin zum Krankenhaus der Zukunft und zum Einsatz von KI bestreiten können und welche Weichen dafür entscheidend sind. Ein erster Schritt sei mit der Veröffentlichung des „KI-Readiness-Check“ erreicht worden. Dabei ermitteln Krankenhäuser ihren Reifegrad in mehreren Dimensionen. Basis für spätere konkrete Maßnahmen bildet ein Fragebogen, den die Kliniken ausfüllen. Bald, sagt Sander, würde dieser durch den SmartHospital Check ergänzt, der voraussichtlich im ersten Quartal 2024 veröffentlicht wird. Entscheidend sei dabei aber vor allem die Verankerung einer individuellen IT-Strategie.

User frühzeitig einbinden

In der sich anschließenden Diskussion mit den Referentinnen und Referenten wurde eins deutlich: Erfolgreicher KI-Einsatz steht und fällt damit, die User mitzunehmen und frühzeitig einzubinden: Welche Ängste und Sorgen haben sie, und wie lassen sich die Ängste beseitigen? Zudem zeigte sich: Eine erfolgreiche KI-Strategie hängt nicht an einzelnen Menschen, sondern betrifft das gesamte Krankenhauspersonal.

Start-ups in einer Schlüsselrolle

Der Nachmittag der Fachtagung startete zunächst damit, wie Krankenhäuser im Rahmen zunehmender Digitalisierung schneller agieren und in einem mittlerweile exponentiellen Wachstum der IT-Lösungen Schritt halten können. Ein Beispiel führte zum Universitätsklinikum Münster. Dieses hat vor eineinhalb Jahren in einer Tochtergesellschaft ein „digital healthcare hub (dhh)“ etabliert, eine Art Projektgruppe, die in Abstimmung mit anderen Bereichen neue digitale Lösungen entwickeln, bewerten und etablieren soll. Dr. Beate Rottkemper und Marvin Luwig beschrieben, dass bereits mehr als 70 digitale Lösungen evaluiert und Handlungsempfehlungen abgeleitet worden seien. Dr. Beate Rottkemper ergänzte, dass der dhh eine gewisse Themenbündelung anstrebe. Im täglichen Kontakt zu Start-ups schaut der Hub über den Tellerrand hinaus.

Start-ups nehmen ohnehin für die stationäre Gesundheitsversorgung eine immer wichtigere Rolle ein. Dr. Aylin Imeri vom Digi Health Start, einem Projekt unter Beteiligung des Landes NRW und der Ruhr Universität Bochum, betonte dabei vor allem: „Digital Health Ökosysteme müssen stärker vernetzt werden. Nur so lassen sich die Potenziale der Start-ups nutzen und in den Versorgungskontext überführen.“ Ihr Projekt hat dafür eine Plattform geschaffen, auf der Anbieter und Lösungssuchende gemeinsam an Lösungen arbeiten können. Sebastian Geyr, Gründer und Inhaber medtech-MANUFAKTUR, zeigte in seinem anschließenden Impulsvortrag auf, welches Potenzial in den im Krankenhaus erzeugten Daten steckt. Immer dort, wo innovative Technologien, beispielsweise Robotik, genutzt werden, entstünden riesige Massen an wertvollen Daten. Als Problem sieht er gewisse Hürden für die mögliche Nutzung, zum Beispiel einen sehr strengen Datenschutz. Solche Hürden lassen Hersteller zwangsläufig auf zugängliche und globale Daten zugreifen, die aber die Versorgungssituation in Deutschland nur unzureichend abbilden. Daher plädierte der Unternehmer für Fortschritte in der Vernetzung. Nur so lasse sich langfristig auch die Patientensicherheit erhöhen.

Was ist ein digitaler Zwilling?

Nicht nur Patientensicherheit, sondern auch die Prozessqualität lässt sich mithilfe digitaler Transformation erhöhen. Das beschrieb Matthias Pruksch von der seppMed GmbH. Für die Strahlenklinik am Universitätsklinikum Erlangen erstellte der Dienstleister einen „digitalen Zwilling“ im klinischen Echtzeitbetriebskontext. Dieser bildet die digitalen Prozesse virtuell ab. Die Ziele dahinter: Datenschätze heben, Prozesse verbessern, Qualität steigern. Für die bessere Visualisierung erarbeitet seppMed darüber hinaus eine Softwarelösung. Im Vordergrund stehen dabei die User Experience, also das Erlebnis der Nutzerinnen und Nutzer, und die Anwendbarkeit. „Nichts ist schlimmer als eine App, die niemand nutzen möchte“, sagt Matthias Pruksch. Folge: Lösungen, die die Erwartungen der Nutzer nicht erfüllen, werden in Erlangen direkt gelöscht.

Doch digitale Lösungen müssen nicht nur praktikabel sein. Sie müssen auch Sicherheitsstandards genügen. Größere Kliniken, darunter die Maximalversorger, gelten qua Gesetz als Kritische Infrastruktur, für die besonders hohe Hürden gelten. Basis bildet der Risikomanagementstandard DIN EN 80001-1, zuletzt aktualisiert im vergangenen Jahr. Wie die DIN-Norm mit dem branchenspezifischen Sicherheitsstandard (B3S) im Gesundheitswesen zusammenspielt, erläuterte im Abschlussvortrag der Veranstaltung Kai Herwig der medfacilities, einer Tochtergesellschaft des Universitätsklinikums Köln. Dieses gilt seit 2017 als Kritische Infrastruktur. Der Referent sieht die DIN EN 80001-1:2023 sogar als deutlich spezifischer als den branchenspezifischen Sicherheitsstandard an. Der B3S ermöglicht die Umsetzungen des Gesetzes des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik in der stationären Gesundheitsversorgung. Um die Prüfungen zu koordinieren, nutzt die Uniklinik Köln ein digitales Tool. Eine manuelle Dokumentation erscheint allein angesichts der unglaublichen Menge medizintechnischer Geräte nicht praktikabel. Das Tool fasse die im Netzwerk gefundenen Geräte in Gruppen einer gleichen Risikokategorie zusammen und nehme eine generelle Risikobetrachtung vor. Eine solche Dokumentation sei mühsam im praktischen Alltag, aber nützlich und mit Blick auf die KRITIS-Auditierungen auch seitens der Prüfer gefordert und überprüft worden.

Foto:
(von links nach rechts) Burkhard Fischer, Leiter des KGNW-Referats „Qualitätsmanagement, IT und Datenanalyse“, Dr. Marc Heiderhoff, Leiter des Instituts für Krankenhausinformationsmanagement Münster, Thomas Opfermann, stellvertretender Institutsleiter, Nico Brinkkötter, Referent des KGNW-Referats „Qualitätsmanagement, IT und Datenanalyse (Quelle: IKIM, Thomas Opfermann)