Hauptdiagnose DKR-Psych

  • Liebe Forummitglieder,

    im Rahmen von Schulungen bin ich auf eine Frage gestoßen, von der ich glaubte, sie sei schon lange geklärt und uninteressant. Es geht um die gute alte Definition der Hauptdiagnose PD002a. Der Wortlaut ist in der DKR-Psych derselbe wie in den DKR. "Die Hauptdiagnose wird definiert als: 'Die Diagnose, die nach Analyse als diejenige festgestellt wurde, die hauptsächlich für die Veranlassung des stationären Krankenhausaufenthaltes des Patienten verantwortlich ist.'" Auch die darauf folgenden Passagen sind im wesentlichen deckungsgleich. Auch daß die Hauptdiagnose sich zwar auf die Veranlassung des Aufenthaltes bezieht, wegen der Erkenntnisse “nach Analyse” aber nicht der Aufnahmediagnose oder gar der Einweisungsdiagnose entspricht, ist identisch.

    Nun behauptet Godemann (1): "Veranlassung ist nicht mit dem Aufnahmegrund gleichzusetzen. Der Begriff der Veranlassung bezieht sich auf die Diagnose, welche hauptsächlich den stationären Aufenthalt erklärt." Dies wird von manchen Lesern so ausgelegt, daß es weniger um die Veranlassung des Aufenthaltes als um die Erklärung des Gesamtaufenthaltes geht. Für die Psychiatrie hieße das: Aufnahme wegen Zwangsstörung, dann nach zwei Wochen Wiederaufflammen einer bis dahin remittierten bipolaren Störung mit psychotischer Manie, kein Zusammenhang zwischen Manie und anfänglichen Zwangssymptomen, Hauptdiagnose dennoch: bipolare Störung, manisch, mit psychotischen Symptomen, F31.2. Die Beispiele des Autors gehen freilich nicht so weit.

    In den Kommentaren von Schlottmann (2) zu den DKR-Psych wird im zweiten Kommentar zu PD002a die "Veranlassung des stationären Aufenthaltes" von der "Veranlassung der stationären Aufnahme" unterschieden und behauptet, diese Unterscheidung sei bewußt gewählt worden. (Die Autorin geht aber nicht darauf ein, warum dann die Formulierung nicht gleich “Verursachung des stationären Aufenthaltes” ist.) Eine solche Auslegung würde für mein oben konstruiertes Beispiel Zwang-Manie dazu führen, daß die Manie Hauptdiagnose wäre, da sie den Aufenthalt (in seiner Länge und in seinem Aufwand) veranlaßt hätte. Das Beispiel von Frau Schlottmann ist leider nicht so radikal wie mein Zwang-Manie-Beispiel. Ihr somatisches Analogbeispiel instabile Angina pectoris mit folgendem Herzinfarkt hieße in der psychiatrischen Anwendung etwa Hypomanie mit folgender Manie, und daß das dann zur Manie als Hauptdiagnose führen würde, ist wohl unstreitig. Auch die Beispiele 1 bis 7 aus den DKR selbst belegen die behauptete Unterscheidung "Veranlassung des stationären Aufenthaltes" gegenüber "Veranlassung der stationären Aufnahme" nicht.

    Mein Eindruck ist, daß in den Kommentaren von Godemann und Schlottmann, salopp gesagt, ein wenig Wunschdenken steckt, daß der Aufwand des Aufenthaltes abgebildet wird. (Vielleicht kommt das Wunschdenken auch eher bei den Lesern ins Spiel.) Meine Ansicht ist, daß die Hauptdiagnose in der Psychiatrie genau so gehandhabt wird wie in den somatischen Fächern – auch wenn es natürlich Raum für den Streit gibt, ob Symptome zu Beginn des Aufenthaltes einen Zusammenhang mit später sich entwickelnden Krankheiten haben oder nicht. Erstens ist die Formulierung in den DKR gleich; zweitens ist sogar die Anmerkung gleich, daß es aufgrund der Definition zu einer nicht adäquaten Abbildung der Krankenhausleistung kommen kann; drittens hätte, wenn die Veranlassung sich auf den Aufwand des gesamten Aufenthaltes hätte beziehen sollen, auch gleich die Formulierung “Verursachung des Aufenthaltes” gewählt werden können; viertens werden keine glasklaren Beispiele für eine eigene psychiatrische Hauptdiagnosedefinition aufgeführt.

    Wie ist die Meinung des Forums?

    Beste Grüße
    Johannes Nebe

    Literatur:
    (1) Godemann, F.: Kodierleitfaden für die Psychiatrie und Psychsomatik 2014, Verlag medhochzwei, 4. Auflage, 2014, S. 52
    (2) Schlottmann, N., Laufer, R. (Hrsg.): Pauschalierendes Entgeltsystem für die Psychiatrie und Psychosomatik, Version 2014, Deutsche Krankenhausverlagsgesellschaft, 2014, S. 192–198

  • Tag Graf Jo,

    in der Tat ist die Hauptdiagnose nicht unbedingt mit der Aufnahmediagnose gleichzusetzen. Den Grund darin sehe ich allerdings eher in der Formulierung "nach Analyse". Der Begriff "Veranlassen" impliziert für mich schon, dass die Diagnose oder deren Prodromi bei Aufnahme bestanden. Denn ich "veranlasse" etwas, bevor es durchgeführt wird.

    Insofern gilt hier - wie in der Somatik auch, schließlich ist es exakt die gleiche Formulierung - eher zwischen den Symptomen als unmittelbarer Anlass und der zugrundeliegenden, bis zum Ende des Aufenthaltes diagnostizierten Krankheit zu unterscheiden.

    In Ihrem Beispiel mit Zwangsstörung als primärer Anlass und im Verlauf auftretende unabhängige Manie würde ich daher die Zwangsstörung als Hauptdiagnose wählen. Natürlich gibt es Grauzonen und die Frage nach "Henne und Ei" wie beispielsweise bei Sucht und Depression. Hier wären eingehendere Beispiele oder sogar spezielle Kodierrichtlinien sinnvoll.

    Weiterhin viel Spaß beim "zwischen den Zeilen" lesen.