Nahrungsverweigerung als Hauptdiagnose ?

  • Bei Kindern kommt es häufig im Rahmen von banalen Infekten zur Nahrungsverweigerung, welche dann eine Indikation zur stationären Durchführung einer Infusionstherapie darstellt. Dass die Nahrungsverweigerung als eigenständiges Problem mit R63.3 kodiert werden kann, dürfte mittlerweile geklärt sein. Aber kann sie nicht auch Hauptdiagnose sein ? Sie ist ja der eigentliche Grund für die stationäre Behandlung. Den Infekt selber hätte man problemlos ambulant behandelt. Sicher ist die Ursache für die Nahrungsverweigerung in dem Infekt zu sehen, aber der Haupt-Ressourcenverbrauch entsteht durch die Nahrungsverweigerung. Bei einer Commotio cerebri kodiere ich ja auch die Commotio und nicht die verursachende Schädelprellung.

    Dr. Hans-Peter Hammerich
    Krankenhaus Porz am Rhein
    Kinderklinik

  • Hallo Herr Hammerich,
    warum sollte man die R63.3 in entsprechenden Fällen nicht als Hauptdiagnose verwenden dürfen ? Da Sie aber wohl mit Kindern zu tun haben, sollten Sie die Exklusiva bei R63.3 beachten:
    Ernährungsprobleme beim Neugeborenen sind unter P92.-,
    Fütterstörungen nichtorganischen Ursprungs beim Kleinkind mit F98.2
    zu kodieren.

    Ansonsten noch die (konsentierte) Kodierempfehlung beachten:
    Kann R63.3 Ernährungsprobleme und unsachgemäße Ernährung bei (Klein-) Kindern bei den Diagnosen einer Gastroenteritis (Brech-Durchfallerkrankungen) als Nebendiagnose angegeben werden ?
    Die zusätzliche Kodierung von R63.3 Ernährungsprobleme und unsachgemäße Ernährung ist nicht sachgerecht, da es sich um ein Symptom handelt, das im Regelfall als eindeutige und unmittelbare Folge mit der zugrundeliegenden Erkrankung vergesellschaftet ist. Nur wenn ein Symptom ein eigenständiges, wichtiges Problem für die medizinische Betreuung darstellt, kann es als Nebendiagnose verschlüsselt werden (DKR D002f und DKR D003d).
    Aber die kannten Sie ja wohl schon.

    Wenn Ihre Dokumentation des Aufnahmegeschehens also passt, so bin ich der Ansicht, dass eine Nahrungsverweigerung nicht regelhaft kausal auf einen banalen Infekt (ausgen. Gastroenteritis, etc.) zurückzuführen also keine typische Folge davon ist und insofern ein eigenständiges Problem darstellt, dass in Ihrem Falle die Indikation zur stationären Aufnahme begründet.

    Gruß
    H.-P. Wolkenstein

  • Hallo Herr Hammerich und Herr Wolkenstein

    Bin nicht ganz einverstanden mit dem Gesagten und wollte noch gerne 3 Anmerkungen loswerden

    1) bei Trinkverweigerung im Rahmen eines Infektes wird m.E. die R63.3 (oder die R63.8 wenn es ausschließlich um das Trinken geht) als ND verschlüsselt und der ursächliche Infekt als HD. Ist anhand DKR D002f und D003i ziemlich eindeutig. Der Ressourcenverbrauch spielt nur bei konkurrierenden Hauptdiagnosen eine Rolle. Infekt und Trinkverweigerung konkurrieren aber m.E. nicht (siehe oben genannte DKR).

    2) wegen dem Vergleich mit der Schädelprellung: Es gibt keine Nummer für eine stattgehabte relevante mechanische Erschütterung des Kopfes, die für die \"Schädelprellung\" hergenommenen Nummer bezeichnen lediglich eine oberflächliche Verletzung der Haut, die durch Prellung entstanden ist. Von daher hinkt der Vergleich vielleicht etwas.

    3) wollte noch etwas zu den \"konsentierten Kodierempfehlungen\" sagen. M.E. wurden die nur innerhalb des MDK konsentiert. Sie haben keinerlei verbindlichen Charakter und sind nicht als Ergänzung der DKR anzusehen. Teilweise stehen sie m.E. im Widerspruch zu den DKR. z.B. die oben erwähnte Kodierrichtliche, die spätestens seit der Neufassung der D003i falsch ist.

    Grüße aus Passau

    [center]C. Voll[/center]

    [center]Kinderarzt, Neonatologe, Medizincontrolling
    Kinderklinik Dritter Orden, Passau[/center]

  • Hallo Herr Voll,

    ich verstehe Ihren Einwand leider nicht (richtig).

    Zitat


    Original von Voll:
    Hallo Herr Hammerich und Herr Wolkenstein

    Bin nicht ganz einverstanden mit dem Gesagten und wollte noch gerne 3 Anmerkungen loswerden

    1) bei Trinkverweigerung im Rahmen eines Infektes wird m.E. die R63.3 (oder die R63.8 wenn es ausschließlich um das Trinken geht) als ND verschlüsselt und der ursächliche Infekt als HD. Ist anhand DKR D002f und D003i ziemlich eindeutig.

    Ein Infekt geht nicht ursächlich und regelhaft mit einer Nahrungsverweigerung / Trinkverweigerung einher, da stimmen wir doch überein ? Anders geschrieben sind Infekt und Nahrungsverweigerung rein formal nicht zwangsläufig vergesellschaftet.

    Zitat


    Der Ressourcenverbrauch spielt nur bei konkurrierenden Hauptdiagnosen eine Rolle. Infekt und Trinkverweigerung konkurrieren aber m.E. nicht (siehe oben genannte DKR).

    Vollkommen richtig, der Ressourcenverbrauch ist nur ausschlaggebend, wenn beide Diagnosen gleichermaßen als Hauptdiagnose in Frage kommen. Darum geht es in dem Beispiel von Herrn Hammerich aber nicht. Er möchte die R63.3 als HD kodieren, weil die Nahrungsverweigerung die stationäre Aufnahme begründete, der banale Infekt hingegen nicht. Als MDK würde man - sofern abrechnungstechnisch günstiger - jetzt eine Konkurrenzsituation der Diagnosen konstruieren und den Ressourcenverbrauch des Infektes als höherwertig einschätzen.

    Zitat


    2) wegen dem Vergleich mit der Schädelprellung: Es gibt keine Nummer für eine stattgehabte relevante mechanische Erschütterung des Kopfes, die für die \"Schädelprellung\" hergenommenen Nummer bezeichnen lediglich eine oberflächliche Verletzung der Haut, die durch Prellung entstanden ist. Von daher hinkt der Vergleich vielleicht etwas.

    S00.95 bezeichnet doch die Schädelprellung, von einer Hautläsion lese ich da nichts. Insofern kann man m. E. den Vergleich anführen. Oder wird es jetzt akademischer als ich dachte?

    Zitat


    3) wollte noch etwas zu den \"konsentierten Kodierempfehlungen\" sagen. M.E. wurden die nur innerhalb des MDK konsentiert. Sie haben keinerlei verbindlichen Charakter und sind nicht als Ergänzung der DKR anzusehen. Teilweise stehen sie m.E. im Widerspruch zu den DKR. z.B. die oben erwähnte Kodierrichtliche, die spätestens seit der Neufassung der D003i falsch ist.

    Konsentiert meinte: Zwischen MDK und FOKA (Deutsche Gesellschaft f. Medizincontrolling) konsentiert. Sie haben Recht: Keinerlei Verbindlichkeit.

    Gruß
    H.-P. Wolkenstein

  • Hallo,
    ungeachtet Verbindlichkeit etc.
    Symptome haben ab 2010 den selben Stellenwert wie ND. Die Diskussionen zur R63.3 beziehen sich auf alte DKR, sofern sie die Diskussion Symptom und Erkrankung betreffen.
    Nur zur Info.

    Herzliche Grüsse aus Mittelfranken
    E. Horndasch

  • Hallo Herr Wolkenstein,

    Zu Punkt 1:

    Wir stimmen tatsächlich überein, dass ein Infekt nicht regelhaft mit einer Trinkverweigerung einhergeht. Diese Frage ist allerdings 2010 völlig irrelevant und war auch 2009 für die Frage der Hauptdiagnose irrelevant.
    Als Kinderarzt ist es aber tägliche Routine, dass ein Infekt die Ursache einer Trinkverweigerung ist. Somit ist allermeistens die Trinkverweigerung ein Symptom des Infekts.

    D002f:

    Die dem Symptom zugrundeliegende Krankheit wird dann als HD verschlüsselt, wenn
    a) sie bekannt ist und behandelt wird
    b) sie während des Krankenhausaufenthaltes diagnostiziert wird.

    Ein Symptom wird dann als Hauptdiagnose verschlüsselt, wenn
    a) Die zugrunde liegende Krankheit zum Zeitpunkt der Aufnahme bekannt ist. (Im DKR-Beispiel wird eine chronische Erkrankung, die Leberzirrhose, genannt) UND
    b) NUR das Symptom behandelt wird.

    Ich finde, es ist völlig eindeutig, dass eine infektbedingte Trinkverweigerung nicht als Hauptdiagnose in Frage kommt.

    Zu Punkt 2:

    alle Nummer der Kategorie S00.- bezeichnen eine oberflächliche Verletzung des Kopfes, das steht wörtlich in der ICD 10

    Zu Punkt 3:

    Ich neige dazu, die Kodierempfehlungen des MDK zu ignorieren. Ich finde, offene Fragen sollten in den DKR (und ggf. in ICD und OPS) geregelt werden. Die \"Kodierempfehlungen\" stabilisieren nur offensichtliche Mängel und Lücken der DKR ohne deren Verbindlichkeit zu ersetzen.

    Aber zumindest in der Frage, wann ein Symptom Hauptdiagnose wird, sind sie DKR recht eindeutig, finde ich :)

    Grüße aus Passau

    [center]C. Voll[/center]

    [center]Kinderarzt, Neonatologe, Medizincontrolling
    Kinderklinik Dritter Orden, Passau[/center]

  • Hallo,

    vielen Dank für die rege Diskussion meines Problems.

    Die zugrundeliegende Erkrankung war auch hier bekannt (auch wenn das angeführte Beipiel in den DKR eine chronische Erkrankung nennt, schliesst das m.E. eine akute nicht aus). Die Aufnahme erfolgte aufgrund des Symptoms. Problem ist natürlich, dass das Kind auch Nasentropfen und Antipyretika bekommen hat und somit auch der Infekt behandelt wurde ...

    Mein Beispiel mit der Schädelprellung mag nicht ganz zutreffen, aber da liessen sich beliebig viele weitere finden mit der Problematik, wieweit die Kausalkette im Sinne Kodierrichtlinien zurückzuverfolgen ist (z.B. Abszeß nach Insektenstich, was ist ist die HD ? ).

    Um aber mal vom Symptom wegzukommen, wie sehen Sie die Sachlage, wenn im Rahmen des Infekts (wohlgemerkt - keine Gastroenteritis) durch die langanhaltende Nahrungsverweigerung eine Exsiccose (E86) entstanden ist und das Kind daher zu Rehydrierung aufgenommen wird ? Wenn auch hier der Infekt zwangsläufig zur HD würde, bräuchte es die Kodierrichtlinie 1107a (Dehydratation bei Gastroenteritis) gar nicht - oder ?

    Herzliche Grüße aus Köln

    Dr. Hans-Peter Hammerich
    Krankenhaus Porz am Rhein
    Kinderklinik

  • Hallo Herr Hammerich,

    Sie haben Recht, die DKR 1107a ist eher überflüssig, da sie (wie oben erwähnt) die Ursache des Symptoms (also die Gastroenteritis) während dieses Aufenthaltes diagnostizieren und behandeln (D002f). Vielleicht stand es zu oft auf der Tagesordnung und bekam deshalb eine unmissverständliche eigene Kodierrichtlinie.

    Bei dem Abszess nach Bienenstich ist der Abszess kein Symptom des Stich´s sondern eine neue Erkrankung, die nicht toxikologisch sondern infektiös begründet ist und eine eigenständige Diagnostik/Behandlung erfordert.

    Manchmal mag die Abgrenzung Symptom/Komplikation/eigenständige Erkrankung schwierig scheinen. Gegenüber dem MDK behelfe ich mir (besonders bei der Abgrenzung Symptom/Komplikation) meist mit einem Standard-Lehrbuch.
    Da steht dann z.B. die Mastoiditis als eigenständiges Krankheitsbild, dass sich evtl. aus einer Otitis heraus entwicklen kann, aber als Entität aufgeführt ist und eine eigenständige Diagnostik und Therapie erfordert. Somit ist sie sicher kein Symptom einer Otitis media (gegen diese Einschätzung mussten wir uns auch schon wehren...)

    Beste Grüße aus Passau

    [center]C. Voll[/center]

    [center]Kinderarzt, Neonatologe, Medizincontrolling
    Kinderklinik Dritter Orden, Passau[/center]

  • Hallo Herr Voll,

    bzgl. der DKR 1107a vertrete ich eher die Ansicht, dass spezielle Kodierrichtlinien erstellt wurden, wenn Sachverhalte durch die allgemeinen Kodierrichtlinien nicht ausreichend abgebildet werden können oder, warum auch immer - hier eine Kodierung abweichend von den allgemeinen Kodierrichtlinien erfolgen soll (wie z.B. bei CF-Patienten DKR 0403d). Im Umkehrschluss heisst das für mich, dass die DKR 1107a erforderlich ist, weil nach den allgemeinen Kodierrichtlinien eher die Exsiccose als HD richtig wäre. In der Regel wird die Gastroenteritis ja auch nicht während des stationären Aufenthalts diagnostiziert, sondern besteht ja meistens schon etwas länger - und behandelt wird sie in den meistens Fällen ursächlich auch nicht.
    Habe schon mehrfach Exsiccose als HD kodiert, z.B. nach acetonämischem Erbrechen, und bislang noch keine Einwände seitens der Kostenträger erhalten. Mag sein, dass da noch was kommt ...

    Grüße aus Köln

    Dr. Hans-Peter Hammerich
    Krankenhaus Porz am Rhein
    Kinderklinik

  • Hallo Herr Hammerich

    Ich glaube, wir kommen da nicht so zusammen. Ihren logischen Umkehrschluss kann ich nicht höher werten als die für mich eindeutigen Regeln D002f. Eine \"ursächliche\" Behandlung wird nirgends gefordert. Auch die Diagnosestellung erfolgt m.E. bei Aufnahme. Wie lange die Erkrankung schon besteht ist ebenfalls irrelevant.

    Es ist erstaunlich, dass die Krankenkassen das bei Ihnen noch nie haben prüfen lassen. Wo kein Kläger da kein Richter. Wenn der MDK einen solchen Fall allerdings das erste Mal prüft, fände ich es recht sensationell, wenn er in Ihrem Sinne entscheiden würde und würde mich über eine Info freuen.

    Grüße aus Passau

    [center]C. Voll[/center]

    [center]Kinderarzt, Neonatologe, Medizincontrolling
    Kinderklinik Dritter Orden, Passau[/center]