Bundessozialgericht

Verhandlung B 6 KA 2/23 R

Vertragsarztrecht - vertragsärztliche Versorgung - Krankenhaus - ambulante Notfallbehandlungen - Vergütung

Verhandlungstermin 06.03.2024 14:30 Uhr

Terminvorschau

V. GmbH ./. Kassenärztliche Vereinigung Berlin
Die Beteiligten streiten über die Höhe der Vergütung für die Quartale 3/2007 und 4/2007. Streitig ist noch, in welcher Höhe die Beklagte berechtigt war, den (bis zum 31. Dezember 2015 geltenden) zuvor nicht berücksichtigten Investitionskostenabschlag von einer Nachzahlung für ambulante Notfallbehandlungen in Abzug zu bringen.

Die Klägerin ist Trägerin eines im Bezirk der beklagten Kassenärztlichen Vereinigung gelegenen öffentlich geförderten Krankenhauses. Die in den streitigen Quartalen erbrachten ambulanten Notfallleistungen für Versicherte der gesetzlichen Krankenversicherung rechnete sie mit den Gebührenordnungspositionen 01210 bis 01217 des Einheitlichen Bewertungsmaßstabes für ärztliche Leistungen ab (Ordinationskomplex beziehungsweise Konsultationskomplex im organisierten Not<fall>dienst). Die Beklagte erkannte dagegen nur die Gebührenordnungsposition 01218 (Notfallbehandlung durch nicht an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmende Ärzte, Institute und Krankenhäuser) an und setzte das Honorar für die Notfallbehandlungen entsprechend niedriger fest. Die Klägerin legte gegen die Honorarbescheide jeweils Widerspruch ein, mit dem sie sich gegen die sachlich-rechnerische Berichtigung der Gebührenordnungspositionen der Notfallbehandlungen wandte.

Nachdem der erweiterte Bewertungsausschuss rückwirkend die Vergütung der Notfallbehandlung durch Krankenhäuser an die Vergütung im organisierten Notfalldienst angepasst hatte, half die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 16. Mai 2017 den Widersprüchen teilweise ab. Sie bewilligte der Klägerin für die Notfallbehandlungen eine Nachvergütung, von der sie allerdings den nach § 120 Absatz 3 Satz 2 SGB V alte Fassung vorgeschriebenen Investitionskostenabschlag von 10 Prozent auf das Gesamthonorar abzog, den sie bei der ursprünglichen Honorarfestsetzung versehentlich nicht berücksichtigt hatte. Die Klage hiergegen ist erfolglos geblieben. Das Landessozialgericht hat dagegen auf die Berufung der Klägerin die Beklagte antragsgemäß verurteilt, der Klägerin eine weitere Vergütung für die Notfallbehandlung zu zahlen. In dem Vorgehen der Beklagten, den Investitionskostenabschlag auf das Gesamthonorar der beiden streitigen Quartale zu erheben, liege eine unzulässige reformatio in peius. Die Verwaltungsentscheidung dürfe im Widerspruchsverfahren nicht zuungunsten des Widerspruchsführers verbösert werden. Die Beklagte habe den Investitionskostenabschlag daher allein aus der Nachvergütung der Notfallbehandlung ermitteln müssen. Nur diese sei noch nicht bindend gewesen, denn die Widersprüche der Klägerin hätten sich auf die Überprüfung des Honorars für die Notfallbehandlungen beschränkt. Nach Ablauf der vierjährigen Ausschlussfrist habe eine nachträgliche Korrektur des Gesamthonorars nur noch unter Berücksichtigung der Vertrauensausschlusstatbestände des § 45 Absatz 2 Satz 3 in Verbindung mit Absatz 4 Satz 1 SGB X erfolgen dürfen, die nicht vorlägen.

Die Beklagte rügt mit ihrer Revision sinngemäß eine Verletzung des Grundsatzes der reformatio in peius. Dieser erlaube, den Investitionskostenabschlag von dem neu ermittelten Gesamthonorar vorzunehmen, da darin keine Schlechterstellung der Klägerin („Verböserung“) liege.

Verfahrensgang:
Sozialgericht Berlin, S 83 KA 166/17, 25.09.2019
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, L 7 KA 52/19, 21.12.2022

Sämtliche Vorschauen zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in der Terminvorschau 6/24.

Terminbericht

Die Revision der Beklagten war nur teilweise erfolgreich. Die Beklagte durfte den Investitionskostenabschlag auf die gesamte Vergütung der ambulanten Notfallleistungen erheben und nicht nur auf die Nachzahlungen. Im Übrigen ist das Landessozialgericht aber zutreffend davon ausgegangen, dass sich die Widersprüche der Klägerin jeweils lediglich auf den abtrennbaren Teil der Vergütung für die ambulanten Notfallleistungen und nicht auf den gesamten Honorarbescheid bezogen haben. Die Feststellungen des Landessozialgerichts in Bezug auf den Inhalt der Widersprüche und die von ihm vorgenommene Auslegung sind revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Weder hat es gegen Auslegungsgrundsätze noch gegen allgemeine Erfahrungssätze oder gegen Denkgesetze verstoßen.

Nach der rückwirkenden Änderung sowohl des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs für vertragsärztliche Leistungen als auch des Honorarverteilungsmaßstabs hatte die Beklagte die Vergütung der Klägerin für die Notfallbehandlung insgesamt neu zu berechnen. Dabei durfte die Beklagte den Investitionskostenabschlag für öffentlich geförderte Krankenhäuser in Abzug bringen, den sie versehentlich zunächst nicht berücksichtigt hatte. Hierin liegt keine unzulässige reformatio in peius im Sinne einer Verschlechterung der Rechtsposition der Klägerin im Widerspruchsverfahren, da es trotz der Kürzung bei einer Nachzahlung verblieb. Ein höherer Abzug von Investitionskosten, ausgehend von dem der Klägerin bewilligten Gesamthonorar, war dagegen nicht zulässig. Die Teile des Gesamthonorars, die die Klägerin mit ihrem Widerspruch nicht angegriffen hatte, konnten nach Ablauf der vierjährigen Ausschlussfrist und mangels Vertrauensausschlusstatbeständen nicht mehr zu Lasten der Klägerin korrigiert werden.

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