Pleiten drohen „Wenn die Klinik auf dem Land schließt, fühlen sich die Menschen abgehängt“

Verantwortungsvoller Job, oft schlechte Rahmenbedingungen: Viele Kliniken stehen vor Problemen. Quelle: imago images

In der Stadt zu viele, auf dem Land zu wenige: ein Insolvenzverwalter berichtet über Wunschdenken und Widerstände bei der Rettung von Krankenhäusern.

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WirtschaftsWoche: Herr Niering, Sie haben schon viele gemeinnützige und kommunale Krankenhäuser in der Insolvenz begleitet. Warum trifft es inzwischen so viele?
Christoph Niering: Schon vor Corona war die Lage vieler Krankenhäuser sehr angespannt. Die umfassenden Corona-Hilfen haben diese Situation nur überdeckt. Zurückgehende Patientenzahlen, Energiepreissteigerungen, deutliche Tarifsteigerungen ohne ausreichende Gegenfinanzierung und gestiegene gesetzliche Anforderung setzen gerade den kleineren Krankenhäusern zu. Die Insolvenz ist dann die logische Folge. 

Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hat eine Krankenhausreform angekündigt, die gute Versorgung belohnen und Geld zum Umbau geben soll. Hilft das nicht?
Die Reform kommt, aber wieviel Geld da ist und für wen, bleibt unklar. Zudem ist unklar, wann sie kommt. Viele Krankenhäuser befinden sich in der finanziellen Schieflage. Nun findet über die Insolvenz eine unkontrollierte Marktbereinigung statt. Diese trifft nicht nur kleinere Häuser, sondern auch Klinikverbünde und immer wieder Krankenhäuser im ländlichen Raum.



Warum übernimmt niemand die Aufgabe zu sagen, wie die Menschen bundesweit versorgt werden sollen?
Krankenhausplanung ist unpopulär und teuer. Die Konzentration auf wenige, aber deutlich besser ausgestattete Kliniken erfordert immense Investitionen. Gleichzeitig stößt selbst die Schließung kleinster Krankenhäuser auf Widerstand. Im ländlichen Raum fühlen sich die Menschen dann abgehängt, auch wenn sie bei planbaren Eingriffen längst selbst Fachkliniken aufsuchen. Der Verlust des Krankenhauses reiht sich dort in die Kette der Schließungen von Bahnhöfen, Schulen, Arztpraxen und Freizeiteinrichtungen ein.

Quelle: PR

Zur Person

Das sind Probleme auf dem Land. Wie sollte es Ihrer Ansicht nach ablaufen?
In Ostfriesland entsteht gerade ein Zentralklinikum mit 800 Betten. Es soll drei kleinere Krankenhäuser ersetzen und gute Medizin sicherstellen. Das ist der richtige Weg. Aber dafür muss jemand entscheiden, welche Versorgung wo stattfinden soll und es muss jemand die Mittel dafür zur Verfügung stellen.

Und in Großstädten, wo im Radius von wenigen Minuten Fahrzeit gleich mehrere Häuser um Patienten buhlen?
Dort gäbe es enormes Potenzial für die Zusammenlegung von Kliniken ohne Einbußen für die Patientenversorgung. Im Gegenteil: Die Zusammenlegung hätte auf Dauer sowohl bei den Kosten als auch bei der Personalausstattung und der Qualität große Vorteile. Hier sind die Länder gefragt, sie müssen den Umbau planen und finanzieren.

In der Insolvenz ist Ihre Aufgabe, treuhänderisch die Geschäfte zu ordnen und einen Investor zu suchen. Welche Situation finden Sie meist vor?
Zunächst sind die Befürchtungen groß, Patienten und Mitarbeitende zu verlieren. Aber in fast allen Fällen ist das Gegenteil der Fall. Die emotionale Bindung ans Krankenhaus stärkt den Zusammenhalt. In der Insolvenz können dann viele längst überfällige Veränderungen auf den Weg gebracht werden. Die Häuser gehen gestärkt aus dem Insolvenzverfahren. Das ist die eine Seite. Aber wir beobachten auf Seiten der Krankenkassen eine wachsende Unzufriedenheit, wenn wir ein Krankenhaus erhalten können. Anscheinend ist der Erhalt kleinerer Krankenhäuser nicht gewollt, selbst dort, wo sie im ländlichen Raum versorgungsnotwendig sind. In der Politik ist die Reaktion diplomatischer, aber nicht besser. Auch hier passt eine Schließung wohl eher ins Konzept als die Standortsicherung.

Woran erkennen Sie, ob die Einrichtung gewollt ist – auch wenn es keiner ausspricht?
Die Anzeichen sind vielfältig. Der Medizinische Dienst der Krankenkassen ist einer der kritischen Punkte. Maximal zehn Prozent der Behandlungsfälle dürfen nach den gesetzlichen Regeln von ihm überprüft werden. Da geht es darum, ob etwa die abgerechnete Chefarztbehandlung tatsächlich gewährt wurde. Manche Kassen legen in der Insolvenz plötzlich 25 Prozent der Fälle erstmal zur Seite und wollen später entscheiden, welche zehn Prozent sie prüfen. Für dieses Viertel werden entgegen den Regeln dann nur Abschläge gezahlt. Das bedeutet eine doppelte Einbuße bei knappen Mitteln.

Die Klinikreform von Gesundheitsminister Karl Lauterbach lässt auf sich warten. Häuser gehen pleite – und Insolvenzverwalter versuchen zu retten, was geht.
von Cordula Tutt, Henryk Hielscher

Solche Dinge passieren erst in der Insolvenz?
Meines Wissens ja. Die Kassen nutzen ihre Marktmacht aus. Krankenhäuser sind darauf angewiesen, dass die Kassen auch die erbrachte Leistung zahlen – tun sie aber häufig nicht. Sie nehmen etwa Verrechnungen vor, die von der Insolvenzordnung ausdrücklich untersagt werden. Kassen zahlen die abgerechnete Behandlung nicht, sondern verrechnen mit Forderungen von vor der Insolvenz. Das wieder in Ordnung zu bringen, kostet das insolvente Krankenhaus Zeit und Geld. Beides ist dann besonders knapp.

Eigentlich bekommen insolvente Unternehmen doch finanzielle Luft, etwa durch das Insolvenzgeld, das drei Monate lang für Löhne und Gehälter aufkommt.
Eigentlich ja. Das Insolvenzgeld, welches über eine Umlage von allen Arbeitgebern finanziert wird, soll Arbeitnehmer schützen und helfen, Unternehmen zu erhalten. Auch da wachsen die Begehrlichkeiten gerade der AOK. Das ist besonders ärgerlich, da sie bei den Budgetverhandlungen auf Seiten der Krankenkassen die Verhandlungen führt. Dann ist die Gefahr groß, dass die anderen Kassen dem schlechten Beispiel folgen. Die neueste Idee ist, über das Pflegebudget Zugriff aufs Insolvenzgeld zu bekommen. Das ist ohne rechtliche Grundlage. 

Stellungnahme

Das müssen Sie genauer erklären.
Im Krankenhausentgeltgesetz steht, dass die Kosten für die Pflege am Bett mit einem gesonderten Pflegebudget erstattet werden und so die Patientenversorgung verbessert werden soll. Gerade die AOK  verweigert die vollständige Zahlung des Budgets mit dem Hinweis auf das Insolvenzgeld. Damit wollen sie Millionen sparen, die sie außerhalb der Insolvenz hätten zahlen müssen. Das Geld fehlt dann bei den ohnehin schon ums Überleben kämpfenden Krankenhäusern.

Finden Sie unter solchen Bedingungen Käufer für kleine insolvente Kliniken?
Auch Investoren spüren diesen aktiven oder zumindest passiven Widerstand. Viele Interessenten steigen dann frühzeitig aus einem Verkaufsprozess aus, selbst bei großen Häusern mit einigen hundert Betten.

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Warum schaffen es Krankenhäuser oft nicht aus eigener Kraft, sich zu modernisieren und zu konsolidieren?
Die Einsicht ist vorhanden, aber oft fehlt es an der konkreten Umsetzungsidee und dem erforderlichen Durchsetzungswillen. Noch häufiger aber fehlt einfach das notwendige Geld. Das ist Folge der chronischen Unterfinanzierung der letzten Jahre und Jahrzehnte. 

Lesen Sie auch: Wie Minister Karl Lauterbach seine Klinikreform verschleppt

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