Hallo NG, sehr geehrter Herr Selter,
(ich denke, ich darf mal einen neuen thread anfangen, "Nicht"-Kodierrichtlinie DKR 0042 passt nicht mehr so ganz)
dass das DRG-System in seiner ganzen Tragweite erkannt wurde, kann man wohl kaum sagen.
Jetzt flächendeckend Coder einzustellen, halte ich für eine der dümmstmöglichen Varianten. Wir würden diesen Berufszweig nie wieder los werden. Er würde sich selbst unersetzlich machen. Er wäre ungedeckelt, die Ärzte würden unter dem Deckel bleiben.
Das, wofür ein Grouper z. B. 2 Millisekunden bräuchte, nämlich aufgrund der aktuellen Liste von Diagnosen und Prozeduren eine DRG anzeigen, würde der Herr Kodierer irgendwann nach der Entlassung des Patienten erledigen, gebeugt über einen Stapel Krankenunterlagen.
Zugegeben, so haben es uns die Amerikaner vorgemacht und die Verwaltungsausgaben von ca 5 auf 25 % heraufgeschraubt. Belesen Sie sich, auch über das völlig unnütze System des peer review, welches die amerikanischen Krankenversicherer zur Kontrolle der clinical coder aufgebaut haben.
Zugegeben, so machten es uns die Australier vor, dort weigerten sich die Krankenhausärzte zunächst zu kodieren, also wurden auf Kosten ihres Stellenplans Coder eingestellt.
Müssen wir denn alle Fehler nachmachen??
Ein Refined-DRG-System kann n i e m a n d auswendig lernen. Kein Coder und kein Arzt. Ein Refined-DRG-System ist ein C o m p u t e r p r o g r a m m. Punkt.
Aber es kann offengelegt werden. Interaktiv. Wenn Sie so wollen "spielerisch". Wir müssen hier ein *Verfahren* implementieren, keine Regeln auswendig lernen. Ich weigere mich, meine ärztlichen Kollegen mit Kodierregeln zu belästigen. Bereits die Allgemeinen DKR sind überflüssig, die speziellen werden eine Katastrophe sein, davon bin ich überzeugt.
Diejenigen Ärzte, die es wagen, selbst zu denken, verzichten sowieso großzügig auf die Lektüre solcher Vorschriften, das muss doch denen, die laufend neues Papier verteilen, irgendwann einmal auffallen, oder wohl eher nicht?
In Amerika und in Australien dienten die Coding standards vornehmlich der Schulung von clinical codern, weil diese die ärztlichen Unterlagen nicht unbedingt immer richtig interpretieren können. Aber man muß doch Ärzten nicht erklären, was sie dokumentieren müssen! Das tun die doch schon immer, das ist für Ärzte doch selbstverständlich. Und genau diese klinischen Selbstverständlichkeiten sind es, mit denen man den Grouper füttern kann. Medizin! Keine Ökonomie!!
Wir haben bei DRGs genau zwei Möglichkeiten: Die teure und die billige.
Teuer ist es, zu warten, alles allen erklären zu wollen, alle Eventualitäten im Voraus kennen wollen, seine angeblichen Pfründe sichern wollen, alles im Nachhinein kontrollieren wollen.
Billig (und effizient) ist es, keine Zeit zu verlieren, jetzt zu handeln, die Regeln zentral dem Grouper mitzuteilen, den Grouper dann zu verteilen und dezentral allen Ärzten zugänglich zu machen, die Daten bei ihrer Entstehung zu erfassen und auf Plausibilität zu prüfen, die Verantwortung hierfür dem Arzt und die Kontrolle im Regelfall seinem Vorgesetzten und zusätzlich dem Patienten zu überlassen (http://www.drg-forum.freewebspace.com/jacob.htm), die Daten zentral anonymisiert für die nächste "Runde" (s. Australien) auszuwerten und hiermit das Verfahren zu verfeinern.
Jetzt handeln heißt aber auch, im Hinblick auf ein gut funktionierendes DRG-System manchen inzwischen gewohnten Unsinn oder manche jetzt plötzlich unbedingt gleichzeitig auch noch parallel neu eingeführte Regelungen zu stoppen, damit man die Kräfte bündeln kann. Aber was macht Deutschland? Alle alten Zöpfe werden belassen und die neue Frisur soll trotzdem perfekt werden. Der BMG-Entwurf für ein DRG-Gesetz ist da wohl symptomatisch. Von "nichts `ne Ahnung", keine Spur von einem "großen Wurf", von "der Revolution im Krankenhauswesen", aber schon mal ein paar Halbsätze und Wörter an den einschlägigen Gesetzen streichen, abändern oder ergänzen. Der Begriff "DRG" kommt überwiegend in Absätzen über Ausnahmen vom DRG-System vor... (ich gebe zu, dass dies jetzt etwas pauschal geurteilt war; ein Verzicht auf Bürokratie ist für mich allerdings nicht erkennbar).
Nun noch ein paar direkte Antworten auf ihren Beitrag (in Anführungszeichen).
"Was halten Sie denn von der Einrichtung des professionellen Kodierers? "
Nichts, s. o.
"Ärzte sind mit diesem Ausblick immer zu motivieren, sprich, sie dokumentieren ihre Leistungen, Diagnosen usw. in der Akte und werden mit den Kodieraufgaben nicht mehr belastet. Ich habe noch von keinem Arzt gehört, dass er so jemanden in seiner Klinik nicht sehen will."
Jetzt kennen Sie einen. Die von Ihnen genannten Ärzte haben offenbar noch nie mit einem guten EDV-System gearbeitet und lieben es offenbar, Akten, Briefe und Befunde zu suchen, auf Formulare immer und immerwieder die gleiche Fragestellung und Diagnose zu schreiben, ganz abgesehen von so Selbstverständlichkeiten, wie Personalien, Station, Zimmernummer, Datum und Arztname dauernd zu wiederholen.
"Spielen wir doch mal das Szenario durch, dass es keine Deckelung mehr geben wird."
Dann könnte man so richtig aus dem Vollen schöpfen, dann hätte ich auch nichts gegen professionelle Kodierer, jeder sollte einen haben...
"Dann ist es also so, dass eine bestmögliche Kodierung eine maximale Erlösoptimierung erbringt."
Wenn hochwertige Daten, damit meine ich die Diagnosen und Prozeduren, die ein Arzt sowieso dokumentiert, dem Grouper angeboten werden, gibt es im Regelfall (und nur der Regelfall, nicht die Ausnahme, sollte uns interessieren) keine Probleme mit der Eingruppierung. Wieviel Geld es dann gibt, liegt überhaupt nicht im Einflußbereich des kodierenden Arztes, darüber soll er sich nicht den Kopf zerbrechen. Das können alle Jahre wieder die Spitzenverbände aushandeln, die müssen die resultierende Rationierung dann auch verantworten.
"Die Ärzteschaft ist mit der Dokumentation nur noch in der Akte betraut und sind deswegen viel mehr Willens Nebendiagnosen, Prozeduren usw. in schriftlicher Form zu dokumentieren."
Die Ärzte müssen die Dinge dokumentieren, die etwas mit dem Behandlungsverlauf zu tun haben, das hat nichts mit "gutem Willen/Motivation" zu tun, sondern mit Qualität und zielgerichteter Diagnostik und Therapie.
"Ergebnis:
Motivierte Ärzte erbringen bestmögliche Dokumentation,..."
Nicht mehr und nicht weniger dokumentieren, wie schon immer - gute Medizin machen!
"... ermöglichen dem professionellen Kodierer damit ein optimale Verschlüsslungsausgangslage (welch ein Wort!), dieser kennt alle Regeln in-und-auswendig und sichert somit einerseits eine inhaltlich richtige und daneben maximale Rechnungsstellung."
Alles nur teure Doppelarbeit, auch der Koder wird nicht ohne Computer auskommen, es fehlt die Rückkopplung an den Arzt, oder wollen Sie dauernd Fallbesprechungen machen? Was ist bei Interpretationsproblemen?
"Geht man jetzt noch davon aus, dass es diese Leute in ausreichender Anzahl gibt..."
Weiss ich nicht, wieviele es gibt, und wenn schon, wann man realistischerweise in jedem Krankenhaus einen hätte. Bis dahin wäre auch ein Grouper fertig und dezentral im Einsatz...
"... und sich deren zusätzlich anfallenden Lohnkosten durch die Abrechnungsoptimierung und Reduzierung der Überstunden der ärztlichen Mitarbeiter amortisieren dann klingt das doch super, oder nicht?"
Für mich der Horror, aber für manchen medizinischen Dokumentar eine Lebensstellung. Für die Versicherten ein Draufzahlgeschäft, davon wird keiner gesund.
"Ich sage Ihnen meine Meinung dazu später."
Ich bin sehr gespannt.
Viele Grüße
B. Scholz
[ Dieser Beitrag wurde von Scholz am 08.06.2001 editiert. ]