• Offizieller Beitrag

    Hallo,

    somit wäre vielleicht eine kurze Anfrage an die Fachgesellschaft mal interessant, nach welchen Kriterien hier vorgegangen werden soll. Muss man dann nochmal wegen Alter unterhalb 16 Jahre unterscheiden (NEO-KISS, International pediatric sepsis consensus conference)? Gerade wegen der Schwierigkeit der Operationalisierung ist ja bisher keine Definition wie bei Patienten ab 16 Jahren konsentiert. Vielleicht findet sich ja ein Pädiater für die Anfrage oder weitere Klärung der wissenschaftlichen Komponente.

  • Morgen zusammen,

    ein Versuch der Operationalisierung, welche nach mehreren (!) Altersgruppen hätte unterscheiden müssen (ansonsten ist die Definition medizinischer Blödsinn) wurde unternommen, war fortgeschritten und blieb aufgrund der zwingend resultierenden Komplexität (4 Tabellen waren mindestens notwendig) unvollendet.

    Einen neueren Stand habe ich nicht.

    Allein wegen der unterschiedlichen Referenzwerte im Labor (Normwerte Leukozyten allein beim Neu- bzw. Frühgeborenen über die ersten fünf Lebenstage) ist eine konzisere Fassung nicht möglich. Nur ein zweiter Punkt: Herzfrequenz: bei einer Herzfrequenz von <100 bpm darf man sich bei Neu- und Frühgeborenen auf eine Reanimation vorbereiten, bei einem 2-jährigen ist das Körperverletzung.

    Eine einfache Lösung für dieses Problem gibt es nicht.

    Gruß

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    Dr. med. A. Christaras
    FA Kinder- & Jugendmedizin

    • Offizieller Beitrag

    Guten Morgen Herr Christaras,

    wie, anhand welcher Kriterien, kodieren Sie denn bei sich die Sepsis? Geben Sie SIRS ebenfalls bei Kindern an?

  • Moin Herr Selter,

    *gemeinerweise* nach recht langer klinischer Erfahrung (Gesamtbild) einschließlich Kenntnis der Normwerte. Das schließt (war halt mein altes Tagwerk) insbesondere Immunsupprimierte (Chemo, Milzentfernung) und Immundefiziente (primäre ID, genetisch assoziierte) ein.

    Bei den Neu- und Frühgeborenen ist vor allem der klinische Eindruck wichtig (welcher dokumentiert sein sollte, auch vor dem Zeitalter der Fallpauschalen). Die Symptome sind bunt, fürchterlich unspezifisch, ein Kernsymptom ist bspw. die Herzfrequenzvariabilität (Schwankungsbreite).

    Ich würde z. B. niemals auf die erfolgreiche Abnahme von Blutkulturen bestehen (bei einem Frühgeborenen mit 100-150 mL Blutvolumen für die Mikrobiologen 2 x 5 mL -> dann hat das Kind einen Schock). Immer aber auf den dokumentierten Versuch. Die Quote der positiven Blutkulturen ist dabei noch schlechter als bei Erwachsenen.

    Mit steigendem Alter nähere ich mich den SIRS-Kriterien ab 14 J an. Ist aber (wie das Wachstum von Kindern auch) ein dynamischer Prozess, der bestenfalls noch linear ist.

    Für eine gute weil umfassendere Darstellung müsste ich hier viel Text schreiben (und mglw. auch noch Unsinn ;) - das will ich Ihnen ersparen.,

    Gruß

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    Dr. med. A. Christaras
    FA Kinder- & Jugendmedizin

    • Offizieller Beitrag

    Hallo,

    vielen DanK! Es bleibt somit weiterhin bei der Zuordnung und bei der Prüfung ohne klare Abgrenzung.

  • Als \"Krücke\" (im wahrsten Sinne des Wortes) kann ich nachfolgende Datei zur Verfügung stellen. Das DIMDI kennt diese schon seit >3 Jahren (VV 2008). Waren aber im VV-Downloadbereich nicht verfügbar (nur der Antrag). Es gab anschließend Weiterentwicklungen, die - wie gesagt - anschließend stoppten. Den Stand 2008 hat die Sektion Pädiatrie der Deutschen Sepsis-Gesellschaft - er liegt mir vor, die Freigabe diesen zu veröffentlichen aber nicht. Bei dem DIMDI-VV Antrag wurde die Genehmigung zur Veröffentlichung ja erteilt, nur dass das DIMDI diese nicht nutzte ;)

    Ich empfehle eindringlich die Daten NUR ALS ANHALTSPUNKTE, NICHT ALS KRITERIEN zu benutzen. Sie sind nicht validiert, nicht konsentiert. Eine \"Krücke\" eben

    Ergänzend: Nach meinem Kenntnisstand gibt es für bestimmte Altersbereiche beispielsweise keine scharf definierten und validierten Bradykardie-Grenzen, so dass die Angabe <2 SD LLN praktisch wertlos ist. Das Problem der Kenntnis der Normwerte LLN ist dabei noch nicht gelöst.

    Gruß

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    Dr. med. A. Christaras
    FA Kinder- & Jugendmedizin

  • Hallo in die Runde!

    Gibt es zu dem Themenkomplex Sepsis bei Säuglingen und Kleinkindern inzwischen eindeutigere Kriterien als die klinischen Zeichen ?

    Mit freundlichen Grüßen

    Breitmeier

  • Guten Abend.

    JA.

    Zunächst:

    Für <29. Lebenstag siehe weiter unten nach Trennlinie.

    Sepsis und SIRS jenseits der Neugeborenenperiode (sprich >28. Lebenstag) ist durch eine S2k-Leitlinie mit der Kennnummer 024-025 mit Stand vom 31.12.2015 geregelt.

    Die "Homepage" der oben genannten Leitlinie finden Sie bei der AWMF unter

    http://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/024-025.html

    Die Leitlinie selbst (Langfassung) finden Sie bei der AWMF unter

    http://www.awmf.org/uploads/tx_szl…ode_2016-04.pdf

    Die Operationalisierung der Sepsis und SIRS findet sich auf Seite 3 bis 7.

    Einschließlich Verweise auf die anzuwendenden ICD10-GM Kodes aus der Klasse R65.-

    Tabelle 1 definiert SIRS.

    Tabelle 2 definiert Infektion einschließlich der Verdachtsmomente auf eine Infektion.

    Tabelle 3 definiert SIRS mit Organkomplikation.
    Tabelle 4 gibt eine Übersicht über die altersadaptierten Richtwerte bei RR, HF, AF, WBC.

    Unter Punkt 2.1 bis einschl. 2.3 werden auch die Diagnostik einer Infektion abgehandelt (Blutkulturen, PCR, Serummarker wie CRP, PCT, IL6). Diese Sachverhalten werden gerne bei entsprechendem ökonomischem Anreiz diskutiert.

    Gleichsinnig wird unter Punkt 2.4 das diagnostische Vorgehen zur Sicherung eines Kreislaufversagens beschrieben. Ebenfalls gerne diskutiert, wenn ökonomischer Anreiz diesbezüglich besteht.

    Das Lob für die meines Erachtens sehr gut gelungene Darstellung ist an die Autorinnen und Autoren der Leitlinie zu richten. Ihre nicht nur theoretische Fundierung sondern auch deren sehr umfangreiche praktische Erfahrung, auch in Sondersituationen, ist nach meinem Dafürhalten unverkennbar.

    Die Leitlinie ist für klinikinterne Auseinandersetzungen zielführend, wenn eine Sepsis allein aufgrund einer klinischen Einschätzung gefordert wird. An die Leitlinie hat sich jeder zu halten oder sehr gut begründet von ihr abzuweichen. Einer von beiden Sachverhalten trifft eben zu. Oder nicht.

    Auch für externe Auseinandersetzungen ist die Leitlinie sehr gut zu gebrauchen. Die Autorinnen und Autoren sind auch bestens dafür geeignet mittels Sachverständigengutachten im gerichtlichen Streitfall für eine medizinisch substantiierte Sachverhaltsklärung zu sorgen.

    Die Leitlinie ist der Entwurfsfassung von 2008 recht ähnlich. Sie (Leitlinie) ist aber erheblich substantiierter.

    Die Leitlinie umfasst somit unter Berücksichtigung der Regularien des DIMDI zum SIRS via FAQ alle Behandlungsfälle im Alter zwischen 29. Lebenstag und Vollendung des 14. Lebensjahres. Dabei ist m. E. auf das Alter zum mutmaßlichen Sepsiszeitpunkt abzuheben. Nicht auf das Alter bei Aufnahme.

    Vom DIMDI gibt es keine FAQ oder Sonstiges für die o. g. Altersgruppe. In Anbetracht der Leitlinie auch unerheblich, da das DIMDI bemessen an den nun jahrzehntlangen Erfahrungen dies nur übernehmen oder durch eigenes intransparentes Beiwerk m. E. verschlechtern kann.

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    Sepsis und SIRS <29. Lebenstag (Neugeborene, Frühgeborene)

    Es gibt weder eine Leitlinie noch Ein- und Auslassungen des DIMDI.

    Was den von Ihnen beabsichtigten Zweck (Substantiierung nach innen und außen) am ehesten erfüllen kann ist die Sepsis-Definition des NEO-KISS.

    Einen Bogen mit Kriterien finden sie unter

    http://www.nrz-hygiene.de/fileadmin/nrz/…ogen_Sepsis.pdf

    NEO-KISS ist das Surveilliance-Programm für Sepsis bei Neugeborenen (Alter international definiert: 1-28. Lebenstag).

    Das Protokoll für NEO-KISS mit Stand 12/2017 finden sie unter

    http://www.nrz-hygiene.de/fileadmin/nrz/…oll_Dez2017.pdf

    Im Abschnitt 6 (Seite 22) des Protokolls werden die Indikatorkrankheiten des NEO-KISS definiert:

    primäre Sepsis, Pneumonie und nekrotisierende Enterokolitis.

    Für die Sepsis sind die Seiten 22-25 relevant. Da sind die Definitionen der Sepsis aufgeführt.

    Diese Kriterien erscheinen - bei zugegeben schneller Durchsicht - mit den Kriterien der NEO-EQS (!) abgeglichen.

    Dies kann (!) verhindern, dass die Sepsisinzidenz und -prävalenz je nach Datengrundlage eine andere ist.

    Im Zusammenhang mit den neuen Prüfrechten des MDK bei EQS-Auffälligkeiten eine prospektive Aufwandsminimierung, wenn umgesetzt.

    Das NEO-KISS Protokoll ist keine offizielle AWMF-Leitlinie. Es ist auch nicht ersichtlich, wer an dieser Leitlinie gearbeitet hat. Ausgenommen das Hauptquartier von NEO-KISS an der Charité. Dessen unbesehen ist es die beste in DE verfügbare Definition, auch wegen ihrer bereits laufenden Anwendung.

    Die Vorteile des NEO-KISS Protokolls hinsichtlich der internen und auch externen "Robustheit" entsprechen den Vorteilen der S2k-Leitlinie.

    Es gibt laut AWMF eine Anmeldung zu einer S2k-Leitlinie Bakterielle Infektionen bei Neugeborenen (024-008).

    Zu finden ist diese Anmeldung bei der AWMF unter

    http://www.awmf.org/leitlinien/det…ll/024-008.html

    Die Autoren der angemeldeten Leitlinie sind - soweit erkenntlich - nicht übereinstimmend mit den Autoren der S2k-Leitlinie Sepsis jenseits des Neugeborenenalters. Ob die angemeldete S2k-Leitlinie die bakterielle Sepsis bei Neugeborenen definiert ist unbekannt. Nach dem Titel beurteilt wird eine Sepsis durch Pilze, Viren oder Protozoen nicht erfasst. Die letztgenannte Verursachergruppe ist seltener, aber vorhanden und neben der etwaigen Diagnosekode-Relevanz desöfteren mit ZE-Relevanz versehen.

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    FAZIT

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    Für Kinder mit Alter >28. Lebenstag bis Vollendung 14. Lebensjahr > S2k-Leitlinie Sepsis jenseits der Neugeborenenperiode

    Für Kinder mit Alter >14. Lebensjahr > DIMDI FAQ SIRS

    Für Kinder mit Alter <29. Lebenstag > NEO-KISS Protokoll Abschnitt 6

    Beste Grüße & sorry für den vielen Text (Pädiatrie ist nicht so einfach)

    Andreas Christaras

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    Dr. med. A. Christaras
    FA Kinder- & Jugendmedizin

  • Hallo Herr Christaras,

    Ganz herzlichen Dank für die umfassende Antwort!!

    Ich werde mich jetzt daran machen, die vielen Dokumenten durchzuarbeiten, aber da haben Sie ja auch schon wertvolle Tipps gegeben.

    Mit freundlichen Grüßen

    Breitmeier