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Ortenau-Klinikum: Krankenkassen bereichern sich an den Kliniken

Ortenau-Klinikum: Krankenkassen bereichern sich an den Kliniken (Pressemitteilung).



Ortenau Klinikum wendet sich gegen millionenschwere Rückforderungen und kurzfristige Rückverrechnungen der Krankenkassen ohne Rechtsgrundlage. Geschäftsführer Christian Keller kritisiert skandalöse Verrechnungspraktiken und macht Kassen für zusätzliche Defizite
der Kliniken verantwortlich

Ortenau Klinikum Geschäftsführer Christian Keller
Das Ortenau Klinikum als einer der großen kommunalen Klinikverbünde in Baden
Württemberg übt deutliche Kritik an der aktuellen bundesweiten
Verrechnungspraxis der Krankenkassen gegenüber den Kliniken in Deutschland.
Die Kassen haben in den vergangenen Wochen seit Jahren erbrachte Leistungen
nachträglich gekürzt und die Rückforderungen mit laufenden Vergütungen
verrechnet. Beim Ortenau Klinikum machen erste Kürzungen bereits eine
Millionensumme aus, gab Ortenau Klinikum-Geschäftsführer Christian Keller jetzt
bekannt. Allerdings befürchtet Keller, dass damit erst die Spitze eines
Eisberges sichtbar wird. Der Schaden kann sich auf bis zu vier Millionen Euro
belaufen.

„Was derzeit in Deutschland vorgeht, ist ungeheuerlich. Offensichtlich nehmen
es einige gesetzliche Krankenkassen bewusst in Kauf, die medizinische
Versorgung in einigen Bereichen, wie etwa der Schlaganfallversorgung oder der
Intensivversorgung, aus rein wirtschaftlichen Erwägungen aufs Spiel zu setzen.
Die Krankenkassen bereichern sich an den Kliniken. Dieses Vorgehen ist
rechtlich nicht gedeckt und treibt die seit Jahren unterfinanzierten Kliniken
an den Rand der Existenz. Die Kassen forcieren diese Praktiken sogar bewusst,
obwohl der Gesetzgeber genau dies mit dem am 9. November im Bundestag
verabschiedeten Pflegepersonal-Stärkungsgesetz (PpSG) verhindern wollte.“

Beispiel Komplexpauschale für Schlaganfallbehandlung
Ein Beispiel für die nachträgliche Verrechnungspraxis ist der sensible Bereich
der Schlaganfallbehandlung. Als Begründung berufen sich die Krankenkassen auf
ein sehr umstrittenes Urteil des Bundessozialgerichtes (BSG) vom Juni dieses
Jahres, in dem das BSG den Begriff „halbstündige Transportentfernung“ völlig
überraschend neu interpretiert hat. Als Voraussetzung zur Abrechnung einer
Schlaganfallkomplexbehandlung über eine sogenannte Komplexpauschale muss jede
behandelnde Schlaganfalleinheit (Stroke Unit) über Kooperationsvereinbarungen
mit Kliniken, die eine Abteilung für Neurochirurgie und Neuroradiologie
vorhalten, sicher stellen, dass diese speziellen Abteilungen mit dem
schnellsten Transportmittel innerhalb von 30 Minuten erreichbar sind, wenn das
Krankenhaus diese Abteilungen nicht selbst vorhält. Bisher sind alle
Beteiligten davon ausgegangen, dass mit der „halbstündigen Transportentfernung“
die Zeit im Transportmittel, also Rettungswagen oder Hubschrauber, gemeint ist.
Das BSG war aber -nicht nachvollziehbar- zu der Auffassung gelangt, dass die
Zeit bereits mit der Entscheidung, dass eine Verlegung stattfinden muss, also
schon bevor das Rettungsmittel bestellt wurde, zu laufen beginne.

Das für die amtliche medizinische Klassifikation im Krankenhausbereich
zuständige Deutsche Institut für Medizinische Dokumentation und Information
(DIMDI), eine Behörde im Verantwortungsbereich des Bundesministeriums für
Gesundheit (BMG), hat zwischenzeitlich klargestellt, dass unverändert mit der
halbstündigen Transportentfernung die Zeit gemeint ist, die der Patient im
Transportmittel verbringt. Unbeschadet dessen fordern einige Krankenkassen von
Krankenhäusern, die in komplexen Fällen Schlaganfallpatienten weiter verlegen
mussten, die Vergütung für alle Schlaganfallpatienten vier Jahre rückwirkend,
also ab 2014, zurück. Auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hat mehrfach
betont, dass das in Rede stehende Urteil des BSG keine Auswirkungen auf die
Vergangenheit haben kann, um nicht die allgemeine Schlaganfallversorgung vor
allem im ländlichen Raum zu gefährden.

Kassen umgehen Gesetzesänderung
Als Gegenmaßnahme und zum Vertrauensschutz der Krankenhäuser ist in dem
laufenden Gesetzgebungsverfahren zum PpSG unter anderem eine Verkürzung der
Verjährungsfrist für Forderungen und insbesondere für Rückforderungen von
Krankenkassen von vier auf zwei Jahre vorgesehen. Trotzdem halten die Kassen an
ihrer Vorgehensweise fest und versuchen, noch vor Inkrafttreten des Gesetzes
vor Jahren gezahlte Gelder zurück zu holen. Bundesgesundheitsminister Spahn hat
erst kürzlich in seiner Rede zur Eröffnung der Messe „Medica“ am 12. November
in Düsseldorf das Verhalten der Krankenkassen mit den Worten „Irrsinn,
Starrsinn, Wahnsinn“ kommentiert und gesetzgeberische Konsequenzen angedroht.

Die Handhabe für die Rückverrechnungen liefert den Krankenkassen das sogenannte
Aufrechnungsprinzip, welches die Verbände der Kliniken seit Jahren beklagen und
welches auch mit dem neuen Gesetz unverändert geblieben ist. Einige Kassen
haben auch beim Ortenau Klinikum die Möglichkeit der Aufrechnung genutzt und
auf BSG-Urteile gestützte vermeintliche Ansprüche für die Jahre 2014 bis 2016
kurz vor Ablauf der Verjährungsfrist schlicht selbst vollstreckt. Das Defizit
des Ortenau Klinikums wird sich aufgrund der ungerechtfertigten Bereicherung
deutlich erhöhen. Zudem muss das Geld in hunderten von Fällen auf dem Klageweg
wieder in mehrjährigen Verfahren zurückgeholt werden. Nicht nur die Gerichte
werden damit überlastet, auch der interne Verwaltungsaufwand sowie die Kosten
für Rechtsanwälte steigen exorbitant an.

Entgegen allgemeinem Rechtsverständnis
Um diese „skandalöse Praxis“ zu verdeutlichen, wählt Geschäftsführer Christian
Keller ein für jeden nachvollziehbares Beispiel seines Kollegen Armin Müller
von den Kliniken des Landkreises Lörrach: „Stellen Sie sich vor, eine Kommune
hat die zulässige Geschwindigkeit auf einer Straße von 50 auf 30 Kilometer pro
Stunde gesenkt und bittet im Nachhinein alle Nutzer der Straße zur Kasse, weil
sie die neu geltende Höchstgeschwindigkeit jahrelang überschritten haben“, so
Keller. Dieses Vorgehen würde jeder Bürger als nicht legitim empfinden, da es
im allgemeinen Rechtsverständnis unüblich ist, Urteile rückwirkend
anzuwenden.

Die beabsichtigte Gesetzesänderung von Gesundheitsminister Spahn zur Entlastung
der Kliniken sei zwar im Grundsatz richtig, führe aber kurzfristig zu
verheerenden Folgen aufgrund einer bewussten Umgehung der Krankenkassen, so
Keller. „Wenn die Krankenkassen diese Verrechnungspraxis kurzfristig auch auf
andere Bereiche anwenden, werden sie die Defizite der Kliniken sprunghaft
erhöhen, massive Liquiditätsprobleme der Kliniken verursachen und damit
letztlich die Gesundheitsversorgung ihrer eigenen Versicherten gefährden.“

Quelle: Pressemitteilung, 20.11.2018

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