Schlaffe Tetraparese und Tetraplegie

  • Hallo Forum,
    als Neumitglied grüße ich Sie alle recht herzlich.
    Bisher war ich nur ein passiver Besucher des Forums. Allerdings habe ich jetzt ein Problem mit einem MDK-Gutachten und brauche diesbezüglich Hilfe.
    Folgender Sachverhalt:
    Aufnahme:
    Patient kommt mit Verdacht auf eine zentralnervöse Herpes-simplex-Infektion zur Aufnahme. Zudem bestehen immer wiederkehrende Tetraplegien, die antibiotisch behandelt werden und eine Aufnahme erforderlich machen.
    Therapie und Verlauf:
    Der Verdacht bestätigt sich nicht. Die hochgradige schlaffe Tetraparese wird durch verschiedene Untersuchungen abgeklärt. Es findet sich allerdings keine Krankheitsursache. In einem psychiatrischen Konsil wird die Symptomatik auf eine Konversionsneurose zurückgeführt.
    Kodierung:
    HD: F44.7: Dissoziative Störungen
    ND: G82.31: Schlaffe Tetraparese und Tetraplegie
    ND: G82.69: Funktionale Höhe, nicht näher bezeichnet

    MDK-Gutachten:
    HD: korrekt
    ND: G82.53: Tetraparese und Tetraplegie, nicht näher bezeichnet

    Begründung Gutachter: Es darf nicht die G82.31 kodiert werden, da keine organische Ursache vorliege. Muss für die G82.31 eine organische Ursache zwingend vorliegen? Unsere Ärzte bestehen auf eine hochgradige schlaffe Tetraparese.

    Wer hat Recht? Habe ich in den Kodierrichtlinien oder ICD-10-GM etwas überlesen?

    Ach ja, unsere Kodierung ergibt die B61Z; MDK-Kodierung: U64Z...

    Danke!

    Viele Grüße

    Richard Wagner

  • Hallo Herr Wagner,
    das ist ja wirklich ein kompliziertes Thema.
    Ich denke, es kommt auf die Sichtweise an.
    Wieso meint der Gutachter, es liegt keine organische Ursache vor? Es wurde nur keine gefunden! Ist die Konversionsneurose eine gesicherte oder eine Verdachtsdiagnose?
    Dann müsste der Fall doch noch anders abgerechnet werden.
    Vielleicht könnte jemand aus der Psychiatrie/ Neurologie weiterhelfen.
    Einen schönen Tag noch
    Anne

  • Hallo Herr Wagner,

    unabhängig von der Beurteilung, ob der Kode G82.31 nur bei organischer Ursache kodiert werden darf oder nicht - er ist auf jeden Fall falsch!

    Zur Erklärung: bei den Kodes aus G82.- bezeichnen die fünften Stellen 0 - 3 Para- bzw. Tetraplegien/-paresen, die vom Rückenmark ausgehen. Paresen zerebraler und anderer Genese werden mit einem Kode G82.?9 verschlüsselt; die zusätzliche Angabe einer \"funktionalen Höhe\" mit einem Kode aus G82.6- entfällt in diesem Fall natürlich.

    Damit wird der von Ihnen geschilderte Fall der DRG U64Z zugeordnet.

    Mit freundlichen Grüßen,

    Markus Hollerbach

  • Hallo!

    Zitat


    Original von mhollerbach:
    unabhängig von der Beurteilung, ob der Kode G82.31 nur bei organischer Ursache kodiert werden darf oder nicht - er ist auf jeden Fall falsch!

    Stimmt. In diesem Fall ist aber jeder Code aus G82 falsch, da das DIMDI für 2006 klargestellt hat:

    Zitat


    Diese Kategorie dient zur Verschlüsselung von Paresen und Plegien bei Querschnittlähmungen oder Hirnerkrankungen, wenn andere Schlüsselnummern nicht zur Verfügung stehen.

    Eine Konversionsstörung ist keine \"Hirnerkrankung\" im Sinne der ICD. Falls die Parese das einzige Symptom der dissoziativen Störung war, ist hier F44.4 zu kodieren, bei weiteren dissoziativen Symptomen F44.7.

    Da F44.4 in der Regel mit einer Lähmung einhergeht, wird das Symptom nicht als ND kodiert.

    Die Zuordnung zur U64Z ist sachgerecht, B61Z wäre unsinnig. Es handelt sich nicht um eine frische Rückenmarkserkrankung.

    Viele Grüße!

    Dr. Peter Leonhardt
    Neurologe
    Arzt für Med. Informatik
    Med. Controlling


    I'd rather have a full bottle in front of me than a full frontal lobotomy

  • Hallo Herr Leonhardt,

    Danke für die Ergänzung! Ihre Interpretation kann ich allerdings nicht ganz teilen, da dem von Ihnen zitierten Text nach wie vor der Hinweis folgt:

    Zitat

    Diese Kategorie dient auch zur multiplen Verschlüsselung, um diese durch eine beliebige Ursache hervorgerufenen Krankheitszustände zu kennzeichnen.

    :sterne:
    Was auch immer das nun genau bedeuten mag - es lässt sich daraus doch wohl ableiten, dass Kodes aus G82.- auch verwendet werden dürfen, wenn die Ursache einer Parese nicht in einer Querschnittlähmung oder Hirnerkrankung zu finden ist.

    Mit freundlichen Grüßen,

    Markus Hollerbach

  • Hallo Forum,

    danke für die vielen Antworten!

    zu anneDD:
    Die Konversionsneurose ist eigentlich durch das psychiatrische Konsil gesichert. Allerdings haben Sie Recht, dass eine organische Ursache nicht vollkommen ausgeschlossen werden kann!

    zu Herrn Hollerbach:
    Der MDK hat sowohl im 1. Gutachten als auch im 2. Gutachten die fünfte Stelle mit --.-3 (Hinw.: G82.53) angegeben. Folglich liegt nach Ihrer Schilderung der MDK in beiden Fällen falsch. Dann wäre die Frage: Akut oder chronisch?

    Allerdings ist wohl der Satz von Herrn Leonhardt (Es handelt sich nicht um eine frische Rückenmarkserkrankung.) zutreffend und damit der Fall relativ eindeutig...

    Viele Grüße

    Richard Wagner

  • Hallo,

    der Fall an der Schnittstelle Akutmedizin-Psychiatrie ist medizinisch und abrechnungstechnisch interessant.

    Der MDK liegt mit der Nebendiagnose G82.53 falsch. Sie behandelten nicht einen chronischen Zustand, sondern der Patient kam, wenn ich es richtig verstanden habe, mit einer akuten Lähmung zu Ihnen. Wie die DRG dann heißen mag, die angesteuert wird, ist völlig nebensächlich. Nebensächlich ist auch, warum sie angesteuert wird. In der Tat landen in der B61Z auch chronische Fälle. Siehe Definitionshandbuch.
    Die richtige Nebendiagnose ist G82.39. Die B61Z ist unvermeidlich. Für Sie und für den MDK. So ist die B61Z nun mal gestrickt.

    Die HD F44.7 wurde retrospektiv richtig verschlüsselt. Für die Abrechnung ist es nicht wirklich interessant, ob eventuell eine F44.4 die Situation besser wieder gibt. Die medizinische Frage \"dissoziative Störung oder Konversion\" kann man sicher dem Psychosomatiker für die weitere Abklärung überlassen.

    Die ND dienen der Darstellung des zusätzlichen Aufwandes. In diesem Falle erklärt die G82.39 den gesamten zusätzlichen Aufwand als eigenständiges Problem.
    Eine andere Variante der Verschlüsselung halte ich für falsch. Die
    zerebrale Ursache steht außer Zweifel. Die Verschlüsselung der Lähmungshöhe enthält in diesem Fall keine Zusatzinformation.
    Wie man die Konversionsneurose einschätzt, spielt keine Rolle; denn der Zustand, den sie behandelten und diagnostisch aufwändig abklärten, war für sie eine akut aufgetretene Lähmung. Gratulation, dass Sie herausfanden, was die Ursache der Lähmung ist. Kommt selten genug vor. Diese rechtzeitige Diagnose erspart der KK unglaublich viele unnötige Kosten. Man sollte es auch einmal so sehen.

    Gruß aus Bad Wildungen

    bdomurath

    B.D.

  • Hallo Herr Domurath,

    die G82.39 triggert (im Gegensatz zu den anderen Kodes aus G82.-, die explizit eine akute Querschnittlähmung bezeichnen) nicht die B61Z.

    Mit freundlichen Grüßen,

    Markus Hollerbach