GVD in den DRG's...

  • Hallo und einen guten morgen an alle,

    ich bin beim Studium des Referentenentwurfs zur Verordnung zum Fallpauschalensystem für Krankenhäuser über die GVD gestolpert..

    Ist mir prinzipiell alles klar, 5-6% des Gesamtbudgets sollen für sogennante Zusatzentgelte verwendet werden, auch die vorgeschlagenen Regeln hierfür sind einigermaßen verständlich.

    Nur §6 Abs. 3 finde ich nicht erklärlich, woher kommen der Faktor 0,60 (sprich 40% Abschlag!?) bei GVD-Überschreitungen, kann mir hier jemand eine mathematische Begründung geben oder ist dies eine politisch-ökonomische?
    Bei den Kürzungen wegen Unterschreiung der GVD fehlt dieser 40% Abschlag (warum? [weil es Zugunsten der Krankenhäuser])...

    Gruß aus dem sonnigen Fläming

    Thomas Lückert
    Stabsstelle Medizincontrolling
    Unfallkrankenhaus Berlin

    • Offizieller Beitrag

    Hallo Herr Lückert,
    hallo Forum,

    die Antwort finden Sie auf Seite 10 in der Begründung, letzter Absatz
    von betriebswirtschaftlicher Seite ist dies vernünftig, da nur die variablen Kosten steigen. Es sollen somit nur die Grenzkosten vergütet werden.


    zur Erläuterung:
    Grenzkosten
    Die Grenzkosten des Faktoreinsatzes bezeichnen die zusätzlichen Kosten, die für den Einsatz jeweils einer zusätzlichen Faktoreinheit entstehen oder anders ausgedrückt:

    sie bezeichnen die Kosten der jeweils "letzten" Faktoreinheit. Da nur die var. Kosten sich verändern, gehen nur diese in die Grenzkosten ein. Mathematisch ergibt sich die Grenzkostenfunktion aus der Steigung der Gesamtkostenfunktion bzw. der Funktion der gesamten variablen Kosten und entspricht daher der 1. Ableitung der Kostenfunktion:

    GK = dK/dx = vk

    Die Grenzkosten des Faktoreinsatzes sind im allgemeinen, d.h. bei proportionalen var. Kosten, den var. Durchschnittskosten gleich.

    Weist die Funktion der var. Kosten jedoch einen diskontinuierlichen Verlauf auf, weil z.B. ab einer bestimmten Grenze var. Abschreibungen entstehen, dann müssen die var. Kosten der letzten Faktoreinheit zur Bestimmung der Grenzkosten herangezogen werden. In diesem Fall weichen nämlich die durchschnittlichen var. Kosten (DVK) von den Grenzkosten (GK) ab.

    Gruß

    E.Rembs

  • Zitat


    Original von Rembs:
    zur Erläuterung:
    Grenzkosten

    Weist die Funktion der var. Kosten jedoch einen diskontinuierlichen Verlauf auf, weil z.B. ab einer bestimmten Grenze var. Abschreibungen entstehen, dann müssen die var. Kosten der letzten Faktoreinheit zur Bestimmung der Grenzkosten herangezogen werden. In diesem Fall weichen nämlich die durchschnittlichen var. Kosten (DVK) von den Grenzkosten (GK) ab.

    Hallo Herr Rembs, hallo Forum,

    und irgendwann stoßen wir an die Grenzen der Übertragbarkeit betriebswirtschaftlicher Formeln auf den Krankenhausbetrieb. Weil nämlich die Voraussetzungen schlichtweg nicht beachtet werden.

    Die Voraussetzungen im produzierenden Gewerbe für die Anwendung der Grenzkostenrechnung zur Bestimmung eines zusätzlichen Deckungsbeitrages sind nämlich, dass das Unternehmen freie Kapazitäten hat und selbst entscheidet, ob es noch ein Produkt seiner Wahl zusätzlich produzieren will (z. B. unter Ausnutzung einer kostengünstigen Stückmenge).

    Im Krankenhaus bleibt der Patient deswegen länger, weil er behandelt werden muss, also wegen seiner CCs. Und hier können die Tageskosten sehr wohl 60% der Durchschnittskosten überschreiten, man denke nur einmal an Komplikationen, die wiederholte operative Eingriffe oder eine Intensivbehandlung nach sich ziehen.

    Um dies zu verifizieren, sehe ich allerdings nur den Weg über eine Kostenträgerrechnung, d. h. Fallkostenrechnung insbesondere bei den Langliegern. Ich kann mir kaum vorstellen, dass es sachgerecht ist (um mal in der Sprache unserer Politiker zu reden), die für Langlieger zu dokumentierenden Kosten aus irgendeinem "Grenzkosten sind variable Kosten, also 60%"-Gedanken heraus anders zu bewerten, als die für einen x-beliebigen anderen Patienten anfallenden Kosten.

    Diese Art der Ausgleiche haben wir in der gegenwärtigen BPflV, ich dachte eigentlich auch, dass dieses ungenaue Instrumentarium durch DRGs überflüssig würde.

    Herr Rembs, ich warne vor der "Folklore des Halbwissens" :-p

    Nichts für Ungut
    --
    Mit freundlichen Grüßen

    Dr. Bernhard Scholz
    DRG-Beauftragter
    Kliniken des Landkreises Freyung-Grafenau gGmbH

    [center] Bernhard Scholz [/center]

    • Offizieller Beitrag


    Hallo Herr Dr. Scholz,
    so wie sie es oben ausführen, sollte es nach med. Kriterien sein.
    Ist auch immer so in der Realität?
    Es kann m.E. aber durchaus ein Fehlanreiz sei, daß über die Abrechnung eines "gesunden" Langliegers ungerechtfertigte Erlöse erzielt werden.


    Mit folkloristischen Grüßen

    Eberhard Rembs

  • Ist es nicht die Motivationssteuerung:
    Das Krankenhaus soll Langlieger zu vermeiden trachten (weil finanziell unattraktiv), aber auch nicht an ihnen zugrunde gehen.

    Mal so als Nicht-BWLer gesprochen... I)
    --
    Jan Haberkorn
    Arzt/Medizincontroller
    St. Elisabeth-Krankenhaus Köln

    Jan Haberkorn
    Internist/Medizincontroller
    St. Elisabeth-Krankenhaus Köln

    • Offizieller Beitrag
    Zitat

    Original von Rembs:
    Es kann m.E. aber durchaus ein Fehlanreiz sei, daß über die Abrechnung eines "gesunden" Langliegers ungerechtfertigte Erlöse erzielt werden.

    Guten Tag Herr Rembs,

    das DRG-System verwehrt ja nicht die Prüfung dieser Fälle durch den MDK (AEP lässt grüßen). Nur weil die Vergütung nach der GVD-Überschreitung ein reduzierter Tagessatz sein wird, bedeutet das bestimmt nicht, dass die Kassen diesen auch immer ungeprüft bzw. kritiklos erstatten wird.
    Ansonsten stimme ich mit Ihnen und Herrn Haberkorn überein, dass über diesen Weg einem evtl. Fehlanreiz entgegengearbeitet wird, dass ist aber auch allen klar. Gerechtigkeit im Einzelfall! -oder- Kostendeckung für Alle! ist kein Kriterium für ein Fallpauschalensystem. Dieses wird auch nie erreicht werden.
    Allein die Tatsache, dass ja nicht alle Kliniken ihre Leistungen zum gleichen Preis erbringen können und werden, bedeutet, dass (egal welche Formel zur Berechnung herangezogen wird) der für alle gleiche reduzierte Tagespflegesatz nicht "gerecht" sein kann. Aber auch hiermit sage ich selbstverständlich nichts neues.

    Interessant dürften Statistiken hierzu sein: Wieviele "Outlier" habe ich (und warum?), was hat mich die Behandlung gekostet, was habe ich dafür bekommen, ect. ... Vielleicht ist eine Diskussion dann fruchtbarer, aber die meisten können das ja nun mal zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht.

    Mit freundlichen Grüßen

    --
    D. D. Selter
    Arzt, Med. Cont. BGU-Murnau

  • Hallo an alle,

    also das mit den Grenzkostenrechnung würde in der Autoindustrie ja durchaus Sinn machen.... aber im Krankenhaus halte ich das beim jetzigen Stand der Kostenrechnung für eine Kassenwunschrealisierung durch das BMG.

    Der angebliche Fehlsteuerungsanreiz hat ja auch bei den alten Fallpauschschalensystem nie gegriffen, schließlich habe ich bei einem Fall der direkt vor der GVD endet die maximalen Kosten bei minimalem Erlös und dies ist dann auch durch eine stark verlängerte Verweildauer nicht mehr aufholbar....selbst wenn es keinen MDK gäbe....

    Hiermit werden dann ja besonders die Maximalversorger betroffen... also wehe dem (es sei den er muß!), der Patienten aufnimmt bei dem eine GVD-Überschreitung schon vorher abzusehen ist...'schickt den besser gleich an die Uniklinik (oder verlegt Ihn innerhalb der ersten 24h!), schließlich sind die für solche 'schwierigen Fälle' auch ausgerüstet'....

    Und dies führt dann nicht zur Fehlsteuerung!

    Und ausserdem, wie ist das denn mit dem Abzug bei Unterschreitung.... als Nicht-BWLer fehlt mir da die Logik, dann hier 100% abzuziehen, wie verhält sich das den Kostentechnisch?

    Und zum Anreiz kann ich nur sagen, dass diese Untere-Grenze zu sowas wie einer Mindestverweildauer wird, also wird der Patient vor dieser unteren GVD-Grenze grundsätzlich nicht entlassen...

    Gruß



    --
    Thomas Lückert
    Medizincontrolling
    Johanniter-Krankenhaus im Fläming

    Thomas Lückert
    Stabsstelle Medizincontrolling
    Unfallkrankenhaus Berlin

  • Zitat


    Original von Lueckert:
    Und ausserdem, wie ist das denn mit dem Abzug bei Unterschreitung.... als Nicht-BWLer fehlt mir da die Logik, dann hier 100% abzuziehen, wie verhält sich das den Kostentechnisch?

    Und zum Anreiz kann ich nur sagen, dass diese Untere-Grenze zu sowas wie einer Mindestverweildauer wird, also wird der Patient vor dieser unteren GVD-Grenze grundsätzlich nicht entlassen...

    Hallo Herr Lückert,

    so wie ich es verstanden habe, soll es für den ersten Tag Geld für zwei Tage geben und die Hauptleistung (Op) soll, wenn erbracht, auf jeden Fall vergütet werden.

    Steuerung und Fehlanreize sind zwei Seiten einer Medaille. Beides ist fragwürdig aus der Sicht eines einzelnen Patienten. Wer von uns möchte als Patient in Gesundheitsfragen durch die Politik oder die Krankenkasse "gesteuert" werden?

    Ziel sollte sein, das Abrechnungssystem an die klinische Wirklichkeit anzupassen und nicht umgekehrt. Man muss sich da mal entscheiden.

    Mein Respekt gilt den Ärztekollegen, die sich unabhängig von Abrechnungsregeln den Blick auf den Patienten und seine Erkrankung bewahren.
    --
    Mit freundlichen Grüßen

    Dr. Bernhard Scholz
    DRG-Beauftragter
    Kliniken des Landkreises Freyung-Grafenau gGmbH

    [center] Bernhard Scholz [/center]

    • Offizieller Beitrag


    Hallo Herr Dr. Scholz,
    vielleicht habe ich o.g. statement völlig falsch verstanden?
    Indirekt dem Gegenüber den Respekt abzusprechen irritiert mich!
    damit wir uns nicht mißverstehen, zuerst der Blick auf den Patienten, das sollten wir uns gegenseitig nicht absprechen.
    Abrechnungsregeln betriebswirtschaftlich zu analysieren um möglichst bei den begrenzten Ressourcen viele Patienten und diese qualitativ hochwertig zu behandeln ist ethisch m.E. eine Herausforderung der wir uns auch stellen müssen. Gerade der ärztliche Sachverstand verhindert, daß Abrechnungsregeln nur einseitig und eindimensional bewertet und betrachtet werden.

    Dazu können betriebswirtschaftliche Betrachtungen durchaus hilfreich sein, eine komplette Übertragung will doch keiner ernsthaft durchführen..


    Die Ergebnisbetrachtung umfasst immer Leistung (Menge), Qualität (Komplikationen) und Kosten. Das ist das was sie als klinische Wirklichkeit ansprechen, und dafür wollen wir uns alle einsetzen.

    Wir leben nicht als Robin Hood in Sherwood Forest, es muß auch erlaubt sein, kritische Szenarien zu diskutieren.

    Daher:
    Faire Abrechnungsregeln, die robust genug sind, um Mißbrauch zu verhindern.

    Auf der anderen Seite muß gewährleistet sein, daß die berechtigten Ansprüche an die zu erreichenden Deckungsbeiträge auch erzielt werden können. Wobei der Deckungsbeitrag weder ein Kosten- noch ein Gewinnbegriff , sondern ein Umsatzbegriff, ist.


    Mit kollegialen Grüßen

    Eberhard Rembs

    Bochum

  • Zitat


    Original von Rembs:
    Hallo Herr Dr. Scholz,
    vielleicht habe ich o.g. statement völlig falsch verstanden?
    Indirekt dem Gegenüber den Respekt abzusprechen irritiert mich!
    damit wir uns nicht mißverstehen, zuerst der Blick auf den Patienten, das sollten wir uns gegenseitig nicht absprechen.

    Hallo Herr Rembs,

    das haben Sie jetzt aber sehr gewählt ausgedrückt. Allein dafür gebührt Ihnen mein Respekt.

    Ich wollte eigentlich nur auf den Umstand hinweisen, wie leicht es passieren kann, dass abrechnungsbedingte Fehlanreize Wirkung zeigen. Das war nicht persönlich gemeint, dafür kenne ich Sie ja gar nicht gut genug. Auch Herrn Lückert meine ich natürlich nicht persönlich, sondern einfach die Aussage, die dieser mit der Gleichsetzung "untere Grenzverweildauer = Mindestverweildauer" getroffen hat.

    Wenn es medizinisch vertretbar ist (und zwar auch im Hinblich auf eine ausreichend mögliche ambulante Nachbehandlung) soll ein Patient entlassen werden, egal welches Abrechnungssystem gilt. Notwendig und zweckmäßig, wirtschaftlich und ausreichend. Sonst fehlt irgendwo Geld, unter anderem demjenigen, der diesen Zusammenhang nicht einsehen will.

    --
    Mit freundlichen Grüßen

    Dr. Bernhard Scholz
    DRG-Beauftragter
    Kliniken des Landkreises Freyung-Grafenau gGmbH

    [center] Bernhard Scholz [/center]

    • Offizieller Beitrag
    Zitat


    Original von Scholz:

    Steuerung und Fehlanreize sind zwei Seiten einer Medaille. Beides ist fragwürdig aus der Sicht eines einzelnen Patienten. Wer von uns möchte als Patient in Gesundheitsfragen durch die Politik oder die Krankenkasse "gesteuert" werden?

    Mit freundlichen Grüßen

    Dr. Bernhard Scholz
    DRG-Beauftragter
    Kliniken des Landkreises Freyung-Grafenau gGmbH


    Hallo Herr Dr. Scholz,
    Ist noch eine weitere Nachfrage erlaubt?

    Keiner möchte gesteuert oder fremdbestimmt werden.
    Aber: Der status quo ist nicht aufrecht zu erhalten, siehe SVR Gutachten, Lauterbach et al. über Fehlversorgung, Unterversorung und Überversorgung.
    Ist nicht der jetzige Zustand fragwürdig?
    Siehe dazu auch die heute dankenswerterweise bei mydrg zur Verfügung gestellte Studie "Weiterentwicklung des dt. Gesundheitssystems"

    schöne Grüße

    Eberhard Rembs
    Bochum