nochmal das IM " akute Selbstgefährdung....."

  • Hallo Liebes Forum,

    ich möchte heute folgenden Fall schildern:
    Eine Patientin hatte zu Hause einen Abschiedsbrief geschrieben und wollte sich das Leben nehmen. Der Sohn findet sie und sie wird mit dem RTW eingeliefert. Freiwillig. Sie hat 1,84 Promille.
    In der Aufnahmesituation distanziert sie sich von ihren suizidalen Absichten.
    Frage: Greift hier das IM " akute Selbstgefährdung....." ? :huh:8|

    Oder anders gefragt: Kann man sich mit 1,8 Promille glaubhaft von Suizidalität distanzieren, sodass dieses IM nicht greift ? ?(

    Wie seht ihr das ?

    Viele Grüße

    Susi & Strolch

  • Hallo Susi&Strolch (toller Name ;) ),

    wir schätzen die Intensivmerkmale streng ein- das heißt, wenn die Patientin sich "glaubhaft" von Suizidalität distanziert, kommt dieses Intensivmerkmal bei uns nicht in Betracht (auch bei Suizidimpulsen vor der Behandlung).
    Es hängt aber hierbei auch von der ärztlich/pflegerischen Einschätzung der Absprachefähigkeit ab und wie dieses dokumentiert ist.
    Anders gefragt- wurden denn Maßnahmen ergriffen, aus denen sich ableiten lässt, dass die Patientin trotz verbaler Distanzierung suizidgefährdet war?

    Liebe Grüße

    MS

  • Hallo MS ,

    Nein, es wurden keine Maßnahmen ergriffen aus denen ersichtlich ist, dass die Patientin noch suizidgefährdet sein könnte.

    :thumbup: Damit haben sie mir sehr geholfen und ich sehe ( mal wieder ) klarer :thumbup:

    Dankeschön!

  • Hallo Susi&Strolch,

    nun bin ich aber etwas erstaunt. Sicherlich kenne ich nicht die Umstände der Aufnahme etc., aber aus Ihrer Schilderung würde ich zumindest für den Tag der Aufnahme eine adäquate Betreuung (engmaschige Kontaktaufnahme etc.) und Überwachung als notwendig erachten. Nach Bronisch und Wolfersdorf sprechen hier mehrere Faktoren für das Vorliegen einer ernst zunehmenden Suizidalität. Die Intoxikation stellt hierbei ein eher untermauerndes Kriterium dar, da gerade dadurch eine nicht unerhebliche Einschränkung der Absprache- und Steuerungsfähigkeit eintritt.

    Die Frage ob ich hier eine IM greift, wäre für mich erst mal zweitrangig.

    HG

    klauss

  • Guten Morgen,

    alles eine Frage der Dokumentation. Statt "Pat. distanziert sich glaubhaft von Suizidalität" schreiben: "Pat. vordergründig distanziert bei erheblich eingeschränkter Absprachefähigkeit und Impulskontrollstörung bei Alkoholintoxikation. Angesichts der unmittelbaren Vorgeschichte ist von Suizidalität auszugehen".
    Wenn man das IM Suizidalität vergibt und gleichzeitig schreibt, daß die Pat. von Suizidalität distanziert ist, dann braucht man bei einer MDK-Anfrage gar keine Unterlagen zu verschicken sondern kann gleich die Rechnung korrigieren ;)

  • Guten Morgen,

    da kann ich Paliperidon (auch in der Psychiatrie tätig?!? ;) ) nur zustimmen! Leider lassen sich gerade in diesem Bereich immer wieder Schwächen bzgl. Einschätzung und Dokumentation der Suizidalität beobachten.
    Es gibt hierzu eine sehr gute und kurze Empfehlung von Michel (2011), habe Ihnen hier mal den Link eingefügt.
    Einschätzung Suicidalität

    Wünsche noch eine gute Zeit!

    Klauss

  • Hallo allerseits,

    ich bin da ganz bei den Aussagen von Ms84: bei den im OPS-Verzeichnis beschriebenen Intensivmerkmalen ist explizit von a k u t e r Suizidalität die Rede und wir würden in dem von S&S beschriebenen Fall auf jeden Fall das entsprechende Intensivmerkmale aus der Kurve streichen - es sei denn, der Patient distanziert sich nicht g l a u b h a f t von Suizidalität, aber dann wäre auch eine 1:1 Betreuung angebracht. Es geht hier auch nicht in erster Linie um spitzfindige Formulierungen, sondern um eine Abbildung der tatsächlichen Situation!

    Die Bedeutung der Intensivmerkmale scheint zu steigen, zumal sie im kommenden Jahr differenzierter erfasst werden müssen. Wenn sie weiterhin als Kostentrenner dienen sollen würden wir uns einen Bärendienst erweisen, sie inflationär zu benutzen. Auch deshalb vergeben wir diese Merkmale nach sehr strengen Kriterien.

    Schöne Grüße
    Anyway

  • Hallo Anyway,

    ich gebe Ihnen recht, die Kriterien hierzu im Sinne einer Erhaltung als Kostentrenner streng auszulegen. Mir ging es aber in erster Linie hier nicht nur um die Bewertung im Sinne eines Entgeltsystems oder anderweitigen Systematik, sondern um die korrekte formaljuristische Dokumentation eines sehr sensiblen Bereichs. Die Suizidzahlen in Deutschland sind erstmals wieder am Steigen und eine akute Suizidalität ist ein klarer psychiatrischer Nofall, mit allen Konsequenzen.

    Sie gehen auf die Glaubhaftigkeit einer Distanzierung ein. Wann ist eine Distanzierung als glaubhaft zu bewerten? Genau diesen Punkt sprach ich an. Hier ist ein sehr differenziertes und korrektes diagnostisches Prozedere notwendig. Daran lag es mir.

    Schönen Gruss

    klauss