Kodierung des Primärtumors bei Metastase als ND?

  • Liebes Forum,

    ich habe eine grundsätzliche Frage, auf die ich aus den DKR-Vorgaben und auch mit der Suche-Funktion im Forum leider keine abschließende Antwort finde.
    Somit hoffe ich, dass ich (mit meinem ersten Beitrag!) eine interessante auf hohem fachlichem Niveau liegende Diskussion anstoßen kann.

    Frage: Darf / muss der Primärtumor grundsätzlich als ND kodiert werden, wenn eine oder mehrere Metastasen als Nebendiagnose(n) zu kodieren sind?

    Fiktiver (evtl. konstruiert wirkender) Beispielfall:
    Ein Pat. wird wegen einer traum. Schenkelhalsfraktur stat. aufgenommen und mit einer TEP versorgt.
    Nebenbefundlich wird eine verdächtige Läsion in einem Wirbelkörper bei bekanntem Prostata-CA festgestellt.
    Die Läsion wird im weiteren Verlauf desselben stat. Aufenthaltes biopsiert. Die Histo zeigt eine Metastase des Prostata-CA. Der Primärtumor selbst verursachte keinen Aufwand nach D003i.

    HD: traumatische Schenkelhalsfraktur (S72.*)
    ND: knöcherne Metastase (c79.5)
    Streitfrage: 2. ND: Prostata-CA (C61) ???

    Aus den DKR ergeben sich für beide Ansichten Argumente:

    Ansicht a) Der Primärtumor erfüllt die Kriterien nach DKR D003i nicht und ist deshalb nicht als ND zu kodieren.

    Ansicht b) DKR 0201f behandelt u.a. einen vergleichbaren Fall (siehe Beispiel 4 und den vorlaufenden Text). Hier wird festgelegt, dass der Primärtumor grundsätzlich (unabhängig von der Erfüllung der Vorgaben von D003i) als ND zu kodieren ist, wenn eine Metastase die HD (Unterschied zum oben beschriebenen Casus!) eines Falles darstellt. Als Begründung wird angegeben, dass \"...der Patient nach wie vor wegen dieses Malignoms behandelt wird.\"

    Diese Begründung würde für den oben beschriebenen fiktiven Fall ebenfalls gelten. Somit könnte analog zu folgen sein, dass auch im Beispielfall der Primärtumor als ND kodiert werden muss.

    Man könnte auch der Meinung sein, dass ein ICD-Code für eine Metastase grundsätzlich erst durch den ICD-Code des Primärtumors (im unbekannten Fall C80) vervollständigt wird. Medizinisch hat diese Ansicht einen gewissen Charme, da sich Metastasen in Abhängigkeit vom Primärtumor durchaus unterschiedlich verhalten und zu behandeln sind (Metastasen eines Nierenzell-Ca bluten z.B. stark).

    Allerdings gibt es in den DKR keine Fallkonstellation, welche mit dem Beispielfall identisch ist und Ansicht b) bestätigt.

    Wie sieht das Forum diesen Fall?

    Mit besten Grüßen
    I. Rhomberg

  • Hallo IRhomerg,

    generell gilt: spez. DKR > allg. DKR.

    Deswegen würde ich das Prostata-CA mitkodieren.
    Außerdem würde doch mindestens das PSA (selbst im fiktiven Fall) bei vorbekanntem Prostatacarcinom bestimmt. Somit wäre der Aufwand im Sinne der Nebendiagnosendefinition erfüllt.

    _______________
    Freundliche Grüße

    S.

  • Sehr geehrter Herr S.,

    vielen Dank für Ihre Blitz-Antwort!
    Das Problem sehe ich darin, dass mein Beispielfall nicht identisch mit dem Fall, der in den spez. DKR beschrieben wird, ist. Es gibt dort nur einen ähnlich gearteten Fall, der sich durch die Tatsache unterscheidet, dass in den DKR 0201f die Metastase die HD des Falles ist.

    Ich danke Ihnen für den sicher korrekten Hinweis auf die PSA-Bestimmung. Allerdings geht es mir um eine grundsätzliche, systematische Klärung. Ich bitte also davon auszugehen, dass der Primärtumor die ND-Vorgaben nach D003i nicht erfüllt.

    Mit besten Grüßen
    I. Rhomberg

  • Hallo Herr Rhomberg,

    ich denke, das Prostataca. ist schon eine ND!
    Z-Ziffern nach 0209d kommen nicht in Betracht, da das Prostataca. noch vorhanden ist.
    Nach 0201f Beispiel 4 u. 6 werden nur noch die Metastasen behandelt und das Karzinom (i.d.F. Kolonca.) ist entfernt. Trotz bleibt es ND, einfach auch zur vollständigen Falldarstellung, vermute ich, unabhängig von Aufand etc.

    Schönen Tag noch

    riol

    Viszeralchirurg/Unfallchirurg

  • Hallo nochmal,

    ich denke ebenfalls, dass (selbst wenn die ND-Kriterien nicht erfüllt sind) zur vollständigen Darstellung des Falls, der Primarius als ND zu kodieren ist.

    Hat jemand vielleicht Quellen, welche diese Annahme bestätigen?

    edit:
    Nachtrag:

    Habe in der D1806 noch folgendes Beispiel gefunde, was meine These stützt:

    _______________
    Freundliche Grüße

    S.

  • Hallo Herr S, hallo riol,

    vielen Dank für Ihre Antworten!

    Der Unterschied zu den in den DKR genannten Fällen (0201f Beispiel 4, 1806 Beispiel 3) ist jeweils, dass in meiner Konstellation die Metastase nicht die HD, sondern \"nur\" eine ND darstellt.

    Ein Z-Code kommt, wie riol erklärt hat, nicht in Frage.
    Es bleiben also zwei Möglichkeiten:
    entweder der Primärtumor wird gar nicht kodiert oder regulär über den \"normalen\" ICD-Code.

    Es kann ja mal vorkommen, dass der Primärtumor ccl-bewertet ist und die DRG-entscheidende Komponente darstellt.

    Das Argument \"vollständige Falldarstellung\" wird vor dem MDK in so einem Fall zumindest diskutabel sein.

    Für eine Kodierung des Primärtumors als ND sprechen meiner Ansicht nach die in der ursprünglichen Anfrage genannten Punkte.
    Dagegen spricht die allgemeine Regel D003i.

    Für weitere Ansichten, Argumente, Herleitungen wäre ich sehr dankbar.

    Viele Grüße und schönes Wochenende
    I. Rhomberg

  • Hallo Herr Rhomberg,

    ich halte die D003i für nachrangig, wenn eine spezielle DRK (hier 0201f) vorliegt. Und weil die Metastasen \"nur\" eine ND sind, schließt dies das Prostataca. als ND doch nicht aus!

    Guten Start in die Woche

    riol

    Viszeralchirurg/Unfallchirurg

  • hallo IRhomberg!

    Sie gaben vor:
    - M sei die metastase des Primärtumors PT
    - M erfüllt die ND-definition D003
    - PT ist nicht HD
    - PT erfülle bei diesem stat aufenthalt die ND-definition D003 nicht
    ( in Ihrem beispiel war M=C79.5, PT=C61, HD=S72.- )

    Die kodierung hat absteigend in der hierarchie SKR > AKR > ICD zu erfolgen.


    SKR-ebene
    - die SKR beschreiben besondere fallkonstellationen, die entweder der konkreten festlegung dienen oder bei denen aus gründen der DRG-logik von den AKR abgewichen werden muss.
    - so legen sie für den fall HD=M fest, dass der PT als ND anzugeben ist, auch wenn dieser vor jahren bereits entfernt wurde.
    - Ihren fall M=ND behandeln die SKR nicht; legen also nichts fest.
    Es verbleiben die ebenen AKR und ICD.

    AKR-ebene
    - hier kommen 2 AKR in betracht. D003 und D012.
    -PT erfüllt die ND-def nicht, D003 entfällt in dieser hinsicht.
    - D0012 beschäftigt sich ua. mit der dopppelklassifizierung außerhalb des +/*-systems. Zur vollständigen beschreibung des gesundheitszustandes einer person verweist D012 auf das systVZ. Dort finde man hinweise wie \" soll... angegeben werden; ist eine zusätzliche Schlüselnummer zu benutzen \"
    Andere festlegungen zu M=ND trifft D012 nicht.
    Bleibt noch die ICD-ebene.

    ICD-ebene
    Weder bei C79.5, noch bei C79.-, C76-C80 und auch nicht bei C00-C97 findet sich etwas von einer zusätzlichen schlüsselnummer oder \" soll... angegeben werden\".

    SKR / AKR und ICD erlauben bzw. erzwingen bei der HD=S72.-, ND C79.5 die zusätzliche Kodierug von C61 NICHT.

    Den vorschlag mit einer laborkontrolle eines tu-markers C61 ccl-fähig zu machen halte ich für \" schlecht \".
    Siehe D003 \" Abnorme Befunde \"

    mfg ETgkv
    Ernst Trump, Waltrop

  • Hallo zusammen,

    vielen Dank für Ihre Antworten!

    @ ETgkv: Herr Trump, vielen Dank für Ihre ausführliche Prüfung und strukturierte Herleitung!

    Ich möchte folgenden Lösungsansatz zur Diskussion stellen:

    auf den ersten Blick könnte 0201f (Beispiel 4 und vorlaufender Text) einen Ausnahme-Tatbestand von der allgemeinen Regel nach D003i definieren.

    In der Begründung von 0201f wird allerdings explizit beschrieben, dass das primäre Malignom eine Nebendiagnose ist, \"...da der Patient nach wie vor wegen dieses Malignoms behandelt wird.\" Dies gilt selbst Jahre nach der Resektion des Primärtumors.
    Bei Berücksichtigung dieser Begründung könnte 0201f nun nicht mehr einen Widerspruch oder Ausnahme-Tatbestand zu bzw. von D003i, sondern eine ergänzende Klarstellung repräsentieren.

    Laut 0201f sei bei Behandlung einer Metastase \"automatisch\" eine für eine Klassifikation als ND ausreichende Behandlung der Grunderkrankung (ICD-Code des Primärtumors) gegeben, da nach wie vor eine Behandlung derselben vorliegt.
    Die Vorgaben von D003i wären bei Behandlung einer Metastase für das primäre Malignom somit regelhaft erfüllt (der von mir dargestellte Fall, dass das primäre Malignom die Voraussetzungen von D003i nicht erfüllt, wäre folglich nicht möglich bzw. ausgeschlossen).

    Es ist nicht ersichtlich und den DKR auch nicht zu entnehmen, dass diese Logik ausschließlich für den Fall gelten soll / kann, dass die Metastase die HD des Falles darstellt.
    Auch wenn die Metastase „nur“ als ND kodiert wird, müsste die Begründung von 0201f analog beachtet werden.

    Daher könnte aus der Begründung zu 0201f zu folgern sein, dass der ICD-Code des Primärtumors regelhaft als ND zu kodieren ist, wenn eine Metastase kodiert werden darf (unabhängig ob als HD oder ND).

    Diese Logik würde den Vorgaben der DKR entsprechen.
    Dieser Ansatz würde auch die \"unschöne\" Existenz eines Widerspruchs zwischen einer allg. und einen spez. Kodierrichtlinie vermeiden.
    Daher könnte diese Auslegung vorzuziehen sein.

    Wie sieht das Forum diesen Lösungsansatz?

    Mit besten Grüßen
    I. Rhomberg


    PS. Zur zusätzlich aufgekommenen Frage, ob eine PSA-Wert-Kontrolle die Kodierung des Prostata-CA rechtfertigt:
    in dem fiktiven Fall wird der PSA-Wert zur Verlaufskontrolle des bekannten Prostata-CA ermittelt. Dieser stellt in meinen Augen nahezu klassisch eine diagnostische Maßnahme im Sinne von D003i dar. Die PSA-Wert-Messung erfolgte aufgrund des bekannten Ca und nicht „ins Blaue hinein“. Sie erfüllt eine vergleichbare Funktion wie z.B. bildgebende Verfahren zum Staging.
    Ein „abnormer Befund“ ohne klinische Bedeutung liegt nicht vor.