Medinfoweb-Frühjahrsumfrage

  • Liebe Kolleg(inn)en, lieber Herr Thieme,
    das lang und heiß erwartete Ergebnis der Medinfoweb-Frühjahrsumfrage ist zumindest für die Teilnehmer schon da.
    Herzlichen Dank an die Initiatoren! :i_respekt:

    Ich will vor meinem Urlaub kurz eine Meinung zu einem Ergebnis abgeben, welches mich schon lange beschäftigt.

    An erster Stelle steht für die Kassen weiterhin die Prüfung der UGVD um die teilweise horrenden Kurzliegerabschläge zu realisieren.
    Dies halte ich für eine eklatante Fehlentwicklung des Systems und ich diskutiere seit Jahren mit Herrn Dr.Heimig auf fast jeder Veranstaltung darüber.
    Durch diese Regelung mit den Kurzliegerabschlägen, die fast ausschließlich in der operativen Medizin Anwendung finden, wird das System perfidiert.
    Regelmäßig werden Patienten mit schweren Begleiterkrankungen oder schwierigen sozialen Umständen vom MDK \"rausgeprüft\" weil eine von den behandelnden Kollegen als überzogen angesehene Dokumentation verlangt wird, um eine weitere Nacht unter Beobachtung und Betreuung im Krankenhaus zu verbringen.

    Ich kann es meinen Kollegen kaum mehr vermitteln, dass selbst nach aufwendigen stundenlangen Operationen Patienten, bei denen keine Komplikation dokumentiert ist, auf die Straße gesetzt werden müssen.

    Es wird (durch die Kurzliegerabschläge) von uns verlangt, dass blinde, alleinstehende Diabetiker am Operationstag nüchtern aufgenommen werden, nur um den Kurzliegerabschlag zu realisieren.

    Fördernde Drainagen sind schon lange kein Grund mehr, auch Patienten, die unter schlechten sozialen Bedingungen leben, unter Beobachtung zu behalten bis das Infektionsrisiko soweit minimiert ist, dass man sie \"unblutig\" entlassen kann.

    Sicherlich war das vorherige System dadurch perfidiert, dass man lange Liegezeiten finanziell belohnt hat. Aber jetzt das Kind mit dem Bade auszuschütten und die Verweildauern gerade in den operativen Fächern so weit herunterzufahren, dass viele junge Kollegen in den Krankenhäusern keine Möglichkeit mehr haben, Wundheilungstörungen und andere postoperative Komplikationen überhaupt noch kennen zu lernen, ist sicherlich auch keine gute Lösung.

    Zusammen mit dem \"unsäglichen\" Katalog nach § 115b (ambulantes Potenzial) machen die Prüfungen (auch wenn leider nur eine Rangfolge der Prüfgründe erfragt wurde) in den operativen Fächern sicherlich deutlich mehr als 50% der MDK-Prüfungen aus.

    Ich halte dies -wie gesagt- für die eklatanteste Fehlentwicklung, die auch für die meisten sozialen Härten verantwortlich ist.

    Ein Beispiel aus der eigenen Bekanntschaft:
    Eine alleinstehende junge Frau mit zwei kleinen Kindern von 3 und 7 Jahren muss mit öffentlichen Verkehrsmitteln zur Diagnostik in ein 70 km entferntes \"Brustzentrum\".
    Es wird ein weiterer amulanter Termin zu einer ambulanten diagnostischen Gewebeprobe vereinbart. Wieder stundenlange An- und Abfahrt, Warten, Kinder unterbringen.
    Nach Erhalt der Histologie muss erneut ein kleiner Eingriff -kurzstationär? ambulant?
    erfolgen. Natürlich muss hierfür amb? vorstationär? eine Prämedikation und Aufklärung erfolgen.
    Natürlich muss die Patientin am OP-Tag morgens um 7.00 Uhr nüchtern erscheinen. Die Anreise muss also schon vor 6.00 Uhr beginnen.

    Bei uns akzeptiert der MDK eine stationäre Übernachtung bei Alleinstehenden am OP-Tag nicht mehr. \"Dies sei eine leistungsrechtliche Fragestellung und damit im Entschedungsbereich der Krankenkasse und nicht des \'Sozialmediziners\'\".
    Damit ist klar, dass die KK mindestens eine Kurzliegerabschlag, wenn nicht sogar die ambulante Erbringung der Leistung fordert.

    Ein paar Mal macht man es so, wie man es in Kenntnis der sozialen Situation der Patientin für richtig hält und pfeift auf den Kurzliegerabschlag. Irgendwann aber (auf Druck des Medizincontrollings) wird man den Patienten keine Möglichkeit der individuellen Gestaltung mehr anbieten (können).
    Es sind auch nicht alle Patienten davon überzeugt, dass man eine Hernie mal eben ambulant operieren kann. (Krankenkassenmitarbeiter als Patienten am wenigsten).

    Ich bin kein Anhänger der Lamentiererei über \"überbordende Bürokratie\". Ich finde, dass in vielen Bereichen zu wenig dokumentiert wird. Aber ich bin eindeutig ein Gegner der überzogenen, unsinnigen Dokumetation, die nur aus Abrechnungsgründen verlangt wird, wo der gesunde Menschenverstand ausreichen würde.
    Seit Jahrzehnten ist es üblich, dass man nach Frischoperierten häufiger schaut, sowohl Ärzte als auch Schwestern auf der Station. Dabei wurden selbstverständlich Auffälligkeiten dokumentiert, aber Normalverläufe eben nicht. Heute wird die Notwendigkeit der Beobachtung von vorneherein angezweifelt, wenn kein Protokoll mit Kontrolleinträgen vorliegt. Muss das wirklich alles sein??? Oder wird das nur vorgeschoben um die Medizin billiger zu machen??

    Mit solchen Gedanken gehe ich jetzt in den Urlaub :sterne: und hoffe \"erleuchtet\" zurückzukommen. :sonne:

    Schöne Pfingsten
    :i_drink:

    mfG
    Thomas Heller
    QMB/Med Co/OA Gyn
    Haßberg-Kliniken
    Haus Haßfurt/Unterfranken

  • Lieber Herr Heller,

    mir liegen die Ergebnisse der Umfrage noch nicht vor - eigentlich sind sie ja aber auch nur Anlass und nicht Grundlage Ihres Beitrags, deshalb antworte ich jetzt.
    Wenn wir uns über Veränderungen ärgern und bemerken, dass unser Luxus sich reduziert, dann wittern wir Menschen Gefahr. Im Gesundheitswesen geht das ja auch sehr plakativ....
    Internationale Vergleiche (blicken Sie z.B. nach Scandinavien, wir müssen ja nicht immer die USA betrachten), zeigen, dass es eine medizinische Versorgung der Bevölkerung mit sehr guten Ergebnissen und sehr wenig stationärer Behandlung gibt.
    Natürlich gibt es immer den bedauernswerten Einzelfall, aber es gibt auch die grundsätzliche Frage, inwieweit die Allgemeinheit die individuelle Lebensgestaltung des Einzelnen (Familienstand, Kinderzahl, Wohnortwahl) mitfinanzieren muss.

    Wichtig ist mir, dass wir in unserem Gesundheitssystem prinzipiell medizinische Versorgung zur Verfügung stellen - und zwar langfristig. Dazu wird es bei steigenden Kosten alleine durch Fortschritt erforderlich sein, Aspekte der \"Luxusversorgung\" (z.B. Hotelleistung) zukünftig noch weiter zu beschneiden!

    Haben Sie einen schönen Urlaub!

    [f3][c=blue]Dr. Annette Busley[/c][/f3]
    Fachgebietsleiterin Stationäre Versorgung

    [f3][c=blue]MDS[/c][/f3] Medizinischer Dienst des
    Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen e.V.
    Telefon: 0201 8327-288
    E-Mail: a.busley@mds-ev.de

  • Schönen guten Tag liege Frau Busley,

    mit internationalen Vergleichen ist das immer so eine Sache...

    Unter umständen sind die Strukturen nämlich sehr unterschiedlich. Wenn ich eine gut ausgebaute und finanzierte ambulante Struktur habe, dann kann ich natürlich auch viel leichter Leistungen ambulant statt stationär erbringen. Was aber in Deutschland bereits seit Jahren passiert ist, dass sowohl am stationären Sektor als auch am ambulanten Sektor massiv gespart wird. Das führt dazu, dass die Patienten wegen befürchteter Verweildauerkürzungen vom stationären Sektor in den ambulanten Sektor und wegen befürchteter Regresse bzw. wegen qualitativ mangelhafter Notfallversorgung die Patienten vom ambulanten in den stationären Sektor abgeschoben werden. Das macht das System aber nur immer teurer! Hinzu kommt eine Ausdünnung der ambulanten ärztlichen Versorgung zumindest in ländlichen Regionen, weil durch mangelnde Finanzierung und Attraktivität sich keine Ärzte zur Niederlassung mehr finden.

    Diese Dinge spielen alle bei der Prüfung der \"medizinischen\" Notwendigkeit der stationären Behandlung (insbesodnere im Nachhinein und ohne Verantwortung für den Patienten) und eben auch bei internationalen Vergleichen keine Rolle.

    Dass die familären Strukturen heute nicht mehr so sind, wie vor hundert Jahren, ist eine Tatsache und muss meines Erachtens auch in den Sozialsystemen Berücksichtigung finden (im Kinderbetreuungsbereich scheint man dank Frau Lehr langsam bei dieser Erkenntnis anzukommen).

    Ich wünsche noch einen schönen Tag,

  • Guten Tag,

    mich stört, dass es zu viele \"Einzelfälle\" gibt, bei denen der MDK hart argumentiert und die Kasse auch im EInzelfall nicht (oder nur sehr selten) bereit ist, von sich aus nachzugeben.

    Ich bin versucht, besonders groteske Beispiele aufzuführen, verkneife mir das aber, weil es wahrscheinlich nicht bringt.

    Der Vergleich mit den anderen Ländern macht mich immer dann misstrauisch, wenn von dort dann doch schlechte Nachrichten zu vernehmen sind. Das riecht nach den Kirschen in Nachbars Garten...

    Haben nicht die NDL einen Ärztemangel?
    Ist nicht unlängtst in Dänemark eine Touristin auf dem Parkplatz vor dem Krankenhaus verstorben?
    Sind in Skand. nicht die Wartezeiten grotesk?
    Wie war das noch mit der Hygiene in Italien?
    Der MRSA-Quote in Spanien?
    Dem öffentlichen System in GB?
    Waren nicht in den USA 45% der Menschen nicht und viele weitere nur unzureichend versichert?

    Also bitte nicht zu viel Lob für die Anderen....

    Gruß

    PM

  • Lieber Herr Merguet,

    ich möchte keine gesamten Gesundheitssysteme austauschen - beileibe nicht!

    Ich möchte einfach vergleichen, für welche Eingriffe Patienten wie oft und wie lange in stationärer Behandlung sind - und da gibt es in Deutschland noch Einsparpotential!
    Sicher wird das dann für manchen unbequemer und zumindest \"gefühlt\" auch unsicherer, aber wir alle können doch unsere Euros einfach nur ein einziges Mal ausgeben....
    Wenn wir die Entscheidung zu treffen haben, ob wir medizinischen Fortschritt aus Kostengründen nicht mehr mitmachen können oder Menschen über 70 Jahren keine TEP mehr implantieren oder alternativ Aspekte der Luxusversorgung der GKV-Versicherten reduzieren, dann weiss ich jedenfalls ganz genau, wofür ich plädiere!

    Schöne Pfingsttage!

    [f3][c=blue]Dr. Annette Busley[/c][/f3]
    Fachgebietsleiterin Stationäre Versorgung

    [f3][c=blue]MDS[/c][/f3] Medizinischer Dienst des
    Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen e.V.
    Telefon: 0201 8327-288
    E-Mail: a.busley@mds-ev.de

  • Schönen guten Tag Frau Busley

    Zitat


    Original von A. Busley:
    ...aber wir alle können doch unsere Euros einfach nur ein einziges Mal ausgeben....

    Wenn denn der Euro auch ausgegeben würde. Manchmal scheint mir aber auch das Ziel - gerade bei Fehlbelegungsprüfungen - zu sein, den Euro gar nicht erst auszugeben.

    Es gibt Fälle, in denen der Patient vor der Behandlung zu seiner Krankenkasse zwecks Kostenzusage geschickt wurde und hinterher doch der MDK eingeschaltet wurde und die Behandlung abgelehnt hat.

    Und oftmals ist es bei Ablehnung der stationären Behandlung nicht mehr möglich, den Patienten anders abzurechnen, weil keine Ermächtigung da ist, die Frist zur KV-Abrechnung abgelaufen ist, es sich nicht um einen AOP Eingriff handelt und für die vorstationäre Abrechnung die Einweisung fehlt.

    Und wie gesagt - oftmals ist der ambulante Sektor gar nicht in der Lage oder Willens, die Behandlung durchzuführen und das Krankenhaus bleibt die einzige Möglichkeit, soll dann aber die Leistung umsonst erbringen?

    Ich wünsche noch einen schönen Tag,

  • Guten Tag,
    da gäbe es dann doch klare Lösungsmöglichkeiten:

    entweder zweihunderprozentige staionäre Notwendigkeit klar, dann Aufnahme und Abwarten der MDK-Prüfung, Gang vor Sozialgericht usw.

    Wenn keine zweihunderprozentige stationäre Notwendigkeit besteht, dann ist die Leistung (potentiell) ambulant erbringbar; wenn Patient unbedingt stationär will (nur weil erkeine 500 km zum nächsten Niedergelassenen fahren will, der das dort macht), dann darf das nicht zu Lasten der GKV durchgeführt werden, ergo: Selbstzahler und Privatrechnung. Das mit der Erstattung möge dann der Patient bitte selbst mit seiner Kasse klären. Der Clou an der Sache ist, dass das KH ex ante schon sagt. keine stationäre Notwendigkeit im Sinne §39 SGB V. Der Nachteil des Ganzen ist, dass wegen der schlechten Propaganda die Patienten ausbleiben.

    Herzliche Grüsse aus Mittelfranken
    E. Horndasch