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Az. 1 BvR 318/17, 1 BvR 2207/17, 1 BvR 1474/17: Bundesverfassungsgericht und Streit um Aufwandspauschale bei Pruefung Krankenhausabrechnung mydrg.de





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Az. 1 BvR 318/17, 1 BvR 2207/17, 1 BvR 1474/17: Bundesverfassungsgericht und Streit um Aufwandspauschale bei Pruefung Krankenhausabrechnung

Az. 1 BvR 318/17, 1 BvR 2207/17, 1 BvR 1474/17: Bundesverfassungsgericht klärt Streit um Aufwandspauschale bei der Prüfung von Krankenhausabrechnungen - sachlich-rechnerischen Richtigkeitsprüfung sei rechtens (Pressemitteilung).



Die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts nach der es bezogen auf die Rechtslage vor 2016 bei der Prüfung einer Krankenhausabrechnung unter Einbeziehung des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen (MDK), neben der gesetzlich ausdrücklich vorgesehenen
„Auffälligkeitsprüfung“ noch eine davon unabhängige „Prüfung der sachlich-rechnerischen Richtigkeit“ gab, die zu keinem Anspruch der Krankenhäuser auf Zahlung einer Aufwandspauschale gegen die Krankenkassen führte, überschreitet die Grenzen richterlicher
Rechtsfortbildung nicht. Mit dieser Begründung hat die 1. Kammer des Ersten Senats mit heute veröffentlichtem Beschluss die Verfassungsbeschwerden mehrerer Träger von Krankenhäusern gegen Entscheidungen des Bundessozialgerichts nicht zur
Entscheidung angenommen.
Beschluss vom 26. November 2018
1 BvR 318/17, 1 BvR 2207/17, 1 BvR 1474/17

Sachverhalt:

1. Die Abrechnung von Krankenhausleistungen erfolgt in Deutschland überwiegend
so, dass unterschiedliche Diagnose- und Prozedurenkombinationen in Gruppen
zusammengefasst werden, die einen vergleichbaren ökonomischen und von der
konkreten Verweildauer der Patienten unabhängigen Aufwand der Krankenhäuser
abbilden sollen (sogenanntes DRG-System). Auf Grund der Komplexität dieses
Systems kommt es unstreitig in erheblichem Maße zu Fehlkodierungen der für die
Abrechnung maßgeblichen Diagnosen und Prozeduren. Deshalb ist die Kontrolle von
Abrechnungen für die Krankenkassen von großer Bedeutung, andererseits für die
Krankenhäuser mit erheblichem wirtschaftlichem und organisatorischem Aufwand
verbunden. Das gilt insbesondere für Prüfungen auf der dritten Stufe des vom
Bundessozialgericht entwickelten Prüfsystems der Abrechnung von stationären
Krankenhausleistungen: Danach prüfen die Krankenkassen auf einer ersten Stufe
die von den Krankenhäusern übermittelten Daten. Erschließen sich die
Notwendigkeit der Krankenhausbehandlung oder die Richtigkeit der Abrechnung der
Krankenkasse aufgrund dieser Angaben, daran anknüpfender Nachfragen oder eines
Kurzberichts über die Behandlung nicht, ist auf der zweiten Stufe ein
Prüfverfahren unter Einschaltung des MDK einzuleiten. Dazu hat die Krankenkasse
dem MDK die zur Begutachtung erforderlichen Unterlagen vorzulegen, die ihr vom
Krankenhaus zur Verfügung gestellt worden sind. Ist der Sachverhalt auch auf
dieser Grundlage nicht zu klären, hat das Krankenhaus schließlich auf einer
dritten Stufe dem MDK alle weiteren Angaben zu erteilen und Unterlagen
vorzulegen, die im Einzelfall zur Beantwortung der Prüfanfrage der Krankenkasse
benötigt werden.

Die Pflicht der Krankenkassen zur Einholung einer Stellungnahme des MDK ist in
§ 275 Abs. 1 Nr. 1 SGB V geregelt. In diesem Rahmen war bis zu einer
Gesetzesänderung zum 1. Januar 2016 die auch den hiesigen Verfahren zugrunde
liegende Frage umstritten, ob alle denkbaren Prüfungen von
Krankenhausabrechnungen durch die Krankenkassen unter Einbeziehung des MDK von
§ 275 Abs. 1 Nr. 1 SGB V erfasst werden und die Krankenkassen daher durchgängig
die daran anknüpfenden Regelungen des § 275 Abs. 1c SGB V zu beachten und
gegebenenfalls die dort vorgesehene Aufwandspauschale in Höhe von 300 Euro nach
dessen Satz 3 zu zahlen haben oder ob es – so die Rechtsprechung des 1. Senats
des Bundessozialgerichts – neben einer dort geregelten „Auffälligkeitsprüfung“
noch eine davon unabhängige und in den maßgeblichen Zeiträumen den Regelungen
des § 275 Abs. 1c SGB V nicht unterworfene und damit keine Aufwandspauschale
auslösende „Prüfung der sachlich-rechnerischen Richtigkeit“ gibt.

Mit Wirkung zum 1. Januar 2016 fügte der Gesetzgeber als Reaktion auf die
Rechtsprechung des 1. Senats des Bundessozialgerichts § 275 Abs. 1c SGB V einen
Satz 4 an. Danach ist als Prüfung nach Satz 1 jede Prüfung der Abrechnung eines
Krankenhauses anzusehen, mit der die Krankenkasse den MDK beauftragt und die
eine Datenerhebung durch den MDK beim Krankenhaus erfordert.

2. Die Verfassungsbeschwerden richten sich gegen die Rechtsprechung des 1.
Senats des Bundessozialgerichts, wonach eine Aufwandspauschale bei der Prüfung
der sachlich-rechnerischen Richtigkeit einer Krankenhausabrechnung vormals
nicht geltend gemacht werden konnte.

3. Die Beschwerdeführerinnen sind Träger von Krankenhäusern; dabei befinden
sich die Beschwerdeführerinnen zu 2. und zu 3. im Verfahren 1 BvR 318/17 und
die Beschwerdeführerin im Verfahren 1 BvR 2207/17 vollständig oder mehrheitlich
in kommunaler, die übrigen Beschwerdeführerinnen in privater Hand. Die
Ausgangsverfahren betrafen durchgängig und mit weitgehend vergleichbaren
Sachverhalten die Frage, ob ein Anspruch auf die Aufwandspauschale nach § 275
Abs. 1c Satz 3 SGB V auch nach einer Prüfung der sachlich-rechnerischen
Richtigkeit unter Einbeziehung des MDK besteht. Während die
Beschwerdeführerinnen vor den Instanzgerichten Erfolg hatten, hob das
Bundessozialgericht die instanzgerichtlichen Verurteilungen zur Zahlung der
Pauschale auf und wies die Klagen ab. Mit den Verfassungsbeschwerden rügen die
Beschwerdeführerinnen, die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts überschreite
die Grenzen verfassungsrechtlich zulässiger Rechtsfortbildung.

Wesentliche Erwägungen der Kammer:

1. Die Verfassungsbeschwerden der Beschwerdeführerinnen zu 2. und zu 3. im
Verfahren 1 BvR 318/17 und der Beschwerdeführerin im Verfahren 1 BvR 2207/17
sind unzulässig, weil diese wegen ihrer Zugehörigkeit zur öffentlichen Hand
nicht grundrechtsfähig sind.

2. Hinsichtlich der Rüge, das Bundessozialgericht habe die Grenzen
richterlicher Rechtsfortbildung überschritten, sind die Verfassungsbeschwerden
unbegründet. Selbst wenn man davon ausgeht, es handele sich um richterliche
Rechtsfortbildung, sind deren verfassungsrechtliche Grenzen durch die
angegriffenen Entscheidungen noch nicht überschritten.

a) Einfachrechtlich wäre zwar ein anderes Verständnis der maßgeblichen
Vorschriften vertretbar. Das aber führt nicht zur Verfassungswidrigkeit der
hier angegriffenen Entscheidungen. Dem Wortlaut des § 275 Abs. 1 Nr. 1 SGB V
kann nicht entnommen werden, dass die Vorschrift alle denkbaren
Abrechnungsprüfungen der Krankenkassen unter Einbeziehung des MDK erfasst und
den Regelungen des § 275 Abs. 1c SGB V unterwirft.

b) Das Bundessozialgericht kann sich für die Differenzierung zwischen der
sogenannten Auffälligkeitsprüfung und der Prüfung der sachlich-rechnerischen
Richtigkeit auf nachvollziehbare Anknüpfungspunkte stützen.

Die im Wortlaut der Norm ausdrücklich angesprochenen Auffälligkeiten
identifiziert das Bundessozialgericht mit Fragen, die sich mit Blick auf die
Notwendigkeit der stationären Behandlung dem Grunde und dem Umfang nach
ergeben. Bestehen diesbezüglich Zweifel, macht dies vor dem Hintergrund des
Wirtschaftlichkeitsgebots die Prüfung erforderlich, ob die stationäre
Behandlung (in diesem Umfang) als gerechtfertigt angesehen werden kann und es
sich also um die Abrechnung einer als solchen rechtmäßigen Leistung handelt.
Das korrespondiert mit der Prüfung der Leistungserbringung nach § 275 Abs. 1
Nr. 1 Alt. 1 SGB V, sofern entsprechende Fragen erst anlässlich der Abrechnung
auftreten. Dieses Verständnis des Bundessozialgerichts erscheint auf Grund des
Zusammenhangs beider Alternativen des § 275 Abs. 1 Nr. 1 SGB V und angesichts
der im einleitenden Satzteil der Vorschrift für beide Fallgruppen einheitlich
aufgeführten Kriterien für die Anforderung einer Stellungnahme des MDK nicht
unvertretbar. Zudem zielen die Prüfungen nach § 275 Abs. 1 Nr. 1 SGB V im
Krankenhausbereich auch historisch primär auf die Notwendigkeit einer
stationären Behandlung, wie das Bundessozialgericht in den angegriffenen
Entscheidungen nachvollziehbar herausgearbeitet hat. Die Einfügung der zweiten
Alternative in § 275 Abs. 1 Nr. 1 SGB V lässt sich in diesen Kontext plausibel
einordnen.

Mit der Prüfung der sachlich-rechnerischen Richtigkeit nimmt das
Bundessozialgericht einen aus dem Vertragsarztrecht bekannten Begriff auf. Dort
war als ein Unterfall der Wirtschaftlichkeitsprüfung eine
„Auffälligkeitsprüfung“ im Gesetz verankert; der Wirtschaftlichkeitsprüfung
stand eine Abrechnungsprüfung gegenüber, die auf die Kontrolle der
Rechtmäßigkeit und Plausibilität der Abrechnungen und deren
sachlich-rechnerischer Richtigkeit zielte. Hiermit vergleichbar bezieht das
Bundessozialgericht das Prüfregime der sachlich-rechnerischen Richtigkeit auf
die Frage der Fehlerfreiheit der Abrechnung einer als solcher dem Grunde und
dem Umfang nach rechtmäßigen stationären Krankenbehandlung. Damit kann das
Bundessozialgericht auch für den Begriff der sachlich-rechnerischen Richtigkeit
und deren Prüfung auf einen Anknüpfungspunkt im Gesetz verweisen, auch wenn er
sich in einem anderen Kontext findet. Für seine Übertragung auf die Prüfung der
Krankenhausabrechnungen kann sich das Bundessozialgericht nachvollziehbar
darauf berufen, dass § 301 SGB V die Krankenhäuser zur Übermittlung der für die
Prüfung der Kodierung und damit der Höhe des Leistungsbetrags wesentlichen
Daten an die Krankenkassen verpflichtet.

Die Beschwerdeführerinnen stützten ihre Rüge weiter darauf, dass für die
Durchführung sachlich-rechnerischer Prüfungen keine ausreichende
Rechtsgrundlage zur Verfügung stehe. Sie haben sich aber nicht substantiiert
damit auseinandergesetzt, dass sie sich in diesem Fall gegen die Durchführung
einer derartigen Prüfung hätten wehren können, statt sie zu dulden und dann im
Anschluss daran die Aufwandspauschale zu liquidieren.

In der Sache hat die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts durchaus
gewichtige Gründe für sich, auch wenn angesichts der Materialien kaum zu
übersehen ist, dass der Gesetzgeber sich diese im Kontext der Einführung und
Änderung von § 275 Abs. 1c SGB V nicht zu eigen gemacht hat.

Zum allgemeinen Argument zum Recht eines jeden Schuldners, die Berechtigung der
ihm gegenüber erhobenen Forderungen nach Grund und Höhe zu prüfen, treten
spezifische Überlegungen aus dem Verhältnis von Krankenhäusern und
Krankenkassen hinzu: Schon die von den Beschwerdeführerinnen mitgeteilte Höhe
der für die stationäre Krankenhausbehandlung typischerweise anfallenden Kosten
und deren regelmäßige Steigerung lassen es verständlich erscheinen, dass das
Bundessozialgericht eine eingeschränkte Prüftätigkeit der Kassen als
problematisch angesehen hat. Ein nachvollziehbarer Grund für das vom
Bundessozialgericht hervorgehobene legitime Interesse der Krankenkassen, die
sachlich-rechnerische Richtigkeit von Abrechnungen prüfen zu können, ergibt
sich zudem aus den Besonderheiten des Abrechnungssystems: Dabei geht es weniger
um bewusste Falschabrechnungen. Plausibel ist ein Prüfungsbedarf vielmehr wegen
des Charakters des Systems als lernendes System: Wo Fehlsteuerungen und
Fehlerquellen auftreten und Reformbedarf besteht, wird für Krankenkassen erst
erkennbar, wenn sie Abrechnungen ohne Einschränkungen und unter Zuhilfenahme
des medizinischen Sachverstandes des MDK prüfen.

Die hohe Zahl von über 40 % fehlerhafter Abrechnungen verdeutlicht diesen
Prüfungsbedarf, selbst wenn die notwendigen Korrekturen im Ergebnis nicht in
allen Fällen zu einer Reduzierung des Abrechnungsbetrags führen. Die
Komplexität des Finanzierungssystems und die Vielzahl selbständiger
Krankenhäuser als Gläubiger zeigt, dass unzutreffende Abrechnungen kein zu
vernachlässigendes Phänomen darstellen.

Auch die Gesetzgebungsmaterialien stehen der angegriffenen Rechtsprechung des
Bundessozialgerichts nicht entgegen: Zwar sprechen die Materialien zur
Einführung von § 275 Abs. 1c SGB V durch das Fallpauschalengesetz für einen
weiten Anwendungsbereich der Vorschrift. Eindeutigen Ausdruck in Wortlaut und
Systematik haben die dortigen Erwägungen allerdings nicht gefunden. Die
Rechtsänderung zum 1. Januar 2016 verstärkt zudem entgegen der Auffassung der
Beschwerdeführerinnen diese Indizwirkung nicht: Zwar ist unverkennbar, dass mit
der Anfügung von § 275 Abs. 1c Satz 4 SGB V die streitige Rechtsprechung
korrigiert werden sollte. In der Begründung zum Entwurf des
Krankenhausstrukturgesetzes wird jedoch die vom Bundessozialgericht
vorgenommene Unterscheidung bestätigend aufgenommen und die Pflicht zur Zahlung
einer Aufwandspauschale in Fällen der Prüfung der sachlich-rechnerischen
Richtigkeit als „Neuregelung“ bezeichnet. Mit Blick auf die
verfassungsrechtliche Bedeutung der Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung
sind solche Ausführungen in Gesetzgebungsmaterialien, die eine ständige
Rechtsprechung grundsätzlich akzeptieren, zweifellos von Bedeutung, selbst wenn
sie im Rahmen einer deren Auswirkungen für die Zukunft weitgehend
korrigierenden Gesetzesänderung erfolgen. Geht man vor diesem Hintergrund von
einer vom Gesetzgeber akzeptierten Differenzierungsmöglichkeit zwischen einer
Auffälligkeitsprüfung und einer Prüfung der sachlich-rechnerischen Richtigkeit
aus, ergibt sich insgesamt das Bild eines verfassungsrechtlich akzeptablen
Wechselspiels von Rechtsprechung und Rechtsetzung.

c) Die Annahme des Bundessozialgerichts, die Anfügung von Satz 4 an § 275 Abs.
1c SGB V entfalte erst ab 1. Januar 2016 Wirkung und sei nicht als
zurückwirkende Klarstellung der ohnehin geltenden Rechtslage anzusehen,
verletzt die Grenzen verfassungsrechtlich zulässiger Rechtsfortbildung nicht.
Zum einen handelt es sich insoweit um die einfachrechtliche Auslegung der
Regelungen über das Inkrafttreten des Krankenhausstrukturgesetzes, die allein
an dem von den Beschwerdeführerinnen nicht hinreichend substantiiert gerügten
Willkürverbot aus Art. 3 Abs. 1 GG zu messen wäre. Zum anderen lässt sich die
Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zu dieser Frage mit Blick auf den
Wortlaut, die andernfalls entstehende Rückwirkungsproblematik und die
Materialien zum Krankenhausstrukturgesetz rechtfertigen.

Quelle: Pressemitteilung, 08.01.2019

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