IT im Gesundheitswesen

Der steinige Weg zu Digital Health

von - 25.02.2024
Foto: Shutterstock / PopTika
IT soll in Krankenhaus und Arztpraxis Personal entlasten und Therapien verbessern. Doch die Digitalisierung kommt nur mühsam voran.
Das Gesundheitswesen in Deutschland ist selbst alles andere als gesund. Mehr als die Hälfte der Krankenhäuser wies 2022 ein Defizit aus, so die Krankenhausstudie von Roland Berger, für kürzlich die Geschäftsführer und ärztliche Direktorinnen der 600 größten Kliniken Deutschlands befragt wurden. Nur drei Prozent rechnen damit, dass sich die wirtschaftliche Situation ihres Hauses bis 2024 verbessert, 53 Prozent glauben sogar, dass die Zahl der Krankenhäuser in Deutschland bis 2033 auf unter 1250 sinken wird. Das Kliniksterben würde damit mindestens noch ein weiteres Drittel der deutschen Krankenhäuser betreffen.
Das Stimmungsbarometer der Stiftung Gesundheit, das die wirtschaftliche Lage von Hausärzten, Fachärztinnen, Zahnärzten und Psychotherapeutinnen erfasst, erreichte im 2. Quartal 2023 mit minus 31,1 Punkten einen der niedrigsten Werte, die je ermittelt wurden. Auch bei der Patientenzufriedenheit sieht es düster aus. „Wir stellen leider fest, dass sich einige der Dauerbaustellen in unserem Gesundheitswesen zunehmend negativ auf die Versorgung auswirken und oft persönliche Krisen für die betroffenen Ratsuchenden darstellen“, berichtete Thorben Krumwiede, Geschäftsführer der Unabhängigen Patientenberatung Deutschland (UPD), anlässlich der Vorstellung der Studie „Monitor Patientenberatung 2022“.

Pleiten, Pech und Pannen

Die großen Digitalisierungsprojekte im Gesundheitswesen trugen bislang auch nicht gerade zur Stimmungsaufhellung bei. Die elektronische Patientenakte (ePA) sollte seit dem 1. Januar 2021 allen gesetzlich Versicherten zur Verfügung stehen, tatsächlich wird sie einer Umfrage des Digitalverbands Bitkom zufolge aktuell nur von einem Prozent genutzt. Überschattet wurde die Einführung darüber hinaus durch den Streit zwischen dem Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit (BfDI), Professor Ulrich Kelber, und den Krankenkassen. Nach Ansicht Kelbers verstießen die nach dem Patientendaten-Schutz-Gesetz (PDSG) vorgesehenen Zustimmungsregelungen gegen die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO). „Meine Behörde wird aufsichtsrechtliche Maßnahmen gegen die gesetzlichen Krankenkassen in meiner Zuständigkeit ergreifen müssen, wenn das PDSG in seiner derzeitigen Fassung umgesetzt werden sollte“, drohte Kelber. Auch bei der Einführung des elektronischen Rezepts (E-Rezept) legte Kelber mehrfach sein Veto ein.
Die Gesellschaft für Telematik (Gematik), die vom Bund und den Spitzenorganisationen des Gesundheitswesens getragen wird, gerät ebenfalls immer wieder in die Kritik. Der 2005 gegründete IT-Dienstleister soll die Digitalisierung im Gesundheitswesen koordinieren und vorantreiben. 2020 kam es zu einer Störung in der Telematikinfrastruktur (TI), in deren Folge zehntausende Praxen die Versichertenstammdaten nicht mehr online abgleichen konnten. Dr. Thomas Kriedel, Vorstandsmitglied der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), warf der Gematik damals vor, beim Management der Störung versagt zu haben: „Wir als KBV – und Gesellschafter der Gematik – haben erst zwei Tage nach Auftritt der Panne überhaupt von dem Problem erfahren“, so Kriedel vor der KBV-Vertreterversammlung.
Matthias Meierhofer
Vorstandsvorsitzender, Meierhofer AG
Foto: Sebastian Widmann
„Die Anzahl der Digitalisierungsprojekte im deutschen Gesundheitswesen ist aktuell
so hoch wie nie.“
Im vergangenen Jahr kam es zum Streit zwischen der Gematik und dem Chaos Computer Club (CCC). Anlass war der bevorstehende Austausch von rund 130.000 Konnektoren, speziellen VPN-Routern, mit denen Arztpraxen an die TI angeschlossen werden. Die Konnektoren müssen alle fünf Jahre erneuert werden, weil ein Sicherheitszertifikat abläuft. Die Kosten des Austauschs belaufen sich auf über 300 Millionen Euro – ein gutes Geschäft für die nur vier Hersteller, die sich den Konnektorenmarkt aufteilen. Der CCC wies nach, dass sich das Zertifikat prinzipiell aktualisieren lässt, ohne die Geräte öffnen oder austauschen zu müssen. „Hier will sich ein Kartell durch strategische Inkompetenz am deutschen Gesundheitssystem eine goldene Nase verdienen“, schimpfte Dirk Engling, Sprecher des Chaos Computer Clubs. „Dabei werden immense Kosten für alle Versicherten, sinnloser Aufwand für einen Austausch bei allen Ärzten und tonnenweise Elektroschrott in Kauf genommen.“ Die Gematik blieb bei ihrer Einstellung. Der Hardwaretausch sei „als insgesamt sicherste und wirtschaftlichste Lösung identifiziert“ worden, hieß es in einer Pressemitteilung der Gesellschaft.

Lauterbach drückt aufs Tempo

Man kann Gesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach verstehen, wenn er anlässlich der Vorstellung seiner Digitalisierungsstrategie „jahrzehntelange Rückstände“ im Gesundheitswesen beklagt: „Digitalisierung spielt in der Medizin eine immer größere Rolle“, so der Minister. „Eine wirklich gute Versorgung ist … ohne den Zugriff auf Patientendaten nicht mehr wirklich gut darstellbar.“ Juliana Gralak vom Bundesverband Gesundheits-IT – bvitg e. V. sieht dies ähnlich: „Gesundheits-IT leistet einen großen Wertbeitrag für das Gesundheitswesen, da mittlerweile beinahe alle Beteiligten die Digitalisierung der Versorgung als notwendigen Schritt zur Lösung bestehender und kommender Versorgungsthematiken sehen“, erklärt die Referentin Presse & Kommunikation, „Leider hinkt die Digitalisierung des Gesundheitswesens hierzulande anderen Ländern, wie zum Beispiel Finnland, Dänemark oder Israel, hinterher.“
Ferdinand Nitschke
Senior Project Lead, Siemens Healthineers Consulting
Foto: Siemens
„Fast alle Prozesse in Krankenhäusern sind mittlerweile digital unterstützt.“
Der Gesundheitsminister drückt deshalb nun mächtig aufs Tempo: Bis Ende 2024 soll die elektronische Patientenakte für alle gesetzlich Versicherten eingerichtet sein, sofern sie nicht aktiv widersprechen (Opt-Out). Das E-Rezept wird zum 1. Januar 2024 verbindlicher Standard, bereits seit Juli 2023 kann es nicht nur mit der ePA-App, sondern auch mit der Gesundheitskarte eingelöst werden. Die Gematik soll zu 100 Prozent vom Bund übernommen und zu einer Digitalagentur werden. Telemedizin-Angebote in Apotheken und Gesundheitskiosken sollen die zunehmende Verschlechterung der Versorgung vor allem in ländlichen Gebieten zumindest teilweise kompensieren. „Dies sichert eine gute Versorgungsqualität unabhängig von Geburtsjahr und Wohnort“, ist Juliana Gralak überzeugt.

Die digitale Zukunft der Krankenhäuser

Ein weiterer Baustein in der Digitalisierungsstrategie der Bundesregierung ist das Krankenhauszukunftsgesetz (KHZG) von 2020. Es stellt für Digitalisierungsprojekte in Kliniken sowie für Investitionen in IT-Infrastruktur und IT-Sicherheit 4,3 Milliarden Euro Fördergelder bereit. Krankenhäuser, die in den in §19, Abs. 1 genannten Fördertatbeständen zwei bis sechs (Patientenportal, Pflege- und Behandlungsdokumentation, Entscheidungsunterstützung, Medikationsmanagement, Leistungsmanagement) nicht digitalisieren, droht sogar eine Reduktion ihrer gegewärtigen Finanzierung. Ab 2027 müssen Kliniken die Digitalisierung schrittweise nachweisen, wenn sie Sanktionen vermeiden wollen. Ursprünglich sollten förderfähige Digitalisierungsprojekte bis 2024 abgeschlossen sein, diese Frist wurde 2022 allerdings aufgeweicht. Der Stichtag 31.12.2024 gilt nur noch für die Beauftragung.
Der sanfte Druck zeigt Wirkung: „Die Zahl der Digitalisierungsprojekte im deutschen Gesundheitswesen ist aktuell so hoch wie nie“, berichtet Matthias Meierhofer, Vorstandsvorsitzender der Meierhofer AG, einem auf das Gesundheitswesen spezialisierten Softwarehersteller. „Fast alle Prozesse in Krankenhäusern sind mittlerweile digital unterstützt oder könnten digital unterstützt sein“, bestätigt Ferdinand Nitschke, Senior Project Lead bei Siemens Healthineers Consulting, den Trend. „Die Vielfalt an Lösungen und Anbietern ist enorm.“
Klinikchefs sehen laut der Roland-Berger-Studie vor allem die Chance, durch Digitalisierung Prozesse zu optimieren und Leistungen effektiver erbringen zu können. Krankenhaus-Informationssysteme (KIS) und Patientendaten-Managementsysteme (PDMS) sollen helfen, Mitarbeitende von Dokumentationspflichten zu entlasten und die Versorgungsqualität zu erhöhen. „Diese Anwendungen unterstützen das klinische Personal im Arbeitsalltag entlang des gesamten Behandlungsverlaufs von der Aufnahme bis zum Entlassmanagement“, erklärt Matthias Meierhofer, „Sie ermöglichen die Dokumentation sowie das Abrufen von medizinischen, pflegerischen und administrativen Informationen und Patientendaten und leisten einen wichtigen Beitrag zur Entscheidungsunterstützung.“
Wo die IT zu besseren Diagnosen und Therapien beiträgt
Fortschritte in der Datenerhebung und Datenanalyse machen ziel­gerichtete, individuelle Therapieansätze möglich. Teilweise sind sie heute schon im Einsatz, teils noch ein Versprechen auf die Zukunft. Davon profitieren nach Einschätzung der Bundesärztekammer vor allem Patientinnen und Patienten mit Krebs, bestimmten Infek­tions-, Lungen- oder Nervenkrankheiten wie Hepatitis, Mukoviszi­dose und Spinale Muskelatrophie (SMA). Dabei kommen vor allem folgende Verfahren und Methoden zum Einsatz:
  • Hochdurchsatz-Sequenzierung: „High-Throughput“-Sequenzier­maschinen können in wenigen Stunden tausende von Gen­sequenzen analysieren und beispielsweise auf eine Krebser­krankung hindeutende Biomarker identifizieren. Mit der massen­haften Anwendung solcher Sequenzierungsverfahren steigt allerdings auch die Gefahr von falsch-positiven Befunden.
  • Kognitive Assistenzsysteme: Durch die Erfassung großer Daten­mengen (Big Data) und deren Analyse mithilfe von Machine Learning und anderen KI-Methoden sollen Ärztinnen und Ärzte therapeutische Entscheidungen schneller und besser treffen können.
  • KI-basierte Bildauswertung: Vortrainierte Deep-Learning-Algorithmen können Muster in Gewebeproben oder Röntgen­bildern erkennen und so die behandelnden Ärztinnen und Ärzte auf Anomalien oder diagnostische Marker hinweisen.
  • Digitaler Zwilling von Geweben und Organen: Big Data und KI ermöglichen es, individuelle Gewebestrukturen und Organe digital zu repräsentieren. Am digitalen Zwilling lässt sich beispielsweise nicht-invasiv und ohne Beeinträchtigung der Patienten simulieren, welche Auswirkungen Therapie­entschei­dungen haben oder wie sich eine Krankheit voraussichtlich entwickelt.
  • Robotergestützte Chirurgie (Robotic-assisted Surgery): Vor allem bei minimalinvasiven Präzisionseingriffen kann die Unterstützung durch Robotiksysteme die Zahl von Fehlern minimieren und zu besseren OP-Ergebnissen führen.
Quelle: „Präzisionsmedizin: Bewertung unter medizinisch-wissenschaftlichen und ökonomischen Aspekten, Stellungnahme des Vorstands der Bundesärztekammer, 2020, ergänzt, verändert“

Welche Folgen hat der SAP-Ausstieg?

Als ob die Digitalisierung an sich nicht schon genug Herausforderungen für die Krankenhäuser mit sich brächte, haben sie auch noch mit gravierenden Veränderungen in der Anbieterlandschaft zu kämpfen: „Der KIS-Markt ist derzeit heftig in Bewegung und von Übernahmen, Zukäufen und erwarteten Abkündigungen geprägt“, berichtet Matthias Meierhofer. So hat SAP beispielsweise das Wartungsende für die Branchenlösung Industry Solution Healthcare (IS-H) angekündigt. Als Bestandteil von SAP ECC (ERP Central Component) wird sie ab 2030 keine Updates oder Patches mehr erhalten. „Von der SAP-Entscheidung sind auch Häuser betroffen, die das Krankenhausinformationssystem i.s.h.med von Oracle/Cerner im Einsatz haben, da es auf demselben Technologiestack basiert“, erklärt Meierhofer-CEO Matthias Meierhofer. „Auch diesen Krankenhäusern stehen Migrationsprojekte im großen Umfang bevor.“
Die ursprüngliche Idee von SAP, ein neues Patienten-Accounting-System als Cloud-Service zu entwickeln, wurde aus rechtlichen Gründen verworfen: „Einige Landeskrankenhausgesetze sowie das deutsche Bundesdatenschutzgesetz setzen für die Überführung von Patientendaten in die Cloud enge Grenzen“, erläutert Nikolaus Hagl, Leiter des SAP-Geschäftsbereichs Public & Energy sowie Mitglied der Geschäftsleitung von SAP Deutschland. Stattdessen setzen die Walldorfer jetzt auf Partner, die auf Basis der SAP Business Technology Plattform branchenspezifische Lösungen entwickeln sollen. „Um entsprechende Angebote für die Gesundheitswirtschaft gezielt voranzutreiben, haben wir bereits 2021 die Initiative SAP Healthcare Partner ins Leben gerufen“, so Hagl weiter.
Meierhofer sieht in dieser Entwicklung auch Chancen: „Bislang hat jedes Krankenhaus an seiner individuellen IT-Landschaft gebaut und es sind viele Ressourcen bei der unterschiedlichen Ausgestaltung ein und derselben Prozesse gebunden worden. Das wird nun ein Ende haben.“ Die Meierhofer AG hat ein Einführungskonzept namens „M-KIS Now“ entwickelt, das einen schnellen und kosteneffizienten Umstieg auf ein neues Krankenhaus-Informationssystem ermöglichen soll. „Mit 80 Prozent Standard und 20 Prozent Individualität migrieren wir neue Kunden binnen 12 Monaten“, versichert Meierhofer.

KI als Hoffnungsträger

Eine immer größere Rolle spielt natürlich auch im Gesundheitswesen die Trend-Technologie dieser Tage: Künstliche Intelligenz. In der Klinikstudie von Roland Berger war KI erstmals ein Bestandteil und kam aus dem Stand auf Platz zwei der wichtigsten Technologien – hinter Telemedizin und vor Robotic Surgery. Die Teilnehmer der Bitkom-Studie sahen zu 81 Prozent große Chancen für den KI-Einsatz im Gesundheitswesen, 70 Prozent sind der Meinung, Ärztinnen und Ärzte sollten wann immer möglich KI-Hilfe in Anspruch nehmen. „Künstliche Intelligenz kann beispielsweise dabei unterstützen, klinische Bilder wie Scans von Computertomographen zu analysieren“, weiß Ferdinand Nitschke von Siemens Healthineer Consulting. „Ähnlich ist es bei der automatisierten Analyse von Elektrokardiogrammen des Herzens, welche die Befundung datenbasiert unterstützt und Handlungsempfehlungen gibt.“
Was KI in der Medizin leisten kann, zeigt beispielhaft der digitale Zwilling der Lunge, den das Münchner Startup Ebenbuild  mit dem Klinikum Rechts der Isar entwickelt. Das Forscherteam will eine individualisierte Beatmungstherapie ermöglichen, die zu einer höheren Überlebensrate, weniger Nebenwirkungen und einer schnelleren Erholung der beatmeten Patienten beiträgt. Alle dafür relevanten Daten wie Anamnese, CT-Scans oder Röntgenbilder werden in einer Cloud zusammengeführt und mit einem vortrainierten KI-Modell analysiert. Ziel ist es, den Ärzten in Echtzeit einen Digital Twin der Lunge am Patientenbett zur Verfügung zu stellen und sie so bei der Entscheidungsfindung für die richtigen Beatmungsparameter zu unterstützen.
Technologien und ihre Relevanz für die Medizin bis 2033
(Quelle: Roland Berger, Krankenhausstudie 2023, n=600 )

Digitale Gesundheitsrisiken

Mit der zunehmenden Digitalisierung vergrößert sich auch die Angriffsfläche für Cyberkriminelle. Es ist daher kein Wunder, dass Einrichtungen des Gesundheitswesen immer wieder ins Visier der Angreifer und damit auch in die Schlagzeilen geraten. So traf es beispielsweise 2018 das Klinikum Fürstenfeldbruck, das nach einer Infektion mit dem Trojaner Emotet sämtliche Rechner abschalten musste. Im Jahr 2019 legte ein Angriff auf die zentralen IT-Systeme der DRK-Trägergesellschaft Süd-West mehrere angeschlossene Krankenhäuser in Rheinland-Pfalz und im Saarland lahm, 2021 wurde die Wolfenbüttel Clinic Opfer eines Hackerangriffs, im vergangenen Jahr erlitt unter anderem das Klinikum Lippe einen Einbruch in seine IT-Systeme und im Mai dieses Jahres mussten die Kliniken im Verband Bremer Gesundheit Nord (Geno) einen Cybervorfall melden, bei dem Daten gestohlen wurden.
Juliana Gralak
Referentin Presse & Kommunikation, Bundesverband Gesundheits-IT – bvitg e. V.
Foto: bvitg e.V.
„Gesundheits-IT leistet einen großen Wertbeitrag für das Gesundheitswesen.“
Im Jahr 2020 kam es an der Uniklinik Düsseldorf nach einem Angriff russischer Hacker sogar zu einem Todesfall. Weil sich die Uniklinik aufgrund der IT-Ausfälle von der Notfallversorgung abmelden musste, wurde eine Patientin in ein weiter entferntes Krankenhaus gebracht. Die lebensrettende Behandlung verzögerte sich, die Patientin starb kurze Zeit später. Die Staatsanwaltschaft ermittelte wegen des Verdachts auf fahrlässige Tötung, konnte aber keinen kausalen Zusammenhang zwischen dem Hackerangriff und dem Tod der Patientin feststellen.
Neben direkten Angriffen auf Kliniken stehen vor allem die Telematik-Infrastruktur und auf das Gesundheitswesen spezialisierte IT-Dienstleister im Visier der Cyberkriminellen. So gelang es Angreifern Anfang 2023 in die IT-Systeme des Managed Service Providers Bitmarck einzudringen, zu dessen Kunden Betriebs- und Innungskrankenkassen sowie die DAK gehören. Presseberichten zufolge konnten die Kriminellen über eine Million Datensätze erbeuten, die im Darknet zum Verkauf angeboten wurden. Bitmarck beteuert in einer Stellungnahme dennoch, dass keine Kunden-, Versicherten- oder Patientendaten abgeflossen seien.
In Ländern, in denen die Digitalisierung des Gesundheitssystems weiter fortgeschritten ist, ist ein solcher „Abfluss“ von Patientendaten längst an der Tagesordnung. So kam es in den USA laut einem Report von Atlas VPN, für den öffentliche Daten des U.S. Department of Health & Human Services (HHS) ausgewertet wurden, in diesem Jahr bereits zu fast 500 meldepflichtigen Vorkommnissen. Rund ein Viertel der Amerikaner war betroffen – mehr als doppelt so viele wie im vergangenen Jahr.
In Deutschland versuchen Gesetzgeber, Behörden und Gremien eine solche Entwicklung zumindest abzubremsen. Laut §14a, Abs. 3 des KHZG müssen 15 Prozent der gewährten Fördermittel für die Krankenhausdigitalisierung zur Verbesserung der Informationssicherheit verwendet werden, die IT-Sicherheitsrichtlinie nach §75 SGB V regelt die Anforderungen für niedergelassene Ärztinnen, Zahnärzte und Psychotherapeutinnen in der gesetzlichen Versorgung. Die Bundesverbände der Ärzte und Zahnärzte (KBV und KZBV) haben für die Umsetzung Richtlinien veröffentlicht, der KBV gibt zudem eine Liste zertifizierter Dienstleister heraus, die Praxen bei der IT-Sicherheit unterstützen. Auch das BSI beteiligt sich am Schutz der Gesundheits-IT. Es berät insbesondere die Gematik GmbH und zertifiziert Komponenten der Telematikinfrastruktur.

Fazit & Ausblick

Die Digitalisierung im Gesundheitswesen steht unter keinem guten Stern. Krankenhäuser, Praxen und Pflegeeinrichtungen sind bereits überlastet. Der Aufwand durch IT-Projekte kommt da mehr als ungelegen. „Der Personalmangel ist im Gesundheitswesen und in der IT bereits groß“, weiß Ferdinand Nitschke von Siemens Healthineers Consulting, „Kombiniert man beide Bereiche, sieht es natürlich nicht besser aus.“ Er rät den Gesundheitseinrichtungen, IT als strategisches Thema und nicht nur als notwendiges Übel zu begreifen: „Dabei ist es wichtig, die Nutzerschaft bei der Einführung digitaler Lösungen von Beginn an einzubinden, um Probleme im Alltag sowie mögliche Ängste zu verstehen und zu berücksichtigen.“ Digitalisierung bedeute auch, sich auf neue Arbeitsweisen einzulassen, ergänzt Matthias Meierhofer: „Es bringt wenig, einen analogen papierbasierten Prozess einfach eins zu eins in die digitale Welt zu übertragen.“
Ob die Digitalisierung nun Begeisterung, Abwehr oder Angst bei den Beteiligten auslöse – es bleibe nichts anderes übrig, als sich mit ihr anzufreunden, konstatiert Bitkom-Präsident Wintergerst: „Nur mit der Digitalisierung wird die Qualität der medizinischen Versorgung in Deutschland überhaupt gehalten und verbessert werden können - trotz Ärztemangel, Pflegenotstand und chronischer Unterfinanzierung.“
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