MDK-Begehung ohne Krankenhauspersonal

  • Sehr geehrter Herr Schaffert,

    könnten Sie dieses komplizierte Urteil einmal erläutern? (Für jemanden, der die Hintergründe nicht kennt und im Urteilstext mit den ganzen Antragsstellern/innen etc. ein wenig die Übersicht verloren hat ...)

    Gruß aus dem sommerstürmigen Norden,
    TicTac

    There is a theory which states that if ever anyone discovers exactly what the universe is for and why
    it is here, it will instantly disappear and be replaced by something even more bizarre and inexplicable.
    There is another theory which states that this has already happened. ~Douglas Adams

  • Schönen guten Tag TicTac,

    auch wenn ich kein Jurist bin, sondern lediglich ein interessierter Laie, versuche ich mal, Ihnen zu erläutern, wie ich die Entscheidung verstanden habe.

    Zunächst: Es geht hier nicht um ein klassisches Verfahren, sondern um einstweiligen Rechtsschutz. D. h. das Krankenhaus hat hier eine einstweilige Anordnung gegen den MDK/Krankenkassen beantragt, ein bestimmtes Verfahren (Begehung nach Aktenlage ohne KH-Personal) zu unterlassen.

    Als Begründung wählte dazu das Krankenhaus den Datenschutz, da es die Anforderung und Herausgabe der gesamten Patientenakte als zu pauschal betrachtet. Dem MDK stünde lediglich die für die Erfüllung seiner Aufgaben - also die für die Abrechnung - relevanten Daten zu. Mithin hätten - bei Beurteilung nach Aktenlage - einzelfallbezogen nur die jeweils relevanten Unterlagen angefordert werden dürfen.

    Bei einer einstweiligen Anordnung geht es für das Gericht in der Regel um eine Schadensabwägung: Welche Partei hätte bei der jeweiligen Entscheidung (Ablehung/Bestätigung des Antrags) den geringeren Schaden unter der Abwägung, dass auch das Hauptsacheverfahren so oder so ausgehen kann. In diesem Fall weist das Gericht jedoch darauf hin, dass es 1. (noch) kein Hauptsacheverfahren gibt und 2. auch die vorläufige Entscheidung sich am vermutlichen Ausgang des Hauptsacheverfahrens orientieren kann, wenn das Gericht den Ausgang des Hauptsacheverfahrens in eine bestimmte Richtung für sehr wahrscheinlich hält.

    Ein Hauptsacheverfahren gibt es hier nicht, da das Krankenhaus bisher lediglich die einweilige Anordnung beantragt hat.

    Das Gericht lehnt den Antrag ab, weil es einer Klage im Hauptsacheverfahren keine Erfolgsaussichten zumisst, und zwar aus zwei Gründen. Zum Einen sieht es die Anforderung der Akte durchaus nicht als pauschal an, da ja lediglich die Akten der zu prüfenden Fälle angefordert werden. Zudem obliege es dem Krankenhaus, den Umfang der herausgegebenen Akten darufhin zu prüfen, welche Bestandteile der Akte es dem MDK zur Verfügung stellt und welche ggf. aus Datenschutzgründen nicht dem MDK zur Verfügung zu stellen seien. ( Was hier meiner Meinung nach das Gericht außer Acht lässt, ist die Frage, wie konkret der Prüfauftrag dem Krankenhaus mitgeteilt wurde. Dies wäre ja eine Voraussetzung dafür, zu beurteilen, welche Unterlagen erforderlich sind )

    Auch das die Krankenkasse das Verfahren festlege, sei nicht zu beanstanden, da der MDK im Auftrag und als Beratungsinstanz für die Krankenkassen tätig ist und die Krankenkasse (nach BSG Rechtsprechung) die \"Herrin des Verfahrens\" sei.

    So, ich hoffe, ich habe die Entscheidung einigermaßen nachvollziehbar und korrekt übersetzt.

    Nach meiner persönlichen Bewertung hätte ich auch keine andere Entscheidung erwartet. Ich kenne noch die Zeiten, in denen der MDK zunächst nur den Entlassbrief angefordert hat, um dann in einem Verfahren nach Aktenlage festzustellen, dass dies oder das nicht aus den Unterlagen hervorgehe. Das hatte natürlich eine Vielzahl von Widersprüchen zur Folge. Damals habe ich gefordert, der MDK müsse sich die gesamte Akte zu Gemüte führen, um den Fall umfassend beurteilen zu können und weil relevante Dokumentationen eben nicht nur im Brief zu finden sind. Da das Kopieren der gesamten Akte aufwändig, teuer und fehleranfällig ist und einige Dokumentationsformen bei der Kopie nicht mehr immer nachvollziehbar sind (z. B. unterschiedliche Farben) sehe ich die Begutachtung anhand der Originalakte als Fortschritt an. Erstellt der MDK ein Gutachten und berücksichtigt dabei in der Akte vorhande Dokumentationen nicht, kann man damit auch gut den Widerspruch begründen.

    Dass die optimale Lösung - wie ich meine für alle Beteiligten - die Fallkonferenz ist, bleibt unbestritten. Bei uns handeln wir auf diesen Art und Weise mit 5 MDK und 5 Krankenhausmitarbeitern rund 200 Fälle pro Sitzung ab; in der Regel völlig ohne Dissens, d.h. die Fälle sind danach auch abgeschlossen. Ich meine auch, die Krankenkassen können sich über die Ergebnisse im Durchschnitt nicht beklagen. Einen Rechtsanspruch auf dieses Verfahren sehe ich allerdings (bei der derzeitigen Rechtslage) nicht. Man muss also Überzeugungsarbeit leisten und dabei sind solche Verfahren und daraus resultierende Entscheidungen eher nicht hilfreich ( Meine persönliche Meinung! )

    Ich wünsche noch einen schönen Tag,

  • Zitat


    Original von R. Schaffert:
    Bei uns handeln wir auf diesen Art und Weise mit 5 MDK und 5 Krankenhausmitarbeitern rund 200 Fälle pro Sitzung ab;

    Hallo Herr Schaffert,
    haben Sie da ein Parallelverfahren oder wechseln Sie sich so schnell ab?

    Herzliche Grüsse aus Mittelfranken
    E. Horndasch

  • Schönen guten Tag Herr Horndasch,

    das läuft bei uns Parallel: KH-Mitarbeiter und MDK-Mitarbeiter sitzen paarweise zusammen und Arbeiten ihren Stapel Fälle durch. Die Fälle sind fachgebietsbezogen vorsortiert und entsprechend den Beteiligten zugeordnet. Bei einer Prüfquote von ca 11% mit pro Jahr ca. 3000 MDK-Fällen in diesem Verfahren (+ ca 200-300 schriftliche Anfragen von BGs, Privaten und sonstigen KK) machen wir das etwa einmal im Monat (+ zusätzliche kleinere Begehungen mit weniger Fällen zwischnedurch).

    Den Aufwand in einen Tag im Monat (+ ca 1 Tag für vor und Nachbereitung) zu stecken halte ich (auf allen Seiten) für deutlich effektiver, als alle anderen Verfahren, insbesondere da die Fälle danach ja zu 99% endgültig abgeschlossen sind.

    Ich wünsche noch einen schönen Tag,

  • Sehr geehrter Herr Schaffert,

    vielen Dank für Ihre aufwendige Erklärung. Möglicherweise bin ich noch zu unerfahren in sozialrechtlichen Problemen, doch ich verstehe immer noch nicht, worum es eigentlich dort ging. Warum hat das Krankenhaus dem MDK nicht einfach die Akten verweigert, wenn es sie nicht herausgeben wollte, statt eine Einstweilige Anordnung zu beantragen? Davon abgesehen ist es - wenn ich Sie richtig verstanden habe - sowieso eher eine destruktive Idee gewesen, dem MDK Informationen vorenthalten zu wollen? Das von Ihnen praktizierte Vorgehen kommt einem da sehr viel sinnvoller vor.

    Mit freundlichen Grüßen,
    TicTac

    There is a theory which states that if ever anyone discovers exactly what the universe is for and why
    it is here, it will instantly disappear and be replaced by something even more bizarre and inexplicable.
    There is another theory which states that this has already happened. ~Douglas Adams

  • Schönen guten Tag TicTac,

    nach nochmaliger Lektüre dieses Themas von Anfang an geht es wohl eigentlich darum, dass die Krankenhausseite gerne bei der Prüfung dabei wäre, um im \"kollegialen Gespräch\" die Akte zu erläutern. Dies ist - wie ich beschrieben habe - ja auch sinnvoll, allerdings kein Rechtsanspruch.

    Weitere Erläuterungen zum Ziel dieses Antrages müssten allerdings die bayrischen Kolleginnen und Kollegen abgeben...

    Ich wünsche noch einen schönen Tag,

  • Hallo,
    den Ausführungen von Herrn Schaffert kann ich vollends zustimmen, es wurde u.a. die Art der Begehung verändert. Es findet nun eine Begehung rein nach Aktenlage statt. Das Gespräch ist aktuell seitens des MDK nicht mehr gewünscht, Hintergrund ist nach Aussagen von Kassenmitarbeitern, dass die Ergebnisse für die Kassen nicht \"gut\" genug waren...

    Von daher braucht man sich auch über die vorhandene Begutachtungsqualität nicht wundern.
    Die gehäuften fehlerhaften Gutachten führen zu verstärkten Klageschriften bei den Sozialgerichten. Man verlagert somit die Kommunikation vor die Sozialgerichte, auch eine Möglichkeit...

    MfG
    Ductus
    Die Welt ist global, das Denken lokal

  • Sehr geehrte Herren Kollegen,

    vielen Dank für Ihre Erläuterungen, jetzt verstehe ich den - leider sehr problematischen - Hintergrund.

    Beste Grüße aus dem Norden,
    TicTac

    There is a theory which states that if ever anyone discovers exactly what the universe is for and why
    it is here, it will instantly disappear and be replaced by something even more bizarre and inexplicable.
    There is another theory which states that this has already happened. ~Douglas Adams

  • Hallo,
    stellen Sie sich vor:
    ein Gutachter findet in einer \"chaotischen\" Akte ohne Hilfe die Hypokaliämie nicht. Kann ja vorkommen.
    Dann kann im bisherigen Fall der KH-Mitarbeiter den Laborauszug oder die Medikation suchen und die E87.6 belegen.
    In dem vom MDK beabsichtigten Fall der einseitigen Begehung wird die Diagnose einfach gestrichen.

    Herzliche Grüsse aus Mittelfranken
    E. Horndasch

  • Hallo!

    Das kann ich mir sehr gut vorstellen! Ich glaube, solche Probleme kennen wir alle nur zur Genüge ...

    Beste Grüße,
    TicTac

    There is a theory which states that if ever anyone discovers exactly what the universe is for and why
    it is here, it will instantly disappear and be replaced by something even more bizarre and inexplicable.
    There is another theory which states that this has already happened. ~Douglas Adams

    • Offizieller Beitrag

    Guten Tag,


    Warum mutwillig Einzelkämpfer werden?


    Die „alte“ Zeit des „MDK-Cowboy\" ist längst vorbei


    Alle wissen das eigentlich...

    Alle kennen auch die wahren Gründe für die nicht gewünschte Kommunikation

    Alle werden zu Verlierern


    Gruß

    E Rembs