Interview

Dem Spital Wetzikon fehlen 170 Millionen Franken. Trotzdem sagt der Verwaltungsratspräsident: «Wir können den Betrieb aufrechterhalten»

Verwaltungsratspräsident Jörg Kündig will das Spital im Zürcher Oberland nicht aufgeben – und denkt über eine Fusion mit Uster nach.

Isabel Heusser 5 min
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Die Gesundheitsdirektion hält das Spital Wetzikon für entbehrlich. Das sei «wie ein Schlag in die Magengrube», sagt der Präsident Jörg Kündig.

Die Gesundheitsdirektion hält das Spital Wetzikon für entbehrlich. Das sei «wie ein Schlag in die Magengrube», sagt der Präsident Jörg Kündig.

Christoph Ruckstuhl / NZZ

Herr Kündig, am Donnerstagvormittag haben Sie das Personal des Spitals Wetzikon darüber informiert, dass der Kanton dem Spital kein Geld geben will. Wie haben die Mitarbeitenden reagiert?

Wir haben sie in der Vergangenheit über alle Entwicklungen im Spital auf dem Laufenden gehalten. Darum habe ich eine gewisse Gefasstheit gespürt. Auf uns kommen unbestritten schwierige Zeiten zu. Aber ich glaube, der Wille ist da, diese gemeinsam durchzustehen. Ich habe dem Personal vermittelt, dass wir versuchen, Lösungen zu finden. Aber wir brauchen Zeit.

Die Gesundheitsdirektorin Natalie Rickli hält Ihr Spital für entbehrlich. Was sagen Sie dazu?

Das ist eine sehr harte Formulierung, die ich so nicht erwartet habe. Für mich fühlt sich diese Aussage wie ein Schlag in die Magengrube an. Wir sind im Zürcher Oberland verankert, wir sind das Grundversorgungsspital an der Grenze zum Kanton St. Gallen und darüber hinaus. In Ergänzung dazu hat Frau Rickli uns und den Kantonen St. Gallen und den beiden Appenzell Leistungsaufträge zugesichert wie eine Stroke-Unit, in der Personen mit einem Schlaganfall spezialisiert behandelt werden.

Jörg Kündig, Verwaltungsratspräsident des Spitals Wetzikon und FDP-Kantonsrat.

Jörg Kündig, Verwaltungsratspräsident des Spitals Wetzikon und FDP-Kantonsrat.

PD

Doch dem Spital fehlen 170 Millionen Franken. Wie konnte es so weit kommen?

Vor zehn Jahren begann das Spital, einen Neubau zu planen, der derzeit auf unserem Areal in Wetzikon realisiert wird. Wir haben die Finanzmärkte beurteilt, Finanzierungschancen geprüft und uns gezielt für eine Obligationenanleihe entschieden, die nun am 12. Juni fällig wird. Ursprünglich haben wir damit gerechnet, dass das Bauprojekt abgeschlossen sein würde und wir mit dem Ertrag aus dem Neubau zumindest einen Teil der Refinanzierung möglich machen könnten. Verzögerungen beim Bau und Verschlechterungen der Rahmenbedingungen verunmöglichten dies.

Also hat allein die Verspätung beim Bauprojekt zur Geldnot des Spitals geführt?

Man muss klar sagen, dass der Betrieb des Spitals selbst finanziert werden kann. Wir können ihn weiterhin aufrechterhalten und alle Patienten versorgen. Es müssen keine Behandlungen oder Operationen abgesagt werden. Uns steht eine Liquidität von rund 50 Millionen Franken zur Verfügung. Das Eigenkapital beträgt 20 Millionen Franken. Es geht einzig um die Refinanzierung der vor zehn Jahren getätigten Anleihe. Wir hatten von unseren Finanzierungspartnern Signale erhalten, dass dies unter gewissen Voraussetzungen machbar sei. Erst wurde eine tragfähigere Eigenkapitalbasis gefordert. Die entsprechenden Voraussetzungen haben wir geschaffen. Bei den weiteren Gesprächen hiess es auch aufgrund der verschärften wirtschaftlichen Situation: Ohne Staatsgarantie geht es nicht. Gefordert wurde auch eine wirtschaftliche Verbesserung.

Was heisst das genau?

Gefordert wird eine Ebitda-Marge von 12,5 Prozent, also eine bessere Rentabilität. 2022 lag die Marge bei 9,4 Prozent. Wir versuchen, mit gezielten Massnahmen die Ertragsseite zu steigern. Es sind auch Einsparungen geplant, etwa im Sachbereich und beim Personal. Wir führen ein straffes Kostenregime und ersetzen wenn möglich Abgänge nicht mehr. Im temporären Bereich haben wir die Anstellungen gestoppt. Diese Massnahmen greifen und stimmen mich zuversichtlich, dass wir das Jahr 2024 ohne Minus abschliessen können. Mir ist bewusst, dass die Situation viel von den Mitarbeitenden abverlangt.

Das klingt nicht nach attraktiven Arbeitsbedingungen. Wie wollen Sie unter diesen Umständen das Personal halten?

Wir konnten den Mitarbeitenden zusichern, dass ihre Löhne weiterhin ausgezahlt werden und der Betrieb des Spitals weitergeführt wird. Aber natürlich befürchte ich, dass andere Häuser versuchen werden, unser Personal abzuwerben. Wir werden alles daransetzen, dass unsere Mitarbeitenden, die wir sehr schätzen, bei uns bleiben.

Das Spital hat erst im Februar ein Finanzierungsgesuch gestellt, vier Monate bevor die Refinanzierung ansteht. Warum haben Sie so spät gehandelt?

Uns war es immer ein Anliegen, diese schwierige Situation ohne staatliche Unterstützung bewältigen zu können. Deshalb haben wir versucht, alle anderen Möglichkeiten auszuschöpfen. Wir hatten handfeste Aussichten, dass dies möglich ist. Schliesslich mussten wir uns aber sagen: Es geht nicht anders. Wir müssen beim Kanton ein Gesuch stellen.

Das Spital wird von zwölf Aktionärsgemeinden getragen. Weshalb haben Sie nicht diese um Unterstützung gebeten?

Die Gemeinden waren informiert über die Ausgangslage. Sie stehen hinter uns. Aber wir reden über eine andere Grössenordnung von Finanzierung, als es etwa beim Spital Uster der Fall war. Die Möglichkeit zu prüfen, dem Unternehmen zusätzliches Eigenkapital zur Verfügung zu stellen, wurde aber von den Gemeinden grundsätzlich bestätigt.

Wetzikon als grösste der Trägergemeinden kann sich eine finanzielle Unterstützung vorstellen. Sollen nun also die Gemeinden das Spital retten?

Selbstverständlich ist ein solches Angebot sehr wertvoll. Wir sind daran interessiert und arbeiten daran, mit den Gemeinden Lösungen zu finden. Inwieweit es möglich ist, mit der Unterstützung der Gemeinden die Refinanzierung in der Höhe von 170 Millionen Franken zu bewältigen, lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt nicht abschätzen.

Die Grünen werfen Ihnen vor, der Verwaltungsrat und die Trägergemeinden hätten es verpasst, einen tragfähigen Businessplan zu erstellen. Was sagen Sie dazu?

Wir haben unser Möglichstes getan. Doch wir mussten feststellen, dass unsere Businesspläne immer schwerer zu erreichen sind. Das liegt unter anderem daran, dass die Ertragssituation des Spitals sehr schwer kalkulierbar ist. Behandlungen werden zunehmend in den ambulanten Bereich verschoben, und dieser ist unterfinanziert. Diese Entwicklungen gibt es in der gesamten Spitallandschaft.

Das Spital Uster ist nur wenige Autominuten von Wetzikon entfernt. Ist das Zürcher Oberland nicht überversorgt?

Das ist tatsächlich eine spezielle Situation. Im Jahr 2018 haben beide Spitäler Verhandlungen geführt mit einer Fusion als Ziel. Zwei Jahre später wurde das Vorhaben abgebrochen – unter anderem, weil beide Spitäler mit grossen Bauprojekten beschäftigt waren. Ich kann mir gut vorstellen, die Gespräche mit Uster wieder aufzunehmen.

Das Gesundheitswesen ist zu teuer. Als FDP-Politiker müssten Sie doch sagen: Der Markt entscheidet. Warum halten Sie am Spital fest?

Wir haben eine Verantwortung für das Spital als Unternehmen, aber auch für die medizinische Versorgung der Region und gegenüber unseren Aktionären.

Trotzdem: Braucht das Spital einen Neubau mit 180 Betten, wenn stationäre Behandlungen an Bedeutung verlieren?

Es geht beim Neubau nicht um Erweiterungen. Das heutige Spitalgebäude ist alt, es stammt aus den siebziger Jahren. Der Neubau ist dringend nötig. Das heutige Spital entspricht nicht mehr den Bedürfnissen einer medizinischen Versorgung. Mit dem Neubau wollen wir den künftigen Entwicklungen Rechnung tragen.

Die Eröffnung des Neubaus war für Ende 2025 vorgesehen. Ist dies aufgrund der drohenden Finanzierungslücke noch realistisch?

Das kann ich weder mit Ja noch mit Nein beantworten. Es laufen Gespräche zur Finanzierung des Bauprojekts. Gegenwärtig steht für uns die Weiterführung des Betriebs im Vordergrund. Wir haben die Mittel, das Personal und die Unterstützung dafür.

Was passiert, wenn Sie das Geld nicht zusammenbekommen?

Es ist zu früh, darüber nachzudenken. Aktuell prüfen wir verschiedene Optionen. Dazu gehören Sale-&-Lease-Back-Varianten, aber auch der Weg über eine Nachlassstundung. Letzteres würde uns mehr Zeit für die Suche nach Lösungen geben.