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Warum es Streit um die Krankenhausrechnung gibt

Ravensburg / Lesedauer: 4 min

Die Krankenkassen gehen hart mit den Kliniken ins Gericht. Doch die Krankenhäuser beklagen eine generelle Misstrauenskultur.
Veröffentlicht:01.04.2024, 17:00

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Die Krankenhäuser liegen mit den Krankenkassen im Clinch. Dabei geht es natürlich ums Geld. Denn die Kassen werfen den Kliniken vor, überhöhte Rechnungen auszustellen. Die Krankenhäuser beklagen auf der anderen Seite, dass die Krankenkassen am „grünen Tisch“ über die Rechnungen entscheiden und die Realität gar nicht kennen würden.

Fakt ist, dass die AOK Baden-Württemberg in 2023, laut eigenen Angaben, einen zweistelligen Millionenbetrag von den Krankenhäusern im Südwesten zurückgefordert hat. „In rund zehn Prozent aller stationären Behandlungen wurde in 2023 eine Überprüfung der Abrechnungen vorgenommen. Dabei zeigten sich in 42 Prozent der Fälle eine zu bemängelnde Abrechnung“, sagt ein Sprecher der Südwest-AOK.

Die Fallpauschalen sind entscheidend

Die Krankenkassen sind eigentlich dafür verantwortlich, die Betriebskosten der Krankenhäuser zu bezahlen. Das sind beispielsweise die Kosten für Arzneimittel, die Lebensmittel, die Handwerker, die Energie oder die Wartung. Bis auf das Pflegepersonal zahlen die Kassen auch die Löhne für die Klinik-Beschäftigten. Wie viel Geld von den Krankenkassen an die Häuser fließt, bestimmen die sogenannten Fallpauschalen. Für jede erbrachte Leistung rechnet das Krankenhaus einen festgelegten Betrag ab. „Aus baden-württembergischer Sicht besteht ein großes Problem darin, dass die Vergütung bundesweit praktisch einheitlich ist, während die Löhne in Baden-Württemberg überdurchschnittlich sind“, so Matthias Einwag, Hauptgeschäftsführer der baden-württembergischen Krankenhausgesellschaft (BWKG).

Aus baden-württembergischer Sicht besteht ein großes Problem darin, dass die Vergütung bundesweit praktisch einheitlich ist, während die Löhne in Baden-Württemberg überdurchschnittlich sind.

Matthias Einwag

Zu den Differenzen zwischen Kassen und Kliniken kommt es aus verschiedenen Gründen. Zunächst muss zwischen einer Falschabrechnung und einer Rechnungskorrektur unterschieden werden. Eine Falschabrechnung ist ein Strafbestand. Dabei wird bewusst falsch abgerechnet oder es werden gar Leistungen in die Rechnung eingetragen, die gar nicht erbracht worden sind. „Uns erreichen immer wieder massiv überhöhte Rechnungen, in denen Prozeduren auftauchen, die nie erbracht wurden, oder Arzneimittel, die nie verabreicht wurden“, sagt Udo Halwe. Er ist Geschäftsführer von Casusquo, die Arbeitsgemeinschaft gesetzlicher Krankenkassen, die sich auf die Prüfung von Krankenhausrechnungen spezialisiert hat.

Vorsätzliche Falschabrechnungen aber Einzelfälle

Laut BWKG-Geschäftsführer Einwag handele es sich bei vorsätzlichen Falschabrechnungen aber um Einzelfälle. „Bei der Mehrzahl handelt es sich um Rechnungskorrekturen, bei denen es unterschiedliche Auffassungen darüber gibt, ob eine zweifelsfrei erbrachte Leistung richtig dokumentiert wurde und ob sie notwendig war“, erklärt Einwag.

Den politischen Verantwortlichen ist das Problem bewusst. Vermeintliche Falschabrechnungen könnten dazu führen, dass den Kassen immer mehr Geld fehlt. Das könnte zu höheren Beiträgen für die Bürger führen, heißt es aus Regierungskreisen.

Medizinischer Dienst prüft die Rechnungen

Die Prüfungen der Rechnungen werden vom Medizinischen Dienst (MD) der Krankenkassen übernommen. Dieser sei häufig anderer Auffassung darüber, wie hoch die Behandlungskosten sein müssten, sagt BWKG-Chef Matthias Einwag und kritisiert den MD scharf. Mindestens die Hälfte der Rechnungsprüfungen ziele darauf ab, dem Krankenhaus im Nachhinein nachzuweisen, dass die Behandlung eines Patienten auch mit weniger Behandlungstagen funktioniert hätte. „Zum Zeitpunkt der Prüfung ist der Patient längst entlassen und der MD entscheidet ,am grünen Tisch’ nach Aktenlage und geht dabei von einer optimalen Versorgungssituation aus“, sagt Einwag.

Zum Zeitpunkt der Prüfung ist der Patient längst entlassen und der MD entscheidet ,am grünen Tisch’ nach Aktenlage und geht dabei von einer optimalen Versorgungssituation aus.

Matthias Einwag

Zudem lägen die Einschätzungen des MD und der Krankenhäuser zum Teil weit auseinander, wenn es um die effizienteste Behandlung der Patienten ginge. „Letztlich handelt es sich hier um medizinische Diskussionen und Einschätzungen, die man so oder so treffen kann, da die Medizin keine Wissenschaft ist, in der es immer eine eindeutig ,richtige’ Lösung gibt“, erklärt Einwag.

Es gibt einen weiteren Zankapfel

Dass es sich bei den Details der Abrechnungen um eine komplizierte Sache handelt, betont auch der Sprecher der AOK Baden-Württemberg. Dass es zu so vielen Differenzen zwischen Krankenhäusern und Krankenkassen kommt, liege jedoch nicht am Abrechnungssystem. „Es handelt sich um kein strukturelles Problem, die Abrechnungsregelungen sind sehr komplex, sodass diese auch unterschiedlich ausgelegt und interpretiert werden können“, so der Sprecher.

Doch das ist nicht der einzige Zankapfel zwischen Kliniken und Kassen. Ein weiterer Streitpunkt ist die sogenannte Prüfquotenregelung. Diese wurde 2020 eingeführt und verbietet es dem MD seither, jede einzelne Abrechnung der Kliniken zu prüfen. Stattdessen gibt es eine maximale Anzahl der Rechnungskontrollen pro Krankenhaus. „Die mit dem MDK-Reformgesetz eingeführte Prüfquotenregelung soll dem Zweck dienen, die Effizienz und Effektivität der Krankenhausabrechnungsprüfung zu verbessern“, sagt ein Sprecher des baden-württembergischen Gesundheitsministeriums. Von Casusquo wird diese Regelung scharf kritisiert. Das Risiko, bei Falschabrechnungen erwischt zu werden, sei so nämlich sehr gering.

Misstrauenskultur gegenüber Krankenhäusern?

„Es wundert uns nicht, dass viele Krankenhäuser diese Einladung zur Falschabrechnung annehmen. Wir fordern deshalb erneut, die Prüfquotenregelung abzuschaffen“, sagt Casusquo-Geschäftsführer Halwe. BWKG-Chef Einwag sieht das anders und fordert das Gegenteil: „Mit Blick auf die überbordende Bürokratie und die generelle Misstrauenskultur gegenüber den Krankenhäusern halten wir es für dringend erforderlich, die Überprüfung der Krankenkassen auf ein sinnvolles Maß zu reduzieren.“