Kooperative Notfallversorgung und am Ende dann doch ins Krankenhaus? /> PKMS-Dokumentation />

Fachleute kritisieren Prüfpraxis der Krankenkassen in deutschen Kliniken mydrg.de





scatter_plot

Fachleute kritisieren Prüfpraxis der Krankenkassen in deutschen Kliniken

Fachleute kritisieren Prüfpraxis der Krankenkassen in deutschen Kliniken (Asklepios).



Fachleute aus der Ärzteschaft, Pflegedirektion und der Verwaltung der Asklepios Harzkliniken haben beim 5. Asklepios-Forum Harzgesundheit die Prüf-Praxis der Krankenkassen scharf kritisiert. Wer ist der Notfall: Der Patient? Die Kliniken? Das System?, lautete das
Thema des Abends. Es ging um Krankenhäuser im Spannungsfeld zwischen medizinischer Notfallversorgung und Bürokratie. Kliniken wird vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK), der alle Krankenhäuser bundesweit im Auftrag der Krankenkassen überprüft, eine
für Patienten erbrachte Leistung immer öfter streitig gemacht. Die Patientenversorgung gerät zunehmend in dieses Spannungsfeld.

21. Jun. 2019 GoslarRalf Nehmzow
"ÜBERTRIEBENE, FEHLERHAFTE, BÜROKRATISCHE KONTROLLEN BEHINDERN DIE ARBEIT"
Adelheid May Geschäftsführerin
Auch sie kritisierte die Prüfpraxis der Krankenkassen in deutschen Kliniken:
Harzkliniken-Geschäftsführerin Adelheid May
Zugleich erläuterte Dr. medic/UMF Bukarest Ulrike Cretan, Chefärztin
Notfallmedizin und Intensivmedizin der Asklepios Harzkliniken, den Alltag in
einer Notaufnahme und die Voraussetzungen, unter denen Patienten stationär
aufgenommen werden dürfen, und wann sie nach dem Gesetz niedergelassene Ärzte
zur ambulanten Behandlung aufsuchen sollen.

Die Fachleute enthüllten unglaubliche Fälle aus der Praxis, bei denen Ärzte
sich dafür entschieden, Patienten noch etwas länger stationär zu deren Wohl in
der Klinik zu versorgen, weil dies akut notwendig und angemessen war. Der
Prüfdienst der Krankenkassen, der MDK, war hingegen der Auffassung, die
Betroffenen hätten eher entlassen werden müssen. In einem Fall handelt es sich
um einen frisch am Knie operierten Patienten.

Harzkliniken-Pflegedirektorin Kerstin Schmidt berichtete auf der Veranstaltung,
wie die Harzkliniken trotz vieler bürokratisch auferlegter Hürden praktische
Lösungen für die Nachsorge der Patienten nach ihrer Entlassung
organisieren.

„Qualität ist uns sehr wichtig, deshalb ist es im Prinzip natürlich gut, dass
die Arbeit der Krankenhäuser überprüft wird“, sagte Adelheid May,
Geschäftsführerin der Asklepios Harzkliniken und der Asklepios Kliniken
Schildautal Seesen, Regionalgeschäftsführerin Harz. „Aber der MDK, der nicht
mal eine neutrale Position hat, sondern im Auftrag der Krankenkassen handelt,
überzieht Krankenhäuser, insbesondere Ärzte und Verwaltungsmitarbeiter, immer
stärker mit übertriebenen, oft unnötigen Kontrollen, das merken auch wir in
unseren Kliniken deutlich“, sagte sie am Rande des Forums. „Unklare oder
fehlende Regelungen und nachträgliche Interpretationen durch die MDK-Prüfer
sind Bürokratietreiber und Hürden, die den Alltag der Klinikmitarbeiter
kennzeichnen, unnötig erschweren und zu Lasten der Patienten gehen“, sagte Dr.
med. Nicolas Jäger, Stabsstelle der Asklepios Harzkliniken. „Dabei ist in fast
65 Prozent unserer Fälle die Prüfung im Ergebnis ohne Beanstandung“, schätzt
der Fachmann, der zugleich Arzt von Beruf ist, „und dass, obwohl die
Prüfungsfälle bei den Krankenkassen erst nach aufwändigen Vorbereitung
identifiziert werden. Zudem ist der Großteil der übrigen Fälle die
unterschiedliche Interpretation von Regelungen oder eine für den MDK noch zu
geringe Dokumentation.“

Der Tenor der Fachleute: "Übertriebene, fehlerhafte, bürokratische Kontrollen
behindern die Arbeit."

Zur Erläuterung der Prüfungen: Krankenhausbehandlungen werden mit
Fallpauschalen vergütet. Diese werden DRG (Diagnosis Related Groups) genannt.
Das heißt, eine Krankenhausbehandlung wird aufgrund bestimmter Kriterien einer
Fallgruppe zugeordnet und entsprechend abgerechnet. Patienten werden also nach
Diagnosen und erbrachten Maßnahmen in Fallgruppen eingeteilt und damit einem
bestimmten Leistungsangebot des DRG-Systems zugeordnet. Dazu gilt es, die
medizinischen und pflegerischen Leistungen über umfangreiche Regeln in eine
„Kodesprache“ zu „übersetzen“.

Die Situation: Ärzte und Pflege entscheiden in der Regel zu Gunsten einer
Diagnostik und Behandlung für die Patienten. Der MDK prüft die Behandlungsfälle
von Patienten im Auftrag der jeweiligen Krankenkasse - bei den Harzkliniken
waren es allein im vergangenen Jahr 3.500 Fälle. Die Folge der
„Dauer-Prüfungen“: Ärzte, die sich eigentlich den Patienten widmen sollen,
haben immer mehr mit Bürokratie zu tun. Expertenschätzungen zufolge erbringen
Ärzte heute pro Tag im Durchschnitt allein vier Stunden mit Dokumentationen und
anderen Verwaltungsarbeiten. Manchmal kürzt der MDK den Kliniken allein
zustehende Leistungen wegen banaler Formfehler, etwa, weil ein kleiner Haken
auf einem Protokoll fehlt. Aber die beanstandeten Fälle erscheinen meist noch
absurder, krasser:

Dr. Jäger: „Oft ist die Schlussfolgerung des MDK, die Behandlung hätte im
ambulanten Bereich durch niedergelassene Ärzte ausgeführt werden können, Pflege
könne durch ambulante Dienste oder Kurzzeitpflege erfolgen. Das trifft aber in
der Realität nicht zu, und die Patienten, die, würde man diesem Systemdruck
konsequent folgen, früher entlassen werden sollten, finden sich plötzlich mit
dieser Diskrepanz konfrontiert.“

Dr. med. Jäger veranschaulichte diese Kritik an praktischen Beispielen aus
MDK-Prüfungen aus den Asklepios Harzkliniken, es sind unglaubliche Fälle aus
der Praxis, keine Einzelfälle – so lösten Harzkliniken diese zum Wohle der
Patienten pragmatisch:

Beispiel 1:

Ein Patient wird am Knochen operiert, am OP-Tag wird der Verband zweimal wegen
Durchblutung erneuert, der Patient bleibt daher über Nacht und wird erst am
nächsten Tag mit regulären Wundverhältnissen entlassen, entscheiden die
behandelnden Ärzte – zur Sicherheit der Patienten!
Der MDK prüft den Fall und kommt hingegen zu dem Schluss, der Patient hätte
noch am OP-Tag nach Hause gehen müssen und hätte erst zum Verbandwechsel abends
bei Durchblutung wieder kommen können.


Ein grotesker Streit, Dr. Jäger erläutert: „Vor Gericht bestätigt ein
unabhängiger Gutachter unsere Vorgehensweise. Die Krankenkasse bleibt indes bei
der Position. Wir haben auch nach Jahren bisher nicht unsere Leistungen bezahlt
bekommen.“

Beispiel 2:

Eine junge Patientin wird im familiären Umfeld schwer körperlich misshandelt
und als Folge gemäß medizinischer Leitlinien an einem Samstag zur Überwachung
wegen einer Gehirnerschütterung für 24 Stunden überwacht.
Am Sonntag organsiert unsere Klinik der Frau einen Platz im Frauenhaus. Da die
Begleitung der Frau durch das Frauenhaus erst am Montag erfolgen kann, wird
sie zu ihrem eigenen Schutz verständlicherweise nicht eher, sondern erst am
Montag entlassen, dann sinnvollerweise direkt ins Frauenhaus.
Der MDK prüft den Fall und kommt zu dem Schluss, die Entlassung hätte bereits
am Sonntag erfolgen können - die erfolgte Behandlung wird daher den
Harzkliniken nur teilweise bezahlt. Die Krankenkasse/der MDK gibt den lapidaren
Hinweis, wir könnten ja wegen der Organisation den Differenzbetrag vom Träger
des Frauenhauses einfordern. „Diesen Ansatz haben wir natürlich nicht
verfolgt“, sagt Dr. Jäger.

Hintergrund, Kritik im Detail:


Das Ziel einer Rückkehr in das eigene Zuhause oder der kompletten Diagnostik
zur Klarheit für die Patienten wird vom MDK oft hinter die Forderung nach
schneller Entlassung durch die Krankenkassen zurückgestellt – den
Krankenhäusern wird das Geld für die durchgeführte Behandlung entzogen,
kritisiert Dr. Jäger. Die Gerichte bis hin zum Bundessozialgericht ebnen bzw.
bestätigen diesen Weg: Grundsatz: Jede andere ambulante Möglichkeit der
Diagnostik und Behandlung muss ausgeschöpft sein, bevor eine stationäre
Behandlung begonnen oder fortgeführt wird.

Dr. Jäger: „In der Diskussion taucht in diesem Zusammenhang der Begriff der
Zumutbarkeit auf, allerdings ist dieser nicht definiert. Ist es zumutbar,
mehrere Wochen auf ein klärendes CT/MRT zu warten, anstelle dieses gleich im
Krankenhaus durchführen zu lassen? Ist es zumutbar, für einige Tage oder
Wochen in eine Pflegeeinrichtung zu gehen, anstelle einer weiteren Behandlung
im Krankenhaus bis zur geplanten Entlassung nach Hause? Welche Entfernungen von
zu Hause sind dafür zumutbar? Hier fordern wir Klarheit und Transparenz,
letztlich zum Wohle der Patienten. “

Es war das 5. Forum. Das öffentliche Asklepios-Forum Harzgesundheit wurde im
Frühjahr 2016 gegründet. In Vorträgen und im Dialog mit Bürgern werden jeweils
aktuelle Gesundheitsthemen behandelt, Themen in früheren öffentlichen Foren
waren Ernährung, Patientensicherheit, Geriatrie und Grippewelle.

Quelle: Asklepios, 21.06.2019

« Kooperative Notfallversorgung und am Ende dann doch ins Krankenhaus? | Fachleute kritisieren Prüfpraxis der Krankenkassen in deutschen Kliniken | PKMS-Dokumentation »

Anzeige: ID GmbH
Anzeige