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Az. 14 U 171/18: Verurteilung der Hersteller einer fehlerhaften Hüftprothese mydrg.de





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Az. 14 U 171/18: Verurteilung der Hersteller einer fehlerhaften Hüftprothese

Az. 14 U 171/18: Verurteilung der Hersteller einer fehlerhaften Hüftprothese (Oberlandesgericht Karlsruhe).



Der 14. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Karlsruhe, Zivilsenate in Freiburg, hat die Ver­urtei­lung der Herstellerin und Importeurin einer Großkopf-Hüfttotalendoprothese, die dem Kläger im Jahre 2005 implantiert wurde und die Metall aus dem Konusadapter abgab, durch Urteil vom 08.06.2020 bestätigt. Der Kläger hat wegen der aus der
Konusverbindung der Prothese stammenden Metallabscheidungen, die zu verschiedenen gesundheitlichen Beeinträchtigungen
und zu einer Revisionsoperation mit dem Austausch wesentlicher Prothesenteile
geführt hat, Anspruch auf Schadensersatz und Schmerzensgeld i.H.v. 25.000,00
€.

Der Kläger litt an einer schweren Coxarthrose (Hüftgelenksverschleiß) der
rechten Hüfte und wurde im Juni 2005 im Loretto-Krankenhaus in Freiburg mit
einer ab 2003 von der Beklagten vertriebenen Großkopfprothese versorgt.

Diese bestand aus einer Hüftpfanne (1), Größe 58 mm, die im Hüftknochen (5)
verankert wird, einem Prothesenkopf (2), Durchmesser 52 mm, einem Konusadapter
(3), auch Adapterhülse genannt, und einem Prothesenschaft (4). Pfanne und
Prothesenkopf bilden die Gleitpaarung. Sie bestehen ebenso wie der Konusadapter
aus einer Kobalt-Chrom-Legierung; der Prothesenschaft aus einer
Titanlegierung.

In den Prothesenkopf wird außerhalb des Operationsfeldes der Konusadapter mit
einem schweren Hammer eingeschlagen (7). Dieser zusammengesetzte Prothesenkopf
mit dem Adapter (2+3) wird mittels eines Hammers und eines Aufschlagaufsatzes
auf den oberen, konisch geformten Teil des Prothesenschaftes (Titanlegierung)
eingeschlagen (4). Da der Prothesenschaft vor diesem Fügeprozess bereits in den
Oberschenkelknochen (6) eingeschlagen worden war, erfolgt dieses Einschlagen im
Körper des Patienten.

Skizze Hüftprothese

Obwohl dabei 2 OP-Helfer den Oberschenkelknochen halten, kann dieser beim
Einschlagen 2-3 cm nachgeben. Die damals gültige englischsprachige OP-Anleitung
der Beklagten enthielt den Hinweis: „Mit einem leichten Schlag des
Einschlagwerkzeugs mit Kunststoffaufsatz wird der Metasul-LDH-Kopf auf den
Femurschaft montiert“.

Im Oktober 2009 unterzog sich der Kläger einer Revisionsoperation, bei der
Pfanne und Kopf der Prothese gewechselt, der Schaft hingegen belassen wurde.
Die Operateure stellten zwei große Osteolysen, eine ausgeprägte Bursitis
trochanterica sowie eine gräuliche Masse „ähnlich einer Maultaschenfüllung“ und
einen schwarz gefärbten Konus mit Kranz fest.

Der Kläger fordert Schadensersatz und Schmerzensgeld.

Das Landgericht hat die Beklagten nach umfangreichen Gutachten zur Zahlung von
25.000,00 € Schmerzensgeld und zum Ersatz weiteren materiellen und zukünftigen
immateriellen Schadens verurteilt, den weitergehenden Antrag (weitere 15.000,00
€ Schmerzensgeld) hat es abgewiesen.

Hiergegen haben die Beklagten Berufung eingelegt.

Der 14. Zivilsenat hat die Berufungen der Beklagten gegen dieses Urteil nach
nochmaliger Anhörung der bereits erstinstanzlich angehörten Sachverständigen
zurückgewiesen.

Zur Begründung hat er ausgeführt:

Nach § 1 ProdhaftG hat der Hersteller eines fehlerhaften Produkts demjenigen,
der durch den Fehler an seinem Körper oder seiner Gesundheit verletzt wird, den
daraus entstehenden Schaden zu ersetzen.

Die dem Kläger implantierte Hüftprothese ist fehlerhaft, denn der Verkehr
erwartet, dass eine Hüftprothese kein Metall – Abriebpartikel oder Metallionen
– in solchen Mengen in den Körper abscheidet, dass diese gesundheitsgefährdend
sein können. Etwas anderes gilt nur, soweit solche Abscheidungen zwangsläufig
hingenommen werden müssen, wie etwa ein gewisses Maß von Abrieb in der
Gleitpaarung. Wenn in der Gleitpaarung allerdings nur wenig Abrieb entsteht,
akzeptiert ein Patient nicht, dass stattdessen an anderer Stelle vermeidbare
Metallausscheidungen auftreten.

Der gerichtliche Sachverständige hat in der Gleitpaarung keinen nennenswerten
Abrieb (8) gefunden, aber durch Messungen am Innenkonus der Adapterhülse (9)
ein Verschleiß- bzw. Deformationsvolumen von 6,1 mm³ (1,4 mm³/ Jahr)
festgestellt. Bei weiteren beim Senat anhängigen Verfahren liegt der
durchschnittliche jährliche Metallverlust bei den Fällen, bei denen es zu
Metallverlust gekommen ist, bei knapp über 2,0 mm³.

Skizze Adapterhülse
Die Metallpartikel und -ionen haben nach den Ausführungen der Sachverständigen
in der gemessenen Menge im Körper des Patienten gesundheitsschädliche
Auswirkungen.

Der Metallverlust am Konus beruht auf galvanischer, elektrochemischer oder
Spalt-Korrosion. Diese wird dadurch verursacht, dass die aus verschiedenen
Legierungen bestehende Konussteckverbindung bei der Operation mit einer
unzureichenden Krafteinwirkung zusammengefügt wurde. Auch wenn die
Schadensmechanismen noch nicht abschließend geklärt sind, ist Korrosion die
wesentliche Ursache.

Die Korrosion hätte durch eine ausreichende Fügekraft vermieden werden können.
Die Beklagten haben selbst in den Jahren 2008/2009 Tests mit dem Ergebnis
durchgeführt, wonach bei einer mit 7 kN gefügten Verbindung die Korrosion hätte
vermieden werden können. Zwar kann eine sichere Konusverbindung auch mit einer
Fügekraft von weniger als 7 kN hergestellt werden, dies aber nur, wenn und
solange gute Bedingungen (Schmierung des Gelenks) herrschen.

Die danach grundsätzlich erforderlichen 7 kN - aber selbst 6 kN - sind mit dem
in der Einbauanleitung zum Zeitpunkt der Operation des Klägers vorgesehenen
sanften Schlag nicht gewährleistet. Ein sanfter Schlag mit einem nicht schweren
Hammer reicht nach der übereinstimmenden Feststellung aller Sachverständigen
nicht aus, um die erforderlichen 7 kN oder auch nur 6 kN sicher zu erbringen.
Damit liegt ein Instruktionsfehler vor.

Ein kräftiger Schlag mit einem schweren Hammer kann dagegen zwar ausreichen, um
eine Kraft von 7 kN aufzubringen. Dieses Ergebnis ist aber nicht sicher
reproduzierbar (Konstruktionsfehler). Nach einer Studienauswertung liegt die
von Operateuren angewandte Einschlagskraft meistens im Bereich von 1-2 kN und
nur selten über 4 kN. Ein anderer Sachverständiger geht von 4 - 6 kN aus.
Schwankungen könnten sich aber durch den Winkel und das Nachgeben des Körpers
ergeben. Angesichts des Umstandes, dass der Schaft während des Einschlagens um
bis zu 2 -3 cm nachgibt, kann nach physikalischen Gesetzen die Aufschlagskraft
sehr verschieden ausfallen. Ein Privatsachverständiger der Beklagten hat zu
einem vergleichbaren von ihm bearbeiteten Problem eingeräumt, dass es hier wie
dort schwierig ist, die Kraft genau zu bestimmen, die per Hammerschlag ausgeübt
wird. Das kann zwischen 100 N und 8000 N der Fall sein. Auf dem Markt gebe es
zwar Geräte, die einen festen Impuls auf den Kopf ausüben können, die benutze
nur keiner. Hinzu kommt, dass bei Kräften um die 7 kN die Gefahr besteht, die
Knochen zu schädigen.

Der fehlerbedingte Metallverlust war für die gesundheitlichen
Beeinträchtigungen des Klägers – mit Ausnahme der Bursitis - und die
Revisionsoperation verantwortlich. Dafür spricht angesichts der Umstände der
Anscheinsbeweis. Soweit die Beklagten diesen Zusammenhang mit der Behauptung
verneinen wollen, das von ihnen in Verkehr gegebene Produkt sei nachträglich
durch falschen Einbau oder Reinigung negativ beeinflusst worden, tragen sie die
Beweislast.

Die Haftung ist auch nicht nach § 1 Abs. 2 Nr. 5 ProdhaftG ausgeschlossen, denn
die Beklagten haben nicht bewiesen, dass der Produktfehler zum Zeitpunkt der
Inverkehrgabe des konkreten Produkts im Jahr 2005 nach dem Stand der
Wissenschaft und Technik nicht erkennbar war.

Zum Stand der Wissenschaft und Technik gehören nicht nur die allgemein
anerkannten Regeln der Technik bzw. die allgemein anerkannten
wissenschaftlichen Erkenntnisse. Auch vereinzelte Erkenntnisse können den
„Stand" der Wissenschaft und Technik bestimmen. Dabei ist unter potenzieller
Gefährlichkeit des Produkts nicht der konkrete Fehler des schadensstiftenden
Produkts, sondern das zugrundeliegende allgemeine, mit der gewählten Konzeption
verbundene Fehlerrisiko zu verstehen. Auch bei einer Hüftprothese kommt es
daher nicht auf die konkrete Gefährlichkeit des einzelnen Implantats, sondern
allein auf die Gefährlichkeit der Konstruktion des Prothesentyps an. Dann geht
der Hersteller mit dem Inverkehrbringen eine Risikoentscheidung ein, gegenüber
deren Folgen er sich nicht deshalb entlasten kann, weil er den Risikoeintritt
im Einzelfall nicht vorhergesehen hat. Der Fehler war nach diesen Grundsätzen
erkennbar, denn im Jahr 2005 war bekannt, dass aus modularen Steckverbindungen
aus verschiedenen Legierungen wegen Korrosionsprozessen Metallpartikel und /
oder -ionen austreten können und dies zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen
führen kann. Die unzutreffende Annahme des Herstellers, eine bekannte Gefahr
beseitigt oder behoben zu haben, reicht aber nicht aus, um einen sog.
Entwicklungsfehler im Sinne des § 1 Abs. 2 Nr. 5 ProdhaftG anzunehmen, für den
der Hersteller nicht einzustehen hat. Aus den Erfahrungen bei
Kleinkopfprothesen konnte zudem nicht sicher ausgeschlossen werden, dass bei
Großkopfprothesen keine Probleme auftreten.

Eine Ersatzpflicht der Beklagten ist auch nicht ausgeschlossen, weil den
Beklagten das Zeichen „CE-Kennzeichnung“ zuerkannt worden ist. Dies besagt
nicht, dass die potenzielle Gefährlichkeit des Produkts unter Zugrundelegung
des im Zeitpunkt seiner Inverkehrgabe objektiv zugänglichen Gefahrenwissens
nicht hätte erkannt werden können. Daher ist auch die Frage, ob alle nach dem
damaligen Stand vorgesehenen Tests absolviert wurden, für die Frage der
Erkennbarkeit nicht von Bedeutung.

Die Entscheidung des Landgerichts zur Höhe des Schmerzensgeldes und den
materiellen Schäden hat der Senat gebilligt.

Die Revision wurde nicht zugelassen. Die Nichtzulassungsbeschwerde zum
Bundesgerichtshof ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils
möglich.

OLG Karlsruhe, Urteil vom 8. Juni 2020 – 14 U 171/18 -

Vorinstanz: Landgericht Freiburg, Urteil vom 15.10.2018, - 1 O 240/10 –

Auf die Pressemitteilung vom 08.01.2020 wird ergänzend hingewiesen.


Maßgebliche Vorschriften:

Gesetz über die Haftung für fehlerhafte Produkte - ProdhaftG

§ 1 (1) Wird durch den Fehler eines Produkts jemand getötet, sein Körper oder
seine Gesundheit verletzt oder eine Sache beschädigt, so ist der Hersteller des
Produkts verpflichtet, dem Geschädigten den daraus entstehenden Schaden zu
ersetzen. 2Im Falle der Sachbeschädigung gilt dies nur, wenn eine andere Sache
als das fehlerhafte Produkt beschädigt wird und diese andere Sache ihrer Art
nach gewöhnlich für den privaten Ge- oder Verbrauch bestimmt und hierzu von dem
Geschädigten hauptsächlich verwendet worden ist.

(2) Die Ersatzpflicht des Herstellers ist ausgeschlossen, wenn

1.er das Produkt nicht in den Verkehr gebracht hat,

2.nach den Umständen davon auszugehen ist, dass das Produkt den Fehler, der den
Schaden verursacht hat, noch nicht hatte, als der Hersteller es in den Verkehr
brachte,

..

5. Der Fehler nach dem Stand der Wissenschaft und Technik in dem Zeitpunkt, in
dem der Hersteller das Produkt in den Verkehr brachte, nicht erkannt werden
konnte.

(4) 1Für den Fehler, den Schaden und den ursächlichen Zusammenhang zwischen
Fehler und Schaden trägt der Geschädigte die Beweislast. 2Ist streitig, ob die
Ersatzpflicht gemäß Absatz 2 oder 3 ausgeschlossen ist, so trägt der Hersteller
die Beweislast.

§ 3 (1) Ein Produkt hat einen Fehler, wenn es nicht die Sicherheit bietet, die
unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere

a)seiner Darbietung,

b)des Gebrauchs, mit dem billigerweise gerechnet werden kann,

c)des Zeitpunkts, in dem es in den Verkehr gebracht wurde,

berechtigterweise erwartet werden kann.

(2) Ein Produkt hat nicht allein deshalb einen Fehler, weil später ein
verbessertes Produkt in den Verkehr gebracht wurde.

Quelle: Oberlandesgericht Karlsruhe, 08.06.2020

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