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WeCare4Us Pflege-Studie

Pflege-Studie: Wertedefizit einer Gesellschaft zeige sich, wenn der Dienst am Menschen nicht belohnt, sondern bestraft werde (Download, PDF, 3,2 MB).



Endlich kommen die Pflegekräfte zu Wort: Wie sieht die Zukunft Deutschlands stationärer Pflege aus? Auf deutschen Pflegestationen fehlt es an allen Ecken an Lösungen. Jetzt kommen endlich die Pfleger*Innen selbst zu Wort. In der WeCare4s Studie fragt die opta data Zukunfts-Stiftung und das Institut
für Zukunftspsychologie und Zukunftsmanagement (IZZ) Pflegekräfte des Universitätsklinikum Essen nach ihren Zukunftsängsten und Visionen.
Niemand möchte gerne in ein Krankenhaus eingewiesen werden. Doch im Ernstfall
gehen wir davon aus, gewissenhaft versorgt zu werden. Während Ärzte oft nur
kurz durch das Patientenzimmer huschen, sind es die Pfleger*innen, an die wir
uns nach dem Krankenhausaufenthalt dankend erinnern. Als Krankenhäuser auf der
ganzen Welt während der Corona Pandemie an ihre Grenzen stießen, begriffen
viele mit Schrecken leider zum ersten Mal: Die Garantie einer menschlichen
Pflege ist in Gefahr.

In Zeiten des demografischen Wandels und der belastenden Coronaerfahrungen
sprechen alle über die Pflegenden und den großen Mangel an Personal, aber kaum
eine Studie lässt sie dann selbst zu Wort kommen. Dieses Vakuum wird nun
gefüllt. Im Auftrag der Stiftung Universitätsmedizin Essen haben die opta data
Zukunfts-Stiftung und das Institut für Zukunftspsychologie und
Zukunftsmanagement (IZZ) der Sigmund Freud PrivatUniversität in Wien von 2021
bis 2022 mehr als 200 Pflegekräfte des Universitätsklinikum Essen interviewt.

Die Ergebnisse werden auf dem Big Bang Health Festival vom IZZ Direktor und
Präsidenten der opta data Zukunfts-Stiftung Prof. Dr. Thomas Druyen der
Öffentlichkeit vorgestellt. Dies tut er gemeinsam mit Prof. Dr. Jochen A.
Werner, Ärztlicher Direktor und Vorstandsvorsitzender der Universitätsmedizin
Essen sowie Frau Schmidt-Rumposch, Vorstandsmitgliede und Pflegedirektion der
Universitätsmedizin Essen.

In der WeCare4Us Studie geht es um die zentrale Frage, wie die stationäre
Pflege ihre eigene Zukunft einschätzt. Wie sieht der Beruf in 10 Jahren aus?
Was verändert sich in der Kommunikation, Digitalisierung und Zusammenarbeit?
Und was muss sich heute schon tun, damit die Pflege der Zukunft gesichert
ist?

Die Prognose der Befragten könnte klarer nicht sein: Wenn die Entwicklungen auf
den Pflegestationen weitergehen wie bisher, wird „Pflege“ in Deutschland bald
zur Fließbandarbeit. 87,4% erwarten, dass die Belastungen in der stationären
Pflege in Zukunft weiter zunehmen werden. Viele, vor allem junge Pfleger*innen,
sehen ihre persönliche Zukunft eher in einer Teilzeitstelle oder am
Schreibtisch. Die Erfahrenen unter ihnen freuen sich auf den baldigen
Renteneintritt. Andere wissen nicht, wie sie die weitere Belastung körperlich
und psychisch aushalten sollen.

Die Anerkennung des Traumberufs

Dabei schauen die Befragten mit Wehmut auf ihr eigenes Berufsbild. Während die
Gesellschaft bei „Pflege“ an Bettpfannen denkt und mitleidig Beifall klatschen,
trauern die Pfleger*innen um die Abwertung der stationären Pflege. Sie wissen:
Nirgends sonst gibt es heute noch eine Beschäftigung, bei der Menschlichkeit
und Empathie auf hochmedizinisches Fachwissen, Verantwortung und
Spezialisierungsmöglichkeiten treffen. Für den händeringend gesuchten Nachwuchs
ist diese Balance eigentlich hochinteressant. Die stationäre Pflege könnte und
müsste in Zukunft ein Traumberuf für eine junge Generation sein, die nach
sinnstiftenden Berufungen mit einem abwechslungsreichen Alltag sucht.


27% sehen Empathie und Menschlichkeit als wichtigste Skills für den Nachwuchs.
21% geben an, in Zukunft auf mehr Wertschätzung und Anerkennung für ihren Beruf
zu hoffen.

Statt ihren Beruf zu genießen, halten die Pflegekräfte es selbst kaum aus. Die
Befragten sind an ihrer Schmerzgrenze angelangt. Sie kämpfen mit Schuldgefühlen
gegenüber den Patienten, schaffen es kaum einen Urlaub fest einzuplanen, klagen
über Rückenschmerzen und Burnout. Wie soll jemand der selbst durch vor Stress
erkrankt noch andere Menschen pflegen?


23% listen „Belastbarkeit“ als eine essenzielle Fähigkeit für den Nachwuchs
auf.
30% sehen die durch die Schichtdienste unplanbarer Freizeit und absehbare
Ausfälle als untragbar an.

Zeit für Menschlichkeit


Ihr größter Wunsch ist, mehr Zeit für die eigentliche Pflege zu haben. Bei der
Frage, wie ihr Beruf in Zukunft ablaufen soll, sprechen fast die Hälfte aller
Befragten von mehr Zeit für Patienten und Angehörige. Die Rettung der Pflege
bedeutet für die meisten Pflegekräfte eine Rettung der Menschlichkeit. Denn die
ist durch den Zeitdruck des täglich spürbareren Fachkräftemangels, der
Automatisierung durch digitale Software und zunehmende medizinische
Verantwortungen gefährdeter denn je. Zwischen der Dokumentation der
Arbeitsschritte am Computer und den immer komplexeren Therapiemethoden, bleibt
kaum Zeit für ein persönliches Gespräch, geschweige denn für regelmäßige
Teammeetings und die Einarbeitung des Nachwuchses.


14% berichten bei der Frage nach der Zukunft der Digitalisierung von einer
Angst vor abnehmender Menschlichkeit und weniger Zeit für Patient*innen.
24% sehen die zu erwartenden medizinischen Kompetenzen und neue Verantwortungen
als Belastung an.
14% wünschen sich bei der Frage nach der zukünftigen Gestaltung ihres Berufs
eine Abgabe pflegefremder Nebenaufgaben.

Innovationen, Ausbildungsformate und neue Gesetze sind erst dann eine
Erleichterung, wenn sie den Pfleger*innen am Ende tatsächlich helfen, Zeit
einzusparen. Jede zusätzliche Nebentätigkeit, jeder unnötige Mausklick und jede
fehlende Kompetenz rauben am Ende kostbare Zeit. Die meisten Maßnahmen für die
Unterstützung der Klinikpflege haben bisher leider oft das Gegenteil bewirkt.


Digitalisierung? Ja, aber…!


Grundsätzlich sehen viele das Potenzial der Digitalisierung. Irgendwann werden
die Pflegekräfte so sicherlich bei ihren Arbeitsschritten und dem
bürokratischem Dokumentationsaufwand entlastet werden. Aber noch herrscht Chaos
und Überforderung mit neuen Technologien. Und für eine „Try and Error“-Phase
gibt es in der Pflege einfach keine Zeit.


36% erwarten in Zukunft Überforderung und mehr Zeitaufwand durch zu komplexe
Software und langesame Geräte.

Die Last des Nachwuchses


Es gibt starke Kritik an der neuen „Mischmasch-Ausbildung“, bei der angehende
Pfleger*innen erst spät in die verschiedenen Fachbereiche spezialisiert werden.
Nach Angaben der Befragten kommen immer mehr junge Pfleger*innen ohne nötige
Fachkompetenzen auf den Stationen an. Damit wird der Nachwuchs zu einer
Doppelbelastung und verliert selbst an Motivation unter den harten Bedingungen
den Beruf weiterzuführen. Anstatt voneinander zu lernen, entstehen durch
beidseitigen Frust zunehmend Missverständnisse und Reibungen zwischen Jung und
Alt.


21% geben bei der Frage nach Belastungsgrenzen die unzureichenden
Fachkenntnisse des Nachwuchses durch die aktuelle Ausbildung an.
15% erwarten vom Nachwuchs in Zukunft wieder mehr Passion und Motivation.

Stabile Teams statt Zeitarbeit


Als Ausgleich für krankheitsbedingte Ausfälle und fehlendes Personal wird oft
der flexible Einsatz von Zeitarbeiter*innen als vielsprechende Lösung
angepriesen. Für die Befragten ist die Fluktuation in ihren Teams dagegen kaum
erträglich. Ein gut harmonierendes Stammteam ist für die meisten die einzige
Möglichkeit den Stress zu bewältigen. Generell hoffen mehr als die Hälfte auf
ein routinierteres Zusammenarbeiten und offene Kommunikation zwischen allen
Berufsgruppen und Fachbereichen.


21% empfinden die hohe Fluktuation in den Teams und die Zeitarbeit als
belastend.
37% sagen Einzelkämpfer sind zukünftig ein „No-Go“ in Pflegeberufen.
56% denken es braucht in Zukunft einen besseren interdisziplinären Austausch,
Informationsfluss & Kommunikation.

Ungenutzte Innovationstalente


Die Anwendung digitaler Innovationen, neuer Ausbildungswege und flexibler
Springer*innen für die Erleichterung der Arbeit auf den Krankenhausstationen,
ist nach den Befragten keine langfristige Lösung. Dennoch gibt es Hoffnung!
Nicht zuletzt sehen 29,3% die Entwicklung der Pflege in Zukunft durchaus
positiv. Sie begrüßen, dass momentan überhaupt eine Diskussion um die
Pflegeproblematik geführt wird. Und wer denkt, die Pfleger*innen könnten sich
selbst auch nicht weiterhelfen, irrt sich. 39% der Befragten hatten in den
Interviews konkrete Vorschläge, wie Digitalisierung, Arbeitsprozesse und
Zusammenarbeit besser gestaltet werden könnten. Ohne eine Einbindung der
Pflegekräfte in die Entscheidungsprozesse zu ihrer eigenen Zukunft, gehen ihre
vielversprechenden Ideen verloren. Entgegen den Erwartungen nahm dieser
Innovationsreichtum mit dem Alter der Befragten sogar zu. Das gesunde
Halbwissen zu Digitalthemen, und die langjährige Erfahrung der Pflegekräfte
über 50 Jahre, erweisen sich als goldene Mischung für die Entwicklung
innovativer Lösungen. „Warum geht das nicht auch so…?“ – Gute Frage!


Was ist die Zukunft der Pflege


Eine wünschenswerte Zukunft der stationären Pflege in Deutschland existiert
nur, wenn sich jetzt etwas ändert ­– und zwar nachhaltig. Keine punktuellen
Boni oder smartere Software werden es allein schaffen. Die inakzeptablen
Arbeitsbedingungen in der stationären Pflege bedingen sich gegenseitig wie ein
dichtes Netz aus unerfüllten Bedürfnissen und unausgereiften Lösungen. Durch
das fehlende Personal hat sich zusätzlich eine Teufelsspirale entwickelt.
Fehlende Fachkräfte und zu wenig Auszubildende kreieren stressgeladene
Arbeitsbedingungen, die für den Nachwuchs erst recht unattraktiv sind. Um sie
zu durchbrechen, braucht es neben den akut geplanten Entlastungen ein
langfristiges Transformationsziel. Wie sieht ein Pflegeberuf aus, der für
kommende Generationen interessant ist?


Auf einen Schlag wird niemand den Fachkräftemangel lösen können. Das macht die
Zukunft der Pflege aber nicht aussichtslos. Die Pflegekräfte träumen über die
Hürden aus Politik und Wirtschaft hinweg von einem modernen Pflegeberuf, der
seine Potentiale entfaltet und dafür entsprechend geschätzt wird. Das „Mädchen
für alles“ hat im 21. Jahrhundert lange ausgedient. In der Klinikpflege treffen
Innovative Forschung, smarte Technologien und stetig wachsende
Spezialisierungsmöglichkeiten auf gesellschaftliche Verantwortung, Fürsorge und
Teamarbeit. Unattraktiv? Ganz und gar nicht! Die stationäre Pflege ist eine
komplexe und anspruchsvolle Profession, die unter den chaotischen
Arbeitsbedingungen erstickt. Klarheit, Stabilität und Differenzierung sind
essenzielle Leitplanken, um die Ressourcen der Pflege freizusetzen.


In ihren zukunftsweisenden Antworten ersetzen die Pflegekräfte aktuelle
Probleme durch Forderungen nach attraktiven Karrierewegen und Ausbildungen für
den Nachwuchs, Fachbereich gerechten Technologien, empathischen
Weiterbildungen, berufsgruppenweiten Workshops und psychosomatischen
Gesundheitsprogrammen für Pflegekräfte. Wie diese Schritte im Detail aussehen
sollen, wissen die Pflegekräfte durch ihre täglichen Erfahrungen genau. Wenn
sich nach einer erfolgreichen Transformation der Pflegeberufe der Nebel dann
endlich lichtet, soll es auf Deutschlands Pflegestationen vor allem wieder eins
geben: Zeit für eine menschliche Pflege.


Zitat von Prof. Druyen: „Es wäre naiv zu übersehen, dass die längst bekannten
Phänomene dieses Pflegedesasters politische und ökonomische Ursachen haben. Die
Politik kompensiert ihre Ziellosigkeit mit endlosen Versprechen. Und das
Schicksal von Pflegenden und Gepflegten wird auf dem Krankenhausmarkt und in
der Gesundheitsindustrie spekulativ zerrieben. Vor diesem Hintergrund ist es
ein Wunder, mit welcher Hingabe sich die meisten Pflegekräfte ihren
existentiellen Aufgaben widmen. Das eigentliche Drama steckt in jenem
Wertedefizit, das eine Gesellschaft aufweist, wenn sie den Dienst am Menschen
nicht belohnt, sondern bestraft.“

Quelle: Download, 02.09.2022

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