Hüft-TEP und Blutersatz

  • Hallo Forum,
    folgendes Problem: Angesichts eines liberalen Transfusionsregimes unserer Anästhesie werden in unserer orthopädischen Klinik häufig peri- bzw. postoperativ Blutprodukte (Fremd- bzw. Eigenblut)transfundiert (bei der Hüft-TEP in ca. 80% d.F.). Für die Vergabe des D62-Kode wurde Anfang d.J. ein hausinterner Kodierstandard entwickelt, der die Verschlüsselung der D62 für solche Fälle vorsieht, bei denen postoperativ innerhalb eines definierten Zeitraumes ein sonst nicht üblicher Hb-Abfall festzustellen ist. Nun hat ein sog."DRG-Scan" eines externen Beratungsunternehmens festgestellt, dass in ca. 50% unserer DRG-I03-Datensätze zu einer Transfusionsprozedur keine D62 verschlüsselt wurde. Hier wurde u.a. auf ein erhebliches, potentielles down-coding Potential aufmerksam gemacht. Meine Frage: Muss bei einer Hüft-TEP (Patientengut mit häufig eingeschränkten Adaptationsmechanismen) tatsächlich jede Transfusions-Prozedur von einer (die Indikation wiederspiegelnde) Anämie-Diagnose (i.a.R. D62) begleitet sein? Dies hätte angesichts der Fallzahl erhebliche Konsequenzen - im Sinne einer Verzerrung der üblichen Schweregradverteilung. Ist die Berufung auf unseren Kodierstandard legitim, bis eventuell das Transfusionsregime restriktiver gehandhabt wird?

    MfG: A. Rahn

  • Hallo Herr Rahn,

    hier sprechen Sie ein Problem an, welches schon länger diskutiert wird. Berechtigt z.B. eine Gabe von Kalinor-Tabletten die Diagnose Hypokaliämie oder erst die Infusion?.

    Hier wird jeder eine andere Antwort parat haben.

    Meine persönliche Meinung – die sicherlich nicht verallgemeinerungsfähig ist – ist die, dass der mehr oder weniger zeitgleiche Ausgleich eines dem OP-Verfahren angemessenen üblichen also kalkulierbaren Blutverlustes die Diagnose D62 nicht rechtfertigt.

    Kommt der Patient aber schon anämisch z.B. ein Unfallopfer, sieht die Sache anders aus. Das gleiche gilt auch, wenn der therapieabhängige Blutverlust das übliche übersteigt, oder der primär normale HB tatsächlich in den „Keller“ geht usw. usw. War er es schon vorher, kann auch eine andere Anämieform eine Rolle spielen.

    Aber wie gesagt, ich fürchte, dies sieht jeder anders.

    Mit freundlichen Grüßen

    Thomas Winter
    Berlin

  • Hallo Herr Rahn,

    Im Sinne eines klaren Kriteriums halte ich Ihren hausinternen Kodierstandard für gut nachvollziehbar.
    M.E. ist eine Anämie dann relevant, wenn Blut/Blutprodukte gegeben werden. Im Umkehrschluss ist dann auch die Anämie zu kodieren, zumal die Prozedur selbst ja nicht schweregradsteigernd ist.

    Ich halte ein "liberales Transfusionsregime" neben den dadurch ja sicher nicht geringen Kosten für Blutprodukte allerdings für ein Qualitätsproblem oder zumindest den Hinweis darauf.

    Hallo Herr Winter,

    Die Festlegung, ab welcher Menge der Blutverlust bei einem bestimmten Operationsverfahren nicht mehr angemessen ist, ist ungleich schwieriger, zumal hier ja neben Alter, Konstitution und Begleiterkrankungen des Patienten bestimmte Operationstechniken oder die Mentalität des Operateurs eine nicht unwesentliche Rolle spielen können.
    Wir kommen genau dann wieder in die "Hypokaliämie-Diskussion". Ist ein Hb-Abfall unter den Normwert gleich eine Anämie, wenn er außer einer BB-Kontrolle keine Konsequenz hat? Darf ich bei Gabe von Fe oral die Anämie kodieren?

    Viele Grüße,

    P. Möckel

  • Hallo Herr Rahn,

    die Geschichte mit dem liberalen Transfusionsregime stößt mir als "ehemaligem" Anästhesisten ziemlich sauer auf. Da scheint mir ein kleines Update der Kollegen hinsichtlich eindeutiger Indikationen lohnenswert, zumal bereits auf die nicht unbeträchtlichen Kosten hingewiesen wurde.
    Grundsätzlich sollte man sich eher über Behandlungsstandards Gedanken machen als über Kodierstandards, sonst kodiert man standardisiert unter Umständen Dinge, die als Standardbehandlungskonzept keiner Überprüfung standhalten.
    Daneben ist die Frage, was man denn wohl für eine Anämie hält, anhand von klassischen Maßzahlen gut definierbar - was immer man für eine Grenze im Hb für vernünftig hält: Beispiele: Absenkung des Ausgangs-Hb im Akutfall um mehr als einen bestimmten Prozentwert oder einen Hb von 8,0 oder 7,5, Hb unter 10 bei kritisch kranken Patienten usw. usw.. Empfehlenswert scheint mir daher die Diskussion auf der Sachebene und weniger auf der formalen der Kodierung. Die retrograde Definition einer Anämie über eine stattgehabte Transfusion ist sicher die schlechtere Variante.

    Gruß aktuell aus Essen, dienstlich aus Duisburg.

    PS: schon mal über den Einsatz von Cell-Saver-Systemen nachgedacht ?:look:
    --
    Dr. med. Andreas Sander
    Stabsstelle MedCo/QM
    Evangelisches und Johanniter Klinikum DU/DIN/OB gGmbH

    Gruß aus DU
    Dr. med. Andreas Sander
    Evangelisches und Johanniter
    Klinikum Niederrhein

  • Schönen guten Tag allerseits, vor allem Peter!

    Zitat


    Original von pmoeckel:
    M.E. ist eine Anämie dann relevant, wenn Blut/Blutprodukte gegeben werden. Im Umkehrschluss ist dann auch die Anämie zu kodieren, zumal die Prozedur selbst ja nicht schweregradsteigernd ist.


    Mit Umkehrschlüssen sollte man vorsichtig sein; ich würde hier widersprechen. Gerade bei einem großzügigen Transfusionsregime (der Anästhesie!, intraoperativ!) geht es ja oft nicht um die Therapie einer klinisch relevanten Anämie, sondern um den Ausgleich des akuten Blutverlustes, also letztlich um die Vermeidung der Anämie .

    Da es eine "sich anbahnende oder drohende Anämie" im ICD nicht gibt, ist nach der DKR D001a die Anämie meiner Ansicht nach nur dann zu verschlüsseln, wenn sie tatsächlich nachgewiesen und klinisch relevant war.(Mit welchem Hb gehen die Patienten in den OP und mit welchem kommen sie wieder raus und hatten sie zwischendurch tatsächlich eine klinisch relevante Anämie?)

    Zur "Hypokaliämie-Diskussion" (auch wenn vielleicht schon hundertmal diskutiert:

    Ich darf noch einmal die DKR zitieren:

    Zitat


    DKR D003b
    Die Nebendiagnose ist definiert als:

    "Eine Krankheit oder Beschwerde, die entweder gleichzeitig mit der Hauptdiagnose besteht oder sich während des Krankenhausaufenthaltes entwickelt."

    Für Kodierungszwecke müssen Nebendiagnosen als Krankheiten interpretiert werden, die das Patientenmanagement in der Weise beeinflussen, dass irgendeiner der folgenden Faktoren erforderlich ist:
    [*] therapeutische Maßnahmen
    [*] diagnostische Maßnahmen
    [*] erhöhter Betreuungs-, Pflege- und/oder Überwachungsaufwand


    Wir haben hier eine "oder"-Verknüpfung, d.h. die Kriterien sind hinreichend erfüllt, wenn einer der drei Punkte zutrifft. Und der Begriff Ökonomie kommt nicht vor, schon gar nicht als ökonomischer Aufwand.

    Zumindest bei den ersten beiden Kriterien geht es also nicht um die Frage, wieviel zusätzlichen ökonomischen Aufwand eine Krankheit erforderte (das ist Sache der Kalkulation der Relativgewichte und der Festlegung der "deutschen" CCL-Werte), sondern nur darum, ob sie irgend eine Konsequenz hatte.

    Eine Laboruntersuchung ist nun mal eine diagnostische, eine Brausetablette nun mal eine therapeutische Maßnahme.

    Die wirklich relevante Frage - und um die geht es meiner Ansicht nach auch in dem Eröffnungsbeispiel dieses Themas - ist für mich, ob es sich tatsächlich um eine "Krankheit oder Beschwerde" handelt, was ja schließlich auch eine Voraussetzung für die Angabe einer Diagnose ist.

    Und so kommt es, dass ich zwar die Transfusion zweifellos für eine relevante Maßnahme halte, die damit zu therapierende Krankheit jedoch unter Umständen (noch) gar nicht vorlag. Somit würde es sich auch um eine prophylaktische und keine therapeutische Maßnahme handeln.

    Schönen Tag noch,
    --
    Reinhard Schaffert

    Medizincontroller
    Facharzt für Chirurgie
    Krankenhausbetriebswirt(VWA)
    Kliniken des Wetteraukreises

  • Hallo KollegInnen,
    zunächst ganz herzlichen Dank für Ihre Beiträge, Ihre Anregungen helfen mir weiter! Sicherlich ist Herrn Moeckel zuzustimmen, wenn er auf mögliche Hinweise für ein Qualitätsproblem bei einer liberalen Transfusionsstrategie aufmerksam macht (siehe z.B. Artikel im Dtsch Arztebl 2003; 100:B781-784 [Heft 14]). Unsere orthopädische Klinik implantiert ca. 500 Hüft-TEP's pro Jahr . Unser hausinterner "restriktiver" Kodierstandard sieht die Kodierung der D62 bei einem postoperativen Hb-Abfall um 2 Punkte auf einen Wert kleiner 10 g/dl innerhalb eines definierten Zeitraumes vor. Die heute üblichen Maßnahmen der Autotransfusion (Eigenblut, Cell-saver, Trans-Med-Systeme) gehören bei uns zum Standard. Nach dem Kodierstandard wäre lediglich in 10-15% d.F. eine D62 zu kodieren. Der DRG-Scan unseres Beratungsunternehmens sieht das jedoch ganz anders, dieser vermisst im Falle einer Transfusionsprozedur die Anämie auf der Diagnoseseite, u. er mahnt eine hohe Anzahl formeller Kodierfehler mit Erlösrelevanz an. Das Problem wie angesprochen: Ein Behandlungsstandard, rsp. ein Transfusionsstandard sollte einen Kodierstandard generieren und nicht umgekehrt. Diese Diskussion ist jetzt in Gang gekommen. Hier werden kontroverse Positionen deutlich ("Die Indikation zur Transfusion wird immer individuell gestellt"). Gibt es Erfahrungen bei Ihnen? Bis ein konsentierter Standard vorliegt, muss jedoch weiter kodiert werden, und solange dient uns der Kodierstandard als "Krücke". Ob diese Gehhilfe belastungsstabil ist, weiß ich nicht!

    MfG: Dr. A. Rahn

  • Schönen guten Tag allerseits, insbesonderer Herr Rahn!

    Ich sehe immer noch nicht, warum in Ihrem Beispiel einer Transfusion die Kodierung der Anämie folgen sollte.

    Wenn sie - was nach meinem Verständnis Ihres Beispiels der Fall ist - Transfusionen standardmäßig durchführen, ohne dass das - von Ihnen sogar definierte - Kriterium einer Anämie vorliegt, dann haben Sie vielleicht tatsächlich ein medizinisches Qualitätsproblem, die Anämie darf deshalb in diesen Fällen trotzdem nicht verschlüsselt werden, denn sie lag nicht vor (bzw. war nicht nachgewiesen).

    Oder liege ich da völlig daneben ?(

    Schönen Tag noch,
    --
    Reinhard Schaffert

    Medizincontroller
    Facharzt für Chirurgie
    Krankenhausbetriebswirt(VWA)
    Kliniken des Wetteraukreises

  • Ich sehe immer noch nicht, warum in Ihrem Beispiel einer Transfusion die Kodierung der Anämie folgen sollte.

    Wenn sie - was nach meinem Verständnis Ihres Beispiels der Fall ist - Transfusionen standardmäßig durchführen, ohne dass das - von Ihnen sogar definierte - Kriterium einer Anämie vorliegt, dann haben Sie vielleicht tatsächlich ein medizinisches Qualitätsproblem, die Anämie darf deshalb in diesen Fällen trotzdem nicht verschlüsselt werden, denn sie lag nicht vor (bzw. war nicht nachgewiesen).

    Hallo Herr Schaffert,
    so habe ich das zunächst auch gesehen. Dies scheint jedoch sehr unterschiedlich gehandhabt zu werden. In der Tat werden Blutprodukte bei der Hüft-TEP intraoperativ, insbesondere bei kardiovaskulären Risikopatienten mit entsprechendem Blutverlust, bereits vor klinischer Manifestation bzw. einer laborchemischen Erfassung der Blutungsanämie transfundiert. Hierin sehe ich allerdings kein Qualitätsproblem, das würde für uns erst mit anämiebedingten, perioperativen Komplikationen bei Risikopatienten evident werden. Das Problem der Abbildung der medizinischen Indikation einer Tranfusionsmaßnahme unter diesem Präventionsaspekt wird offenbar häufig mit der "reflektorischen" Kodierung der D62 gelöst, besser noch, als auf der Diagnoseseite keine Indikation bzw. den resultierenden Ressourcenverbrauch auszuweisen. So habe ich jedenfalls die Vorgehensweise anderer Einrichtungen u. auch unseres Beratungsunternehmens verstanden. Aber wie Sie schon richtig sagen: Die ICD-Systematik gibt den Kode der sich anbahnenden Anämie nicht her. Auch wenn es den i.E. den deutlich erhöhten Ressourcenverbrauch für den Ausgleich des akuten Blutverlustes gibt.

    MfG:
    Dr. A. Rahn

  • Wir kodieren Anämie und Transfusionen nur in folgenden Fällen:

    Transfusion frühstens am 2. postop.Tag bei entsprechender Kreislaufsymptomatik, welche durch die die Anämie zu erklären wäre.

    Warum?

    1.) Hb-Abfall postoperativ haben alle Endoprothesen-Patienten
    Die Prozedur beinhaltet bereits einen Blutverlust und
    eine "normale" Anämie postop.
    2.) Alle Eigenblutspender erhalten ihr eigenes Blut bis
    spätestens 1. postop. Tag zurück (das sind 90% aller
    Patienten.
    3.) Die meisten nicht zu alten Patienten verkraften einen Hb von
    8,0 mühelos, wenn sie nur genug Volumenersatz
    (Flüssigkeit/Trinken) erhalten.

    ENDO-Klinik Hamburg
    :))