Lieber Herr Weber, liebe NG,
kürzlich hörte ich von einem "hohen Tier" der deutschen Ärztepolitik (zum Thema aut idem) die Aussage: Die größte Macht im deutschen Gesundheitswesen ist halt immer noch der Kugelschreiber des Arztes. Dieser Satz macht eines sehr deutlich: Die Mitarbeiter des Gesundheitswesens und hier besonders die Ärzte tragen eine große Verantwortung für das von der Versichertengemeinschaft zur Verfügung gestellte Geld. Und da dieses Geld, wie wir in den letzten Jahren zunehmend erleben, endlich ist, kommt der Aufgabe der vernünftigen Ressourcenverteilung eine immer größere Bedeutung zu. An diesem Punkt schließlich erhält der Begriff der Ökonomie seinen Sinn: Jeder Arzt, der Patienten unter Verbrauch von Ressourcen behandelt, muss sich darüber im Klaren sein, dass diese Ressourcen u. U. an anderer Stelle fehlen. Daher ist Ökonomie durchaus eine ärztliche Aufgabe, denn wer im Gesundheitssystem sollte sonst die für eine gerechte Verteilung des Geldes notwendige Kompetenz aufweisen. Dazu gehört jedoch die Erkenntnis dieser Verantwortung, die im Einsatz des eigenen Kugelschreibers liegt.
Und noch eines möchte ich zum bisherigen Abrechnungssystem anmerken. Ich lebe seit etlichen Jahren mit einem latent bohrenden schlechten Gewissen, beruhend auf der Tatsache, dass ich für mein Krankenhaus mehr Geld erwirtschafte, wenn ich langsam arbeite, als wenn ich mich bemühe, den Patienten möglichst rasch gesund zu machen. Ein System, welches mit diesem Grundsatz Schluß macht und zudem durch ein damit eng verknüpftes Qualitätsmanagement für einen hohen und vergleichbaren Standard bei der medizinischen Versorgung sorgt, erweckt in mir Hoffnungen nach einer besseren Krankenhauswelt. Ein wichtiges Ziel muss dabei selbstverständlich sein, die Leistungen eines Krankenhauses tatsächlich wirklichkeitsnah abzubilden und Upcoding sowohl über den MDK als auch über die Qualitätssicherung zu verfolgen. Eine Klinik, deren Patienten mit Appendizitis in Zukunft alle auch eine Peritonitis aufweisen, wird hier sicher nicht bestehen können.
Meine Bedenken, dass Ärzte, die bislang gute Ärzte waren, nun zu upcodenden Immobilienmaklern (so sorry, musste sein) werden, sind nach eigenen Erfahrungen sehr gering.
Mit lieben Grüßen aus einer Kinderklinik voller guter Ärzte
--
S. Siefert
Hamburg
http://www.dr-siefert.de
[ Dieser Beitrag wurde von siefert am 13.03.2002 editiert. ]