Sachverstand und die Expertise der Länder, der Krankenkassen und Krankenhäuser müssen Gehör finden
Erheblicher Diskussions- und Nachbesserungsbedarf bei Vorschlägen einer Krankenhausreform (Medienmeldung).
Die Ziele der Verbesserung der stationären Versorgung und deren solide Finanzierung lassen sich mit dem vorgelegten Reform-Konzept nicht erreichen.
Berlin, 04. Januar 2023. Die Berliner Krankenhausgesellschaft (BKG) sieht
Bedarf für eine Struktur- und Vergütungsreform in der Krankenhausversorgung. Es
gibt aber erheblichen Diskussions- und Nachbesserungsbedarf mit Blick auf die
zur Diskussion gestellten Vorschläge einer Krankenhausreform. Notwendig ist
eine Folgenabschätzung der Ideen, damit deutlich und transparent wird, welche
Auswirkungen die vorgeschlagenen Maßnahmen haben und ob diese die Versorgung
der Bevölkerung weiterhin sicherstellen und tatsächlich verbessern. Die
Bund-Länder-Runde am 5. Januar 2023 kann die ersten Signale einer ernst zu
nehmenden Debatte senden. Anschließend müssen der Sachverstand und die
Expertise der Länder, der Krankenkassen und Krankenhäuser Gehör finden.
Die grundsätzlichen Ziele einer Krankenhausreform, den starken Leistungsbezug
und den daraus resultierenden hohen wirtschaftlichen Druck zu verringern, sind
Vorhaben, die die Berliner Krankenhäuser unterstützen. Auch ein Abbau der
Bürokratie, eine zielgenaue Personalausstattung sowie eine bessere Abstimmung
von Versorgungsaufgaben sind Maßnahmen, die mitgetragen werden. Eine solche
Reform muss zwingend gekoppelt sein an Überlegungen zur sektorenübergreifenden
Versorgung, Finanzierung und Planung einschließlich einer ambulant-stationären
integrierten Notfallversorgung. Die Krankenhäuser sind zum konstruktiven Dialog
für eine sachgerechte Diskussion und Weiterentwicklung der Vorschläge
ausdrücklich bereit. Es wird aber bezweifelt, dass die aktuellen
Reformvorschläge diese Zielsetzungen erfüllen. Die Reform darf im Kern nicht
zum Krankenhausabbauprogramm unter dem Deckmantel einer Vergütungsreform
mutieren.
Voraussetzung einer erfolgreichen Umsetzung einer Krankenhausreform ist eine
gesicherte Finanzierung. Dies betrifft sowohl die Betriebskosten- als auch die
Investitionsfinanzierung. Die aktuelle Finanzierungssituation der Krankenhäuser
ist langjährig defizitär und hat sich durch die Corona-Pandemie und die
Kostenexplosion dramatisch verschärft. Daher kann der Status quo nicht als
Basis einer Reform dienen, in der das vorhandene Finanzvolumen nur umverteilt
wird. Bis Reformen umgesetzt sind und greifen, müssen die Krankenhäuser
abgesichert werden, sonst werden unkontrolliert Fakten durch Insolvenzen
geschaffen. Ein Umbau von Versorgungsstrukturen muss durch den Bund über einen
Strukturfonds finanziert werden.
Die vorliegenden Reformvorschläge sind nicht fundiert, eine Folgenabschätzung
der Auswirkungen auf die Versorgung wurde nicht unternommen. Es darf kein
Feldversuch an der Gesundheitsversorgung der Bevölkerung unternommen werden.
Die Versorgung in der Metropolregion Berlin ist geprägt durch ihre
überregionalen Versorgungsaufgaben, eine niedrige Fallzahlhäufigkeit, eine
geringe Bettendichte, eine hohe Auslastung und einen hohen
Krankheitsschweregrad. Mit dem neuen Krankenhausplan 2020 wurden die
Versorgungsstrukturen bis 2025 auch vor dem Hintergrund der demografischen
Entwicklung und der Bevölkerungsentwicklung weiterentwickelt. Die hohe
Detailtiefe der Reformvorschläge und die Strukturvoraussetzungen der Level,
kombiniert mit Leistungsgruppen, führen in dieser Form zu einer nie dagewesenen
Bereinigung der Versorgungslandschaft mit einer erheblichen Gefährdung der
Versorgungssicherheit und deutlichen Verwerfungen in etablierten regionalen und
überregionalen gut funktionierenden Versorgungsstrukturen (siehe Beispiele
unten). Auch die vorgeschlagene Vorhaltevergütung geht in ihrer Logik von
vornherein davon aus, dass möglichst viele Krankenhausstandorte nicht mehr an
der Versorgung teilnehmen dürfen.
Eine solche radikale Versorgungsstrukturbereinigung ist weder finanzierbar noch
sinnvoll und gefährdet die Versorgung. Die Abgabe der Planungshoheit der Länder
und deren faktische Entmachtung durch Festlegung der Strukturvorgaben der Level
und der Leistungsgruppen und deren Prüfung durch den MDK darf so nicht
umgesetzt werden. Viele Vorschläge haben offen oder versteckt das Ziel einer
radikalen Zentralisierung und eines Abbaus von Standorten. Die Länder müssen
aber weiterhin mit Eigenverantwortung die Versorgungssicherheit in den Regionen
gewährleisten können.
Auswahl an Beispielen für Versorgungsprobleme in Berlin infolge der
Reformvorschläge:
- Krankenhäuser des Levels 1n sind für Regionen vorgesehen, in denen das
nächstgelegene Krankenhaus der Regel- und Schwerpunktversorgung bzw. der
Maximalversorgung weiter als 30 Minuten Pkw-Fahrzeit entfernt ist. Dies ist in
Berlin in der Regel nicht der Fall, dieses Level wäre in Berlin also nicht
zulässig oder müsste regelhaft vom Land zugelassen werden. In diesem Fall wäre
das Leistungsspektrum aber sehr eingeschränkt. Davon wären sehr viele
Krankenhäuser in Berlin betroffen.
- Fachkliniken: Alleinstehende Fachkliniken sind mittelfristig offenbar nicht
gewollt, sie sollen an größere Kliniken angegliedert werden. Die Versorgung in
Fachkrankenhäusern soll in Krankenhäusern des Levels 2 erfolgen. Die Kriterien
des Levels 2 erfüllen die meisten Fachkrankenhäuser, z.B. Geriatrie,
Augenheilkunde nicht. Die Leistungsgruppe Geriatrie ist dem Level 1 zugeordnet,
integriert-ambulanten Krankenhäusern oder Häusern mit Chirurgie und
Notaufnahme. Geriatrische Fachkrankenhäuser erfüllen diese Voraussetzungen
nicht, sie müssten voraussichtlich geschlossen werden. Die geriatrische
Versorgung als Teil der Grundversorgung bliebe einzig den verbleibenden
Standorten der Level 2 und 3 vorbehalten.
- Viele Kliniken der Grundversorgung, insbesondere im kirchlichen und
freigemeinnützigen Bereich, erfüllen die hohen Vorgaben des Level 2 nicht und
würden wegen fehlender Möglichkeit der Berücksichtigung als Level 1n-Haus aus
der Versorgung ausscheiden. Die in Berlin so erfolgreich geübte Trägervielfalt
(KHG) wäre damit nicht mehr gewährleistet.
- Level 2: Schwerpunktversorger II sollen mindestens drei internistische
Leistungsgruppen vorhalten. Viele haben bisher aber nur zwei (bisher
Abteilungen genannt) vorgehalten. Die Erfüllung dieser – auch personellen –
Strukturvoraussetzungen würde ein Mammut-Konversionsprojekt mit offenem Ausgang
bedeuten.
- Die Versorgung in Perinatalzentren Level 1 ist nur noch in Krankenhäusern mit
Level 3 (neues Stufenmodell) möglich. Dies wäre vermutlich das Aus für die
Hälfte aller Versorger in Berlin, die alle die Mindestmengen erfüllen und sich
mit ihrem Versorgungsangebot im Rahmen der vernetzten Strukturen bewährt
haben.
- Schwere Verbrennungen würden Level 3-Häusern zugeordnet. Diese müssen laut
Regierungskommission über Expertise in der Onkologie verfügen. Mit dieser
fachlich fragwürdigen Verknüpfung von Strukturvoraussetzungen könnten
erfolgreich geübte Angebote der Brandwundenversorgung wegfallen.
- Geburten würden nur in Level 2 Kliniken erfolgen. Die Level-2-Häuser müssten
beispielsweise Stroke-Units vorhalten. Damit könnten viele Krankenhäuser der
Grundversorgung diese nicht mehr erbringen. So müsste beispielsweise vermutlich
die größte Einzel-Geburtsklinik in Deutschland geschlossen werden.
Quelle: Medienmeldung, 04.01.2023