Megatrend Ambulantisierung
Megatrend Ambulantisierung: Jede zehnte Krankenhausbehandlung könne mittlerweile auch ambulant erbracht werden (Barmer).
Die BARMER sieht massive Veränderungen auf das Thüringer Gesundheitswesen zukommen und spricht von einem Megatrend Ambulantisierung. Vor dem Hintergrund des medizinischen Fortschritts gebe es ein riesiges Potenzial, viele Behandlungen und kleinere Eingriffe vom Krankenhaus in geeignete ambulante Praxen
zu verlagern. Damit verbunden seien die Chance auf mehr Qualität in der Versorgung und Stärkung des ländlichen Raums. „Die ambulante Versorgung hat viele Vorteile für Patientinnen und Patienten.
Die moderne Medizin macht es möglich. Studien zeigen, ambulante Leistungen sind
qualitativ mindestens gleichwertig“, sagte Birgit Dziuk,
Landesgeschäftsführerin der BARMER Thüringen, am Dienstag, 26. April, im Rahmen
einer Fachveranstaltung. Ambulante Versorgung sei in der Regel schneller,
schonender und vor allem geschehe sie direkt vor Ort. Ein zusätzlicher Effekt
sei die Entlastung der Krankenhäuser, die sich auf schwere und komplexe
Behandlungen konzentrieren könnten. Daraus ergebe sich ein wichtiger Beitrag
gegen den Fachkräftemangel.
Ende des Dualismus von stationär und ambulant
Jede zehnte Krankenhausbehandlung kann mittlerweile auch ambulant erbracht
werden. Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Analyse des BARMER Instituts für
Gesundheitssystemforschung. Das Potenzial dafür liege vor allem in jenen
Krankenhausbehandlungen, bei denen Menschen nur kurz stationär aufgenommen
werden und die gemeinhin als „Bagatell-Fälle“ bezeichnet werden, da keine
schwerwiegende Akuterkrankung vorliegt.
In Thüringen waren im Jahr 2020 rund 70.000 Patientinnen und Patienten nur für
eine Nacht im Krankenhaus, geht aus Zahlen des statistischen Landesamtes
hervor. Das waren 13 Prozent aller Fälle, weitere 15 Prozent der Patientinnen
und Patienten verbrachten nur zwei Nächte im Krankenhaus. Was die öffentlichen
Statistiken außerdem zeigen: Die Zahl der Krankenhausbehandlungen ist bereits
seit dem Jahr 2018 rückläufig, auch die durchschnittliche Verweildauer ist
deutlich zurückgegangen.
Ein jüngst veröffentlichtes Gutachten des Instituts für Gesundheits- und
Sozialforschung (IGES) offenbart obendrein, dass doppelt so viele Operationen
wie bislang ambulant möglich sind. „In Summe bedeutet all das nicht weniger als
das Ende des Dualismus von stationärem und ambulanten Sektor und den Start von
mehr sektorenübergreifender Gemeinsamkeit; bei der Ausstattung und den
Qualitätsanforderungen zum Beispiel“, schlussfolgert Thüringens BARMER-Chefin
Birgit Dziuk. Zwischen Krankenhaus und Arztpraxis müsse und werde viel Neues
entstehen.
Ambulantisierungsprozesse auf- und ausbauen
„Viele Kliniken, vor allem kleine Häuser, kommen zunehmend in Not und klagen
über niedrige Auslastung. Die klare Botschaft lautet jedoch: jeder Standort
wird gebraucht“, so Birgit Dziuk weiter. Es müsse nun analysiert werden, welche
konkrete Versorgung jeweils vor Ort sinnvoll ist. Anstelle defizitärer, nicht
ausgelasteter Kliniken könnten gegebenenfalls ambulant-stationäre
Versorgungszentren treten, die die Möglichkeiten der modernen Medizin besser
nutzen. „Ambulantisierungsprozesse müssen nun schrittweise auf- und ausgebaut
werden“, fordert die BARMER-Landesgeschäftsführerin. Die vom Thüringer
Gesundheitsministerium geplante Zukunftswerkstatt zur Weiterentwicklung der
medizinischen Versorgung sei eine geeignete Plattform, dies umzusetzen und ein
neues Zielbild der Nutzung von modernen ambulanten und stationären
Möglichkeiten zu konsentieren.
Bedarf ist entscheidend, nicht Vergütung
„Die Ambulantisierung ist kein Selbstzweck. Ihr wohnt großes Potenzial inne,
die Qualität der Versorgung und den ländlichen Raum nachhaltig zu stärken“, ist
Birgit Dziuk überzeugt. Wichtig sei zu jedem Zeitpunkt, die Versorgung vom
Patienten her zu denken. Nicht die Vergütung, sondern der Bedarf und die
medizinischen Möglichkeiten müssten darüber entscheiden, wo und wie die
Menschen behandelt werden.
Quelle: Barmer, 26.04.2022