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„Ohne den Freistaat insolvent“: Interne Sitzung prognostizierte Rekord-Minus für Uniklinik Regensburg

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Das Universitätsklinikum Regensburg ist eines von noch drei bayerischen Zentren für Lebertransplantationen
In der Führungsriege am Universitätsklinikum Regensburg herrscht Unzufriedenheit aufgrund der Situation im Pflegedienst. © dpa

45 Millionen Euro Minus für das Uniklinikum Regensburg wurden bei einer Vorstandsklausur prognostiziert. „Nur ein Worst Case-Szenario“, heißt es nun.

Regensburg - „Nach diesen Prognosen entgeht das UKR nur aufgrund der Gewährträgerschaft des Freistaats Bayern einer Anmeldung zur Insolvenz.“ So steht es im Protokoll einer Vorstands- und Direktorenklausur am Universitätsklinikum Regensburg (UKR), an der nahezu die komplette Führungsriege teilnahm – 37 Personen. Das Protokoll der rund dreistündigen Sitzung, die am 10. November letzten Jahres stattfand, liegt unserer Redaktion vor.

Horror-Prognose am Uniklinikum Regensburg: „Bedenkliche Defizite“ und „dringender Handlungsbedarf“

Die kaufmännische Direktorin Sabine Lange, seit Mitte 2020 im Amt, prognostizierte bei dem Treffen für 2024 ein Minus von 45,68 Millionen Euro und sprach von weiteren „bedenklichen Defiziten“, die sich bis 2028 „ansammeln“ würden.

Eine Finanzarbeitsgruppe, eingesetzt vom Aufsichtsrat des UKR unter Vorsitz von Bayerns Wissenschaftsminister Markus Blume (CSU), habe den eingereichten Wirtschaftsplan für die Jahre 2024 bis 2028 „ in dieser Form (...) nicht akzeptiert“, berichtet Lange und mahnt „dringenden Handlungsbedarf“ an.

„Verheerende wirtschaftliche Situation“ der Kliniken in Deutschland

Wirtschaftliche Schwierigkeiten von Krankenhäusern sind zunächst einmal nichts Ungewöhnliches. Steigende Energiekosten, Tariferhöhungen, Mangel an Pflegepersonal und damit nicht betreibbare Betten sind ein paar, längst nicht alle Gründe. Auch der Bürokratismus angesichts von Fallpauschalen unter Abkürzungen wie DRG und CMI macht Kliniken zu schaffen.

Laut Bayerischer Krankenhausgesellschaft rechneten 2023 acht von zehn Krankenhäusern mit einem Defizit. Über 30 meldeten laut Deutscher Krankenhausgesellschaft (DKG) im letzten Jahr Insolvenz an. Für 2024 prognostizierte die DKG 60 bis 80 Klinikinsolvenzen.

Erst letzten September hatte sich auch das Universitätsklinikum Regensburg bei einem bundesweiten Aktionstag „Alarmstufe Rot“ beteiligt, wo auf die „verheerende wirtschaftliche Situation“ der Kliniken in Deutschland aufmerksam gemacht wurde.

45,68 Millionen Defizit - das wäre ein Rekord-Minus für das UKR

Damals äußerte sich die UKR-Führung aber eher allgemein allerdings, ohne unmittelbaren Bezug oder Konkretes zur Situation in Regensburg oder im eigenen Haus. Professor Dr. Oliver Kölbl, Ärztlicher Direktor und Vorstandsvorsitzender am Universitätsklinikum Regensburg, merkte aber doch an, dass man die Leistungen als „Supramaximalversorger“ nur mit „einer soliden Finanzierung gewährleisten“ könne. Die Politik müsse erkennen, „dass Universitätsmedizin kein wirtschaftlicher Selbstläufer ist“.

Die Zahlen, die Sabine Lange bei der internen November-Klausur vorstellte, scheinen das eindrücklich zu bestätigen. Das prognostizierte Defizit von 45,68 Millionen Euro wäre in der Geschichte der Regensburger Uniklinik beispiellos.

Das Minus von 2019 (13,93 Millionen) und die zum Teil gleichfalls zweistelligen Millionendefizite der darauffolgenden Jahre, die man ohne Corona-Hilfen und Sonderfonds hingelegt hätte, würden um ein Vielfaches übertroffen.

Horror-Prognose am Uniklinikum Regensburg: Gestiegener Aufwand, geringere Erlöse

„Für die derzeitige Situation“ wird im Protokoll insbesondere eine „Abweichung der geplanten von der tatsächlich zu erwartenden Leistungsmenge von 10%“ genannt. Konkret: Seit 2019 sei die Zahl betreibbarer Betten am UKR um über 100 gesunken. Es gebe auch weniger betreibbare OP-Säle.

Aber auch die „signifikant gestiegene Aufwandsseite“ gebe „Anlass zur Sorge“. Langes Präsentation zufolge liegt der Aufwand für Personal und Material deutlich über dem Median dessen, was sonst in Kliniken, auch öffentlichen, üblich ist.

Prognose für Rekord-Defizit: Weit jenseits des Branchen-Medians

Als Indikator dient der kaufmännischen Direktorin des UKR dabei die sogenannte Produktivaufwandsquote. Diese betriebswirtschaftliche Kennzahl wird für den Klinikbereich insbesondere von der Münchner Beratungsgesellschaft Ebner Stolz verwendet, auf deren Erhebungen sich Lange bezieht.

Die Produktivaufwandsquote fasst Personal- und Materialaufwand zusammen und setzt sie ins Verhältnis zur Gesamtleistung.

Je niedriger die Quote ausfällt, desto höher der Ertrag eines Unternehmens. Liegt sie bei 100 Prozent, so bedeutet dies, dass der finanzielle Erlös vollständig durch Personal und Materialaufwand aufgezehrt wird – also bei Null liegt.

Während der „Branchen-Median“ für Kliniken zwischen 85 und 90 Prozent in der Präsentation angegeben wird, wird er für das UKR 2024 auf 101,9 beziffert – sagt also aus, dass der Betrieb des Universitätsklinikums dauerhaft defizitär und auf Zuschüsse angewiesen wäre oder – wie es die Beratungsgesellschaft Ebner Stolz ausdrückt – dass hier womöglich „hohe Verbesserungspotenziale liegen (ge)lassen“ werden.

Horror-Prognose am Uniklinikum Regensburg: Eigentlich braucht man mehr Personal

Entsprechend lesen sich in dem Protokoll auch die „Maßnahmen zur Verbesserung der Lage“, die man „zügig“ für „erforderlich“ hält.

Das Leistungsvolumen müsse erhöht, „Optimierungspotenziale zur Steigerung der betreibbaren Betten“ müssten erarbeitet, eine Verlagerung von stationär erbrachten Leistungen in den weniger lukrativen ambulanten Bereich vermieden werden. Bei Materialaufwand und Lagerbeständen will man deutlich reduzieren.

Doch beim Personalstand, der zwei Drittel der Kosten ausmacht, lässt sich kaum etwas ändern – im Gegenteil. Tatsächlich bräuchte man mehr Pflegepersonal.

„Unzufriedenheit aufgrund teilweiser dramatischer Leistungseinschränkungen durch die Situation im Pflegedienst“

Folgt man den im November vorgelegten Zahlen befindet sich das UKR bei den Vollzeitkräften in der Krankenversorgung etwa auf dem Stand von 2019. Insgesamt arbeiten etwas mehr als 3.500 Menschen in Vollzeit am Uniklinikum – rund 680 Ärzte, knapp 900 in der Pflege.

Die Zahl der Pflegekräfte ist in den letzten fünf Jahren sogar gesunken. Im Vergleich zu 2019 zwar nur leicht – um weniger als drei Prozent bei den Vollzeitkräften. Aber, das ist einer anderen Stelle des Protokolls zu entnehmen, bereits jetzt gibt es bei den Direktorinnen und Direktoren am UKR „Unzufriedenheit aufgrund teilweiser dramatischer Leistungseinschränkungen durch die Situation im Pflegedienst“.

Nachfrage beim Universitätsklinikum: Alles nur halb so wild?

Als wir das Universitätsklinikum mit den uns vorliegenden Zahlen aus dem Protokoll konfrontieren, will man die Situation gar nicht so schwarz sehen. Zwar räumt der Vorstand in einer längeren schriftlichen Stellungnahme (siehe unten) ein, dass die „finanzielle Situation deutscher Krankenhäuser, insbesondere der Universitätsklinika, (…) seit Jahren problematisch“ sei.

Die „komplizierte und häufig ineffiziente Finanzierungsstruktur im Gesundheitswesen“ wird bemängelt, ebenso stetig steigende Kosten und die nicht ausreichende Finanzierung von Forschung und Lehre.

Im Großen und Ganzen ist man aber sehr bemüht, ein positives Bild, von den Gegebenheiten am UKR zu zeichnen. 2023 habe man sogar „erfreulicherweise mit einem weitestgehend ausgeglichenem Wirtschaftsergebnis abschließen können“, heißt es.

Nachfrage beim Universitätsklinikum: Ein Protokoll, in dem das meiste nicht steht?

Dass das Protokoll der November-Klausur ein völlig anderes Bild zeichnet, erklärt das UKR damit, dass man – im Sinne der Patientinnen und Patienten – lediglich „verschiedene Szenarien der wirtschaftlichen Entwicklung unseres Hauses für das Jahr 2024“ habe durchspielen wollen.

Im Protokoll der Sitzung vom November sei „nur das Worst-Case-Szenario“ festgehalten worden, ergänzt UKR-Vorstandvorsitzender Professor Oliver Kölbl im persönlichen Gespräch. Die übrigen Szenarien und insbesondere notwendigen Änderungen, um dem Worst-Case-Szenario zu entgehen, seien aber „mündlich erörtert und diskutiert“ worden.

Für den ungewöhnlichen Umstand, dass diese „übrigen Szenarien und insbesondere notwendige Änderungen“ sowie deren Erörterung und Diskussion keinen Eingang ins Protokoll gefunden haben, erhalten wir keine Erklärung.

Nachfrage beim Universitätsklinikum: Nur ein „Worst Case-Szenario“?

Der Begriff „Worst Case“ findet sich weder im Protokoll noch in der flankierenden 26-seitigen Präsentation der kaufmännischen Direktorin.

Letztendlich aber sei vom Aufsichtsrat ein Wirtschaftsplan für 2024 genehmigt worden, mit einem Defizit im „niedrig einstelligen Millionenbereich“, welches „gerade im deutschlandweiten Vergleich ein sehr gutes Ergebnis darstellt und auch weit entfernt von der von Ihnen in den Raum gestellten Zahl liegt“, heißt es schriftlich.

Nachfrage beim Universitätsklinikum Regensburg: Mehr Patienten, Basisfallwerterhöhung und weniger Energiekosten sollen alles besser machen

Kölbl erklärt diese Wende unter anderem damit, dass sich „beispielsweise im Vergleich zum Vorjahr die Anzahl der behandelten Patienten nun personalbedingt deutlich steigern lässt, dass aufgrund der Basisfallwerterhöhung die Zahlungen der Kassen steigen werden, was beides zu Erlössteigerungen führen wird, und dass sich die Betriebskosten schon alleine aufgrund der fallenden Energiepreise reduzieren lassen“.

Genauere Zahlen erhalten wir nicht. Kaufmännische Direktorin Sabine Lange, die für die Präsentation der wirtschaftlichen Situation bei der November-Klausur verantwortlich zeichnet, nimmt an dem Gespräch mit unserer Redaktion nicht teil.

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Horror-Prognose am Uniklinikum Regensburg: Die zuständigen Ministerien ducken sich weg

Eine gleichlautende Anfrage mit Bitte um Stellungnahme zu der düsteren Prognose von November bei den drei bayerischen Ministerien für Wissenschaft, Gesundheit und Finanzen mündet in mehrere Anrufe bei unserer Redaktion.

Eine mündliche Aussage einer Sprecherin, derzufolge die Zahlen – ein prognostiziertes Defizit von über 45 Millionen – in den Ministerien nicht vorlägen und man diese nicht nachvollziehen könne, will man uns nicht schriftlich geben. Auf unser mündliches Angebot, dass wir das Protokoll zur Verfügung stellen würden, sollte es in keinem der Ministerien vorliegen, wird nicht eingegangen.

Die im Protokoll dokumentierte Aussage, dass das UKR „lediglich aufgrund der Gewährträgerschaft des Freistaats Bayern einer Anmeldung zur Insolvenz“ entgehe, kommentiert man nicht. Zum Umstand, dass Vertreter des bayerischen Wissenschaftsministeriums im Aufsichtsrat dabei waren, als ein erster Wirtschaftsplan für 2024 bis 2028 abgelehnt wurde, sagt man nichts.

Eine für Montag in Aussicht gestellte Stellungnahme bleibt aus.

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