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DSGVO behindert medizinische Notfallversorgung und gefährdet Menschenleben mydrg.de





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DSGVO behindert medizinische Notfallversorgung und gefährdet Menschenleben

DSGVO behindert medizinische Notfallversorgung und gefährdet Menschenleben (DGOU).



Professor Dr. Dietmar Pennig, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU) und Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU) mahnt auf der Pressekonferenz des Deutschen Kongresses für Orthopädie und Unfallchirurgie (DKOU) in Berlin an,
dass die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) Menschenleben in der
Notfallmedizin gefährdet und sagt: „Die Auslegung der DSGVO gefährdet
Menschenleben. Das ist unverantwortlich!“ Der Experte fordert zur besseren
Notfallversorgung der Patienten und Patientinnen eine Anpassung der
Datenschutzregeln.

Ein Expertenkreis entwickelte 2008 das Traumanetzwerk, welches Professor Pennig
seit Jahren vertritt. Das flächendeckende Traumanetzwerk besteht aus 53
einzelnen Netzwerken. Jedes Netzwerk besteht wiederum aus einem
Maximalversorger, also einem hochspezialisierten Krankenhaus für die
Notfallversorgung; zu jedem Netzwerk gehören regionale und lokale Zentren. Ziel
ist es, die Notfallpatienten zum Beispiel bei einem Autounfall oder einem
Massenanfall von Verletzten in das nächstmögliche Krankenhaus zu transportiert,
aber unter zwei Berücksichtigungen: A) die notwendige Spezialisierung ist dort
ausreichend für die Verletzungen der Patienten sowie B) die dortige Kapazität
ermöglicht dies ad hoc. Im Idealfall übermittelt der Krankentransport noch vor
Ankunft am Krankenhaus wichtige Patientendaten wie Blutwerte, damit die
Vorbereitungen in der Klinik bereits starten. Diese Datenübermittlung
unterliegt den DSGVO-Bestimmungen, also der ausdrücklichen Zustimmung des
Patienten, der als Notfallpatient oft nicht ansprechbar ist, mit der Folge,
dass wertvolle Zeit vergeht.

Zum Traumanetzwerk gehört das Traumaregister. In diesem Register geben die
teilnehmenden Krankenhäuser Daten zu jedem Notfall ein. So werten die Experten
im Rhythmus von drei Jahren aus, welche Behandlungen bei welchen Verletzungen
und welchen Patienten die besten Resultate erzielen. Auf Basis dieser
Auswertungen passen die Experten die bisherigen Behandlungen an, um zukünftig
höhere Behandlungserfolge und Überlebenschancen zu erreichen. Die DSGVO
erschwert den Kliniken die Einpflege dieser Daten aufgrund rechtlicher
Vorgaben, was zu einem Rückgang der Nutzung des Registers führt.

Jeder Tag unter diesen Datenschutzbestimmungen gefährdet Leben
Pennig: „Das Traumanetzwerk bringt einen Zeitgewinn, der Leben rettet.“ Für
Pennig wäre es selbstverständlich, dass der Krankentransport die Patientendaten
wie Blut- oder EKG-Werte (Elektrokardiogramm) an das Krankenhaus zur
Vorbereitung der optimalen Patientenübernahme sendet. Dies setzt laut DSGVO
aber die aktive Zustimmung des Patienten oder der Patientin voraus und diese
Zustimmung können Schwerverletzte oft nicht geben – mit Folgen. So empört
Pennig, dass bewusstlose Patienten und Patientinnen keine aktive Zustimmung
geben können, und dadurch eine Übermittlung der Daten verboten ist, wodurch die
Überlebenschancen sinken. Er stellt klar: „Die DSGVO behindert die
Lebensrettung. Technisch können wir die Daten problemlos übertragen, aber wir
dürfen es nicht, wenn der Patient nicht mehr ansprechbar ist zur Einwilligung.“
Der Experte fordert sofort eine angepasste Datensicherheitslösung für das
Traumanetzwerk: „Jeder Tag unter diesen Datenschutzbedingungen gefährdet
Leben“, und verweist darauf, dass andere Länder hier weiter sind. Und Pennig
gibt noch einen Denkanstoß: „Ich kenne keinen Schwerstverletzten, der
ansprechbar war, und die Datenweitergabe zu seiner Lebensrettung abgelehnt
hat.“

Andere Länder lösen das Kostenproblem besser als Deutschland
Das Traumanetzwerk finanziert sich aus Beiträgen der teilnehmenden
Krankenhäuser. Darin sieht Professor Pennig einen großen Vorteil für die
Patientinnen und Patienten: „Das Traumanetzwerk erhöht die Überlebenschancen
der Patienten, ohne dass ihnen Kosten entstehen.“ Genau darin sieht der
Generalsekretär der DGU Pennig nun Handlungsbedarf und fordert: „Die
teilnehmenden Kliniken verbessern seit Jahren die Notfallversorgung und bleiben
auf den Zusatzkosten sitzen. Das ist unerträglich!“ Die Kosten für das
Traumanetzwerk tragen seither die Kliniken selbst. Nach Jahren der Entwicklung
und Einführung müsse sich, nach Pennig, die öffentliche Hand an den Kosten
beteiligen und sagt: „Andere Länder fördern solches Engagement mit finanzieller
Beteiligung“ und ergänzt: „...sie gehen mit dem Datenschutz klüger um als
wir.“

Eine Datenbank, die Leben rettet – doch die DSGVO erschwert die Nutzung
Zum Traumanetzwerk gehört das Traumaregister, das 1993 an den Start ging und
seitdem etwa 400.000 Behandlungsverläufe dokumentiert. Etwa 800 teilnehmende
Krankenhäuser tragen die Datensätze ein, die der nationalen Qualitätssicherung
dienen und am Ende nur ein Ziel verfolgen. Pennig erläuert: „Wir sammeln Daten
in der Schwerverletztenversorgung, um unsere Behandlungen zu verbessern. Wir
wollen die Überlebenschancen bei schweren Unfällen weiter erhöhen.“ Genau diese
dazu notwendige Dateneingabe stellt Krankenhäuser seit Einführung der DSGVO
2018 vor Probleme. Auch hier behindern die administrativen und rechtlichen
Hürden die Einpflege, mit Folgen für schwerverletzte Patientinnen und Patienten
führt Pennig fort: „Die Zahl der eingegebenen Patientenfälle sinkt durch die
DSGVO dramatisch. Allein 2019 sank die Aufnahmequote um 17 Prozent.“ Pennig
befürchtet mit seinen Kollegen und Kolleginnen, dass die Zahlen nicht mehr
valide, also nicht mehr belastbar für Verbesserungen, sind.

Schuld daran ist nach Ansicht des DGU-Generalsekretärs die übertriebene
Interpretation der Datenschützer zum rechtssicheren Umgang mit dem Datenschutz,
welcher gleichzeitig praxisfern sei, was ihn ärgert: „Wir wollen
pseudonymisierte Daten rechtssicher verwenden, auch ohne
Einwilligungserklärung“ und ergänzt: „Schwerstverletzte und Verstorbene können
keine Einwilligung geben. Die gesetzliche Datensicherung ist in diesem Fall
absurd.“

Seine Forderung lautet: „Ein Registergesetz senkt die DSGVO-Hürden und
unterstützt die Lebensrettung. Mit einem Registergesetz können Datenschützer
und Unfallchirurgen gut leben, und viele Schwerstverletzte im wahrsten Sinne
auch.“

Prof. Dr. Dietmar Pennig ist Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für
Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU) sowie Generalsekretär der Deutschen
Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU). Er ist Ärztlicher Direktor und Chefarzt
der Klinik für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie, Handchirurgie und
Orthopädie des St. Vinzenz-Hospitals in Köln.

Quelle: DGOU, 26.10.2021

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