Ein Schild auf dem steht: Stiftungskrankenhaus Nördlingen
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Patienten des Nördlinger Krankenhauses wurden offenbar zu einem bestimmten Sanitätshaus gelotst.

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Patientenrechte: Bevorzugt Nördlinger Klinik ein Sanitätshaus?

Wer Krücken oder ein Pflegebett braucht, darf sich ein Sanitätshaus frei aussuchen. Doch Patienten des Nördlinger Krankenhauses wurden offenbar zu einem bestimmten Sanitätshaus gelotst – teilweise gegen den Willen und zum Nachteil von Patienten.

Über dieses Thema berichtet: Mittags in Schwaben am .

Eine Frau stürzt, bricht sich das Bein und wird im Nördlinger Krankenhaus operiert. Ein bis zwei Tage später teilt ihr ein Krankenhausmitarbeiter mit, dass jemand vom Sanitätshaus F. kommt, um ihr den Stützschuh anzupassen. Tatsächlich steht kurz danach ein Mitarbeiter des Sanitätshauses am Krankenbett der Patientin. "Ich bin nicht gefragt worden und ich bin auch nicht darauf hingewiesen worden, dass man eine Wahl hat oder dass es verschiedene Sanitätshäuser gibt", sagt die Patientin dem BR. Dabei darf jeder und jede das Sanitätshaus frei wählen – so steht es im Sozialgesetzbuch.

Der BR hat zehn Fälle dokumentiert

Der BR hat zehn vergleichbare Fälle dokumentiert. Sie betreffen das Nördlinger Krankenhaus und zwei Seniorenheime. Sie alle gehören zum gemeinsamen Kommunalunternehmen (gKU), das dem Landkreis Donau-Ries und der Stadt Nördlingen gehört. Der Verdacht: Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des gKU lotsen Patientinnen und Patienten zu einem bestimmten Sanitätshaus, indem sie ungefragt deren Rezepte an dieses Sanitätshaus schicken. In anderen Fällen wurden sogar gegen den erklärten Willen von Patienten Rezepte an das eine Sanitätshaus geschickt. Sämtliche Betroffene haben die Richtigkeit ihrer Angaben gegenüber dem BR bestätigt.

Krankenhaus-Formular legt Bevorzugung eines Sanitätshauses nahe

Dass das gKU Patienten offenbar zu einem einzelnen Sanitätshaus lotst, legt auch ein Formular des Nördlinger Krankenhauses nahe, das zur Weiterleitung von Rezepten verwendet wurde. Es liegt dem BR vor. Darauf war als einzige Option zum Ankreuzen das Sanitätshaus F. bereits vorgedruckt, jedoch kein konkurrierendes Sanitätshaus. Dieses Formular war bis mindestens Dezember 2023 in Gebrauch. Seit Januar sind auf dem Formular nun das zweite Sanitätshaus aus Nördlingen und sogar ein drittes aus dem benachbarten Baden-Württemberg aufgeführt. Auf Nachfrage teilt das Krankenhaus mit, das Formular werde "in regelmäßigen Abständen" überprüft und gegebenenfalls angepasst. Was "regelmäßig" bedeutet, bleibt offen. Die beiden neuerdings aufgeführten Sanitätshäuser gibt es bereits seit zwei beziehungsweise mehr als 20 Jahren.

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Dieses Formular hat das Nördlinger Krankenhaus noch bis mindestens Dezember 2023 zur Weiterleitung von Rezepten verwendet.

Compliance-Experte sieht Krankenhaus-Formular kritisch

Kritik an dem früheren Formular gibt es von Volker Ettwig. Der Rechtsanwalt aus Berlin berät Krankenhäuser in Compliance-Fragen. Früher hat er in diesem Bereich für einen großen Krankenhausbetreiber gearbeitet. Ettwigs Eindruck: "So ein Formular hat natürlich eine Indiz-Wirkung. Wenn ich jetzt aus Ermittlersicht da drauf gucke und sehe, ich kann eine Firma ankreuzen – weiß, es gibt zwei Firmen – dann indiziert das für mich, aus Ermittlersicht, dass da wohl der Versuch unternommen wird, eine gewisse Zuführung von Patienten zu organisieren."

Auch auf dem neuen Formular steht das Sanitätshaus F. weiterhin an erster Stelle – vor den Konkurrenten. Compliance-Experte Volker Ettwig rät: Wenn es ein Formular gibt, "dann wäre idealerweise an der Stelle ein Freifeld" – so wären keine Sanitätshäuser schon vorgegeben.

Krankenhaus faxt Rezept gegen den Willen der Angehörigen zum Sanitätshaus F. – mit Folgen

Die vom BR dokumentierten Fälle zeigen, dass das Vorgehen beim Weiterleiten von Rezepten auch zu Nachteilen für Patienten geführt hat. So wie bei einem Patienten, der auf ein Pflegebett angewiesen ist. An einem Freitagmittag soll er entlassen werden. Die Ehefrau gibt beim sogenannten Entlassmanagement des Krankenhauses an, dass sie schon mit dem anderen Sanitätshaus S. über ein Pflegebett gesprochen habe.

Doch die Mitarbeiterin habe widersprochen: Es sei Freitagmittag, es pressiere, sie schicke jetzt alle Rezepte zur Firma F. – so erinnert sich die Ehefrau an das Gespräch. Sie habe sich überrumpelt gefühlt. Und es gibt ein Problem: Das Sanitätshaus F. könne erst am Montag liefern. Ein Wochenende mit pflegebedürftigem Mann, aber ohne Pflegebett daheim? "Ich habe dann meine Schwägerin gefragt, die war mal Krankenschwester: Wie soll ich das machen, wenn er aus dem Bett raus muss?", erzählt die Ehefrau.

Erst als sich ihr Sohn einschaltet, kommt Bewegung in die Sache. Am Ende kann das andere Sanitätshaus S. das Pflegebett noch am Freitagabend liefern. "Warum werden alte Leute so im Stich gelassen?", das habe er sich gefragt, erklärt der Sohn dem BR.

Patientin wird fast um mehrere hundert Euro gebracht

In einem anderen Fall hätte eine Patientin fast mehrere hundert Euro verloren. Sie will wie alle anderen Betroffenen anonym bleiben – aus Angst vor Nachteilen bei künftigen Behandlungen. Dem BR liegen sämtliche Namen vor. Nach der Entlassung der Frau aus dem Nördlinger Krankenhaus benötigt sie einen speziellen Rollator mit Armauflage. Sie erinnert sich an ein Gespräch mit einer Krankenhaus-Mitarbeiterin: "Die hat nur gesagt: F.? Und da hab ich gesagt, ich möchte zum S. Und das war es dann."

Doch gefaxt wird das Rezept gegen den Willen der Patientin zum Sanitätshaus F. Dort erfährt der Ehemann dann, dass die Krankenkasse seiner Frau den Rollator nicht bezahlen würde. Auf einem Faltblatt sieht das Ehepaar dann, dass die Rollatoren teilweise mehr als 300 Euro kosten. Nur weil der Ehemann in Eigeninitiative beim anderen Nördlinger Sanitätshaus anfragt, erfährt er, dass der Rollator dort als Kassenleistung abgerechnet werden kann. "Wenn da gemauschelt wird, ist es ein Betrug am Patienten!", kritisiert der Ehemann das Krankenhaus.

Gesetzliche Regelungen sind eindeutig

Die Gesetzeslage ist klar: Im Sozialgesetzbuch V steht, dass Patienten nicht beeinflusst werden dürfen, Verordnungen bei einem bestimmten Leistungserbringer – also zum Beispiel einem Sanitätshaus – einzulösen. Noch klarer ist der Rahmenvertrag zum Entlassmanagement, der auch für das Nördlinger Krankenhaus gilt: "Der Patient ist ausdrücklich auf das Recht der freien Wahl des Leistungserbringers hinzuweisen. Eine Bevorzugung eines Anbieters ist nicht statthaft", heißt es dort.

Krankenhausleitung: Man achte auf "Firmenneutralität"

Die Leitung des Krankenhauses steht für ein Interview nicht zur Verfügung. Auch der Donau-Rieser Landrat Stefan Rößle (CSU) lehnt ab. Er ist Verwaltungsratsvorsitzender des Krankenhausunternehmens. Die Überwachung der Geschäftsführung zählt zu seinen Aufgaben. Landrat und Krankenhausleitung geben jedoch eine gemeinsame schriftliche Stellungnahme ab. Man achte auf "Firmenneutralität" heißt es darin. Und: "Für uns ist allein von Bedeutung, dass der Patient eine optimale Versorgung mit Hilfsmitteln erhält." Das Sanitätshaus F. lässt über einen Anwalt mitteilen, dass es keine Stellungnahme abgeben werde.

Nach der Veröffentlichung der Recherche des BR verschickte das gKU am Mittwoch, 14.2., eine weitere Stellungnahme. Der Vorstandsvorsitzende des gKU, Jürgen Busse, wird in der Mitteilung mit den Worten zitiert: "Wir halten alle Compliance-Regeln ein. Es gibt keine Bevorzugung. Unser Ziel ist immer die beste Versorgung unserer Patienten."

Zweites Sanitätshaus mit Existenzsorgen

Von Krankenhauspatienten bekomme man nach wie vor kaum Aufträge, heißt es beim zweiten Nördlinger Sanitätshaus. "Das ist für die Zukunft definitiv existenzbedrohend, wenn wir keinen fairen Wettbewerb haben. Und wir wollen nichts anderes als fairen Wettbewerb!", sagt Inhaber Michael Schmitz. Dabei habe er schon vor eineinhalb Jahren ein erstes Gespräch mit der Krankenhausleitung geführt. Geändert hat sich zumindest das Formular, aber eben erst eineinhalb Jahre später.

In zwei Jahren habe sein Sanitätshaus nur knapp 100 Nördlinger Krankenhauspatienten versorgt – die meisten seien persönlich bekannt gewesen. Im gleichen Zeitraum wurden im Nördlinger Krankenhaus rund 20.000 Patienten stationär versorgt, weitere ambulant. Wie viele davon jeweils Hilfsmittel von einem Sanitätshaus benötigt haben, werde aber nicht erfasst, teilt das Krankenhaus mit.

Experte sieht Krankenhausleitung in der Pflicht

Für Rechtsanwalt Volker Ettwig ist klar, dass die Krankenhausleitung tätig werden muss, wenn bekannt wird, dass es ein weiteres Sanitätshaus vor Ort gibt: "Die Krankenhausleitung trägt die Gesamtverantwortung, dass die geltenden Regeln eingehalten werden. Das heißt, sie muss auch Sorge dafür tragen, dass die Mitarbeiter des Krankenhauses wissen, was sie tun dürfen und was sie lassen müssen." Es laufe immer auf dasselbe hinaus: "Es muss die freie Patientenentscheidung erhalten bleiben."

Sanitätshaus F. brachte Krankenhausmitarbeitern Weihnachtsgeschenke

Die Klinik selbst hat keinen ersichtlichen Vorteil, wenn Patienten zu einem bestimmten Sanitätshaus gelotst werden. Was die Recherchen aber ergeben haben: Über mindestens 20 Jahre hinweg hat das Sanitätshaus F. Weihnachtsgeschenke an Mitarbeiter des gKU verteilt. Nach Aussage ehemaliger Mitarbeiter waren das vor allem Konditor-Pralinen und Wein, in einzelnen Fällen aber auch Wärmflaschen und sogar Heizdecken. Welchen Wert die Geschenke im Einzelfall jeweils hatten, lässt sich nicht rekonstruieren. Laut Krankenhausleitung dürfen Mitarbeiter Geschenke bis zu einem Wert von maximal 15 Euro annehmen.

Zum Video: Klinik Nördlingen in der Kritik

Das Nördlinger Krankenhaus steht im Verdacht, Patienten zu einem bestimmten Sanitätshaus zu lotsen – auch zu deren Nachteil.
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Das Nördlinger Krankenhaus steht im Verdacht, Patienten zu einem bestimmten Sanitätshaus zu lotsen – auch zu deren Nachteil.

Rechtsanwalt würde Annahme von Geschenken in bestimmten Bereichen untersagen

Rechtsanwalt Volker Ettwig hält Geschenke im Krankenhaus für ein sensibles Thema und würde es eher "restriktiv" handhaben, so der Compliance-Experte. In Bereichen wie dem Entlassmanagement, wo ständig Aufträge der Patienten an Sanitätshäuser weitergereicht werden, sieht es der Anwalt streng: "Wenn ich ein Krankenhaus führen würde, würde ich in diesem Bereich die Annahme von Geschenken gänzlich untersagen!"

Betroffene sind vom Krankenhaus enttäuscht

Die Betroffenen, die ihre Geschichte dem BR erzählt haben, sind mehrheitlich vom gKU enttäuscht, vor allem, weil sie über ihre Rechte nicht informiert wurden. Teilweise hätten sie nicht einmal gewusst, dass sie plötzlich nicht mehr mit einem Mitarbeiter des Krankenhauses, sondern eines Sanitätshauses sprechen. Sie fühle sich in ihrer Situation ausgenutzt, beschreibt es eine Patientin. Dabei sei es aus ihrer Sicht so einfach, es müsste den Patienten nur der eine Satz gesagt werden: "Sie können selbst entscheiden!"

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