Kodierproblematik "akute Para-/ Tetraparese"

  • Hallo,

    ich bin seit 2006 im Klinikum Nürnberg als Kodierassistent in der Neurologie beschäftigt und habe davor seit 1994 als Krankenpfleger in der Neuro/ Stroke Unit gearbeitet.Nun bin ich das erste Mal als Ratsuchernder im Forum und hätte gerne möglichst vielfältige Reaktionen auf das Problem "Kodierung einer akuten Para-/ Tetraparese" (G82...), welches uns im Alltag schon häufiger Kopfzerbrechen bereitete.

    Bis ca. 2009 haben wir jede akute Parese als solche verschlüsselt und sind damit in den Bereich der tagesgleich bewerteten DRG gekommen. Seit 2010 meldet uns der ansässige MDK in den Begehungen zurück, dass die Verschlüsselung z.B. beim GBS als falsch anzusehen ist, da ja hier Nerven entzündet wären und kein eigentlicher Querschnitt vorläge. Man hätte sich auch intern beim MDK mit dieser Thematik beschäftigt und hätte diesen Konsens gefunden.

    ?(Wenn ich aber die Systematik des Kodierens als Maßstab nehme, dann muss ich mich zu allererst auf die DKR stützen, dann erst die genaueren Hinweise von ICD-10 beachten.

    In den DKR steht zum Thema unter 0603h ein Begleittext, welcher sich nicht nur auf die Schädigung des Rückenmarks bezieht, sondern vor allem die Adjektive " akut" und "nichttraumatisch" bei anderen Erkrankungen in den Fokus stellt.

    Im Hinweis zur Ziffer "G82..." des ICD-10 ist die Rede davon, dass diese Kategorie auch zur "multiplen Verschlüsselung dieser durch eine beliebige Ursache vervorgerufenen Krankheitszustände" dient.

    Mir geht es im Wesentlichen darum, Kenntnis über die Erfahrungen anderer Kodierer/ Häuser mit diesem Thema zu erlangen. Eventuell kann man dann durch eine Eingabe über die Fachgesellschaft dieses Thema zukünftig besser darstellen. Denn es geht beim Kodieren doch in erster Linie um die Darstellung des Aufwandes. Und der ist m.E. nach bei einer akut aufgetretenen ausgeprägten Para-/ Tetraparese gleich hoch, egal welches Krankheitsbild letztendlich zugrund liegt.


    Vielen Dank,

    motzki

  • Hallo Motzki,
    beim Kodieren geht es NICHT um die Darstellung des Aufwandes. Das passiert in der Kalkulation. Die Koiderung sollte sich grundsätzlich nicht nach dem Ergebnis sondern nach den Regeln und Vorgaben aus ICD, OPS und DKR richten. Das nur mal so auf die Schnelle "aus der Nachbarschaft".
    Das von Ihnen angeführte Zitat aus der DKR 0603h zeigt eigentlich sehr schön, dass es sich um die "Symptomatik" Querschnitt und nicht um eine Eingrenzung der Ursachen für den Querschnitt handelt. Immer vorausgesetzt, dass von Ihnen erwähnte GBS führt zum Querschnitt.
    Bei der von Ihnen geschilderten Konstellation werden Sie wohl um Stellungnahme der Fachgesellschaft im Sozialgerichtsverfahren nicht umhin kommen.

    Herzliche Grüsse aus Mittelfranken
    E. Horndasch

  • Hallo E_Horndasch,

    ich meine schon, dass die Ziffern in vielen Fällen den Aufwand spiegeln . Nur in diesem Fall eben nicht so gezielt wie nötig.

    Schön,dass Sie die Vorgaben aus den 3 Regelwerken erwähnen, denn die sind hier das Problem. Es gibt keine Eindeutigkeit in der Aussage hinsichtlich des von unserem MDK geforderten "Rückenmarksquerschnitts". Meiner Meinung nach kann man die Ziffer eben schon weiter fassen. Also ist eine akute Form der Paresen (Para-/Tetra-) auch als solche zu kodieren und eben nicht als unspezifische ... .9 (n.n. bez.) Egal welche Ursache die Symptomatik hat.

    Meine Frage richtete sich in erster Linie nach der Einschätzung anderer Kodierer zur Kodierfähigkeit dieser Ziffer, um auch von deren Erfahrungenen zu profitieren und die Relevanz einer Stellungnahme der Fachgesellschaft überhaupt erst zu prüfen.Evtl. sehen wir ja hier als einzige dieses Problem, dann müssten wir natürlich unsere Sichtweise überdenken.

    Danke für die Antwort

    • Offizieller Beitrag

    Hallo,

    Meiner Meinung nach kann man die Ziffer eben schon weiter fassen. Also ist eine akute Form der Paresen (Para-/Tetra-) auch als solche zu kodieren und eben nicht als unspezifische ... .9 (n.n. bez.) Egal welche Ursache die Symptomatik hat.

    Eben nicht. Zerebrale Ursache ist unter .9- zu kodieren (siehe ICD).

    Mit freundlichen Grüßen

    D. D. Selter

    Ärztlicher Leiter Medizincontrolling

    Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik Murnau

  • Hallo,

    das GBS ist mit G61.0 zu verschlüsseln.
    Kodes aus G82.-- dienen der Verschlüsselung von Paresen und Plegien bei Querschnittslähmungen oder Hirnerkrankungen, ... und wie bereits zitiert zur multiplen Verschlüsselung bei bekannter Ursache.
    Aber Voraussetzung für die Kodierung von Kodes aus G82 ist entweder eine Querschnittslähmung (und hier ist doch per Definition eine Rückenmarksschädigung Voraussetzung) oder eine nicht näher bezeichnete, z.B. zerebrale Ursache.
    Also können für mich beim GBS nicht die Kodes mit der Querschnittslähmung, sondern nur die .09 bzw. .39 kodiert werden.

    Mit freundlichen Grüßen

    B.W.

  • Danke für die rege Beteiligung,

    sicherlich, die zerebrale Ursache steht unter"... .9", aber darum geht es hier ja nicht.

    Ebenso geht es hier nicht um die Verschlüsselung des GBS, sondern um ein Symptom dieser Erkrankung ( ...zur multiplen Verschlüsselung bei bekannter Ursache...).

    Es geht um jeden einzelnen Fall bei dem akute paraparetische/ tetraparetische Lähmungen auftreten (ob komplett oder inkomplett-egal). Diese müssen , so verstehe ich die DKR und den Hinweistext zu ICD-10, auch dem immer wieder geäußerten Grundsatz " so spezifisch wie möglich" gemäß als Querschnitt kodiert werden (auch wenn hier kein Querschnitt vorliegt, wie man ihn landläufig bei Verletzungen des Rückenmarks findet).

    Wieso ist also ein Auftreten eines akuten Querschnitts bei z.B. der E.d. als solcher kodierbar, bei GBS dann aber wieder nicht??

  • hallo motzki,

    meinen beitrag können Sie unter "wenig hilfreich" abhaken, leider. Ich weiß nämlich mit " multiple Veschlüsselung" selbst nicht so recht , was gemeint ist. Vor allem fehlt mir ein beispiel.

    Ich will nur Ihre frage nach der kodierbarkeit des querschnitts bei der E. d. und nicht-kodierbarkeit beim GBS beantworten.

    Wie der name es schon sagt, kann bei der EnzephaloMYELitis disseminata das Myelon/ Medulla spinalis/ Rückenmark betroffen sein. Wenn ein herd im RM einen querschnitt zur folge hat, dann ist dies gemäß 0603h zu kodieren ( zb G35.0/ G82.01/ G82.63!).
    Beim GBS ist das Rückenmark (oder gar noch höhere strukturen) nicht betroffen. Darüber musste der MDK sicherlich keine konferenzen veranstalten. Das war vor ein paar jahren hier im forum bereits zu lesen und war auch konsens.

    Im übrigen sagt skr 0603h "initiale Phase" nur etwas aus zu patienten mit einer akuten Schädigung des rückenmarks. Wie patienten mit peripheren lähmungen zu kodieren sind , steht da nicht.
    Das kann dann doch nur nach AKR ( Symptome als ND!), ICD und OPS gehen; oder?

    mfg ET.gkv

    Einmal editiert, zuletzt von ET.gkv (22. November 2011 um 10:02)

  • Leider habe ich mich wohl bisher zu umständlich ausgedrückt (oder ich bin ziemlich verbohrt!?).

    Es geht im allgemeinen wie in DKR 0603h beschrieben um:"...Die „akute“ Phase einer nichttraumatischen Paraplegie/Tetraplegie umfasst Erstaufnahmen wegen eines nicht traumatisch bedingten Funktionsausfalls,...". Daher meine ich, dass diese Ziffer sehr wohl auch bei GBS/ Polyradikulitis/Polyneuropathie zutrifft. Gestützt wird dies u.a. durch den Hinweistext zur ICD-10: " Diese Kategorie dient auch zur multiplen Verschlüsselung, um diese (Funktionsausfall!) durch eine beliebige Ursache hervorgerufenen Krankheitszustände zu kennzeichnen."

    Bei der Polyradikulitis z.B. kommt es zu einer Entzündung der Nervenwurzeln, wobei durchaus eine Unterbrechung/ Störung der Nervenleitung resultieren kann (-> Querschnitt)

    Gibt es denn niemanden der diese Ziffer schon einmal bei o.g. Erkrankungen kodiert hat (oder sich dachte, das wäre eigentlich folgerichtiger?). Letztendlich bin ich der Meinung dies wäre entweder durch ein Exkl. oder eine genauere Beschreibung besser darstellbar.

  • hallo motzki!

    Sie haben sich nicht umständlich ausgedrückt. Das thema ist so kompliziert (nicht komplex!).

    In 2 punkten muss ich Ihnen widersprechen:
    1) Patienten mit GBS haben keinen Querschnitt/ keine Querschnittslähmung. Sie haben eine mehr oder weniger komplette Tetraparese / Tetraplegie. Die ursache hiefür liegt nicht im Rückenmark, sondern peripher davon.
    2) Sie zitieren SKR 0603h. Wozu? SKR 0603h regelt für die >Initiale (akute) Phase der Paraplegie / Tetraplegie< nur die kodierung für die fälle mit einer "akuten Schädigung des Rückenmarks".
    Die liegt aber bei patienten mit gbs oder hypo-/ hyperkaliämischen Lähmungen (G72.3) nicht vor.

    Folglich entfällt SKR 0603, es bleiben für die kodierung der diagnosen die AKRs und der ICD.
    Als beispiel kodiere ich einen hypothetischen fall mit der ärztlichen diagnose:
    >Guilain-Barre-Sndrom mit Tetraplegie
    -Erstmanifestation nach enteralen Infekt 2 Wochen vorher
    -Beatmung 5Tage>

    HD = G61.0 (unstrittig)
    ND = G82.39 oder G82.59 und Beatmungsstunden

    Für die HD ist D002 anzuwenden, für die NDs D003, hier vor allem der abschnitt "Symptome als Nebendiagnose".
    Bitte beachten Sie, ich kodiere keine Querschnittlähmung sondern nur eine (schlaffe) Tetraplegie, die in der tat nicht näher bezeichnet ist. Dieses symptom macht aber viel aufwand.

    Nun will ich aber die Nürnberger MDK-kollegen nicht unterschätzen. Schließlich sind die gegenüber allen anderen mdk-ärzten wegen des Trichters im vorteil. Wie ist den deren argumentation bei dem symptom tetraparese? Vor allem, wie kodieren sie die tetraplegie?

    (Es gibt im alphab icd einen irritierenden eintrag <Tetraplegie, als aktuelles Ereignis I63.4; gesucht hatte ich eigentlich nach Tetraparese, hypokaliämisch G82.59. Einen solchen eintrag hab ich aber nicht gefunden)

    mfg ET.gkv

  • Hallo ET.gkv,

    vielen Dank für Ihre Stellungnahme. Ich kann Ihnen aber bei DKR 0603h nicht gänzlich folgen, ich sehe hier den Punkt

    "regelt für die >Initiale (akute) Phase der Paraplegie / Tetraplegie< nur die kodierung für die fälle mit einer "akuten Schädigung des Rückenmarks".

    nicht eindeutig erfüllt. Es wird zwar im weiterführenden Text auch auf das Rückenmark verwiesen ("wie zum Beispiel.../ ...Sofern sich Pat. mit einer KH vorstellt..."). Aber m.E. geht es auch um einen nicht traumatisch bedingten Funtionsausfall "einer konservativ oder operativ behandelten Erkrankung"-> initiale (Akute) Phase einer Para-/ Tetraplegie. Daher finde ich gerade wenn es heißt so spezifisch wie möglich zu verschlüsseln den 9er -Code relativ unpassend.

    Ich gebe aber gerne zu, dass wir seit Jahren dieses Monster entschärft sehen wollen. Eine Aussagefähigkeit der ganzen Ziffer ist doch eher dürftig.

  • Hallo,

    die DKR hat zwar Vorrang vor den Schlüsselverzeichnissen, aber trotzdem kann man meines Erachtens den Wortlaut der Schlüsselverzeichnisse nicht außer Acht lassen - und die Unterscheidung zwischen akut/chronisch und komplett/inkomplett existiert derzeit nur für Querschnittslähmungen, also für Rückenmarksschädigungen.
    Da die Fälle bei Ihnen wohl in einer relevanten Anzahl vorkommen würde ich Ihnen doch empfehlen, dass Sie im Vorschlagsverfahren bei DIMDI einen Änderungsvorschlag einbringen, dass z.B. auch für Para- und Tetraplegien bzw. -paresen eine solche Differenzierung möglich ist.

    Gruß
    B.W.