und noch eine interessante Argumentation zur primären Fehlbelegung

  • Einen schönen guten Tag wünsche ich,
    folgenden Sachverhalt bekam ich zur Klage auf den Tisch, bitte um Ihre Meinungen bzw. Hinweise dazu. Ist nun ein stat. Aufenthalt oder eine ambulante Behandlung abzurechnen?

    Gutachtentext des MDK:
    \"Der Pat. war in der Zeit zwischen 03.01 und 03.57 Uhr mit einer primären Wundversorgung nach Schnittverletzung in suizidaler Absicht behandelt worden. Da die Wundversorgung notfallmäßig ambulant möglich ist, war hier nicht die Notwendigkeit einer vollstationären Behandlung nachzuvollziehen. Integration in den Klinikablauf konnte nicht erfolgen, da offensichtlich die Aufnahme in der Psychiatrie organisiert wurde. Dagen wird seitens des Medizincontrollings der Klinik Widerspruch eingelegt mit der Begründung, dass eine med. Indikation für eine vollst. Behandlung vorlag.
    Dass die Indikation für eine stat. psychiatrische Behandlung vorlag ist unstrittig. Diese Behandlung konnte während der notfallmäßigen chirurgischen Wundversorgung organisiert werden. Deshalb war jedoch die Wundversorgung, um die es hier geht, jedoch nicht stat. erforderlich.
    Eine andere gutachterliche Stellungnahme ist auch nach Diskussion im Team nicht möglich.\"
    Eigentlich bin ich entsetzt über den Inhalt dieses Gutachtens oder hat der MDK Recht?
    vielen Dank im voraus für die Hilfe und
    freundliche Grüße Uta Seiffert-Schuldt.

    • Offizieller Beitrag

    Guten Tag,


    Vorbemerkungen:

    aufgrund der wenigen Angaben und des kurzen Textes des Gutachtens ist eine abschließende Bewertung nicht möglich.
    Wie stellte sich die Situation zum Aufnahmezeitpunkt (Uhrzeit!) dar?
    Wie ausgeprägt war die Verletzung? (Behandlungsdauer 56min).
    War von Anfang an klar, dass hier bei möglicher Eigen- oder Fremdgefährdung eine ambulante Behandlung weder fach- noch sachgerecht war?
    Wie intensiv musste der Patient überwacht bzw. betreut werden?
    Kann bei ex ante Betrachtung aufgrund der Gesamtsituation (Schwere der Verletzung, unruhiger oder hilfloser Patient) von einer psychischen und organisatorischen Eingliederung in das Versorgungssystem des Krankenhauses ausgegangen werden?


    Zitat


    Original von FUSS:
    Eigentlich bin ich entsetzt über den Inhalt dieses Gutachtens oder hat der MDK Recht?


    Ich bin entsetzt über die mangelnde Substanz der gutachterlichen Stellungnahme. Es fehlt eine Diskussion des konkreten Einzelfalles.


    Zitat


    Original von FUSS:
    Gutachtentext des MDK:
    \"Der Pat. war in der Zeit zwischen 03.01 und 03.57 Uhr mit einer primären Wundversorgung nach Schnittverletzung in suizidaler Absicht behandelt worden. Da die Wundversorgung notfallmäßig ambulant möglich ist, war hier nicht die Notwendigkeit einer vollstationären Behandlung nachzuvollziehen.

    Warum war die Wundversorgung ambulant möglich? Welche Fakten sprechen dafür, welche dagegen?
    Wie war die Kooperationsbereitschaft des Patienten?
    War die Gesamtsituation durch Drogen und/oder Alkoholeinfluss gekennzeichnet?


    Zitat


    Original von FUSS:
    Integration in den Klinikablauf konnte nicht erfolgen, da offensichtlich die Aufnahme in der Psychiatrie organisiert wurde.

    Auch hier handelt es sich nur um Behauptungen, es werden keine Fakten gewürdigt. Wie war der Plan des Krankenhausarztes? „Offensichtlich“ ist eine Vermutung, wo bleiben die Belege?


    Zitat


    Original von FUSS:
    Eine andere gutachterliche Stellungnahme ist auch nach Diskussion im Team nicht möglich.\"

    Was wurde im Team diskutiert? Warum (Fakten, Abwägung pro und contra) ist eine andere Stellungnahme nicht möglich? So isoliert formuliert ist dieser Satz kein Argument!


    Fazit:

    Ich vermisse im Gutachten eine realistische Evaluation der Fakten des konkreten Einzelfalles und eine Beurteilung im Kontext. Leider werden nur pauschale Behauptungen angeführt.


    Gruß

    Eberhard Rembs

  • Hallo Herr Rembs,

    aber so selten sind doch solche Gutachten nicht, wundert mich dass Sie da so entsetzt sind.
    Natürlich gibt es auch sehr konstruktive Gutachten, wo man gleich nochmal so gerne :) nachgibt. Na im Ernst bei einem konatruktiven Dialog bin ich doch eher bereit mich den Argumenten zu beugen als bei solchen \"Standard\" antworten.

    Mfg

    Uwe Neiser


  • Schönen guten Tag allerseits,

    ich halte das Gutachten sogar für verhältnismäßig differenziert (na gut, angesichts der sonstigen Realität sind die Ansprüche vielleicht auch nicht mehr so hoch) . Bei dieser Darstellung (zugegeben aus Sicht des MDK) tun sich mir aber schon einige Fragen an das Krankenhaus auf:

    Herr Rembs fragt richtigerweise nach dem Behandlungsplan. Anders ausgedrückt: Wie wäre der Patient weiterbehandelt worden, wenn es sich nicht um einen Suizidversuch gehandelt hätte?

    War von vornherein klar, dass die Verlegung in die Psychiatrie erfolgen sollte oder ergab sich erst bei der Revision, dass eine chirurgische Überwachung nicht vordringlich war?

    Erfolgte die Wundversorgung unter operativen Bedingungen oder in den Ambulanzräumen?

    Und handelt es sich bei der Zeitangabe (knapp eine Stunde) um die Zeit für die Wundversorgung (OP-Zeit) oder um die gesamt Aufenthaltszeit in der Chirurgie (einschließlich Administration, Wartezeiten, ggf. Röntgen) ?

    Für mich entscheidend wären die ersten beiden Fragen: Wenn von vornherein eine stationäre chirurgische Behandlung als nicht erforderlich angesehen wurde und der Patient auf jeden Fall in die Psychiatrie verlegt werden sollte, dann handelt es sich zumindest nach dem hessischen Landesvertrag nach § 112 Abs. 2 5. 1 Nr. 1 SGB V allenfalls um eine vorstationäre Behandlung ( § 4 Abs. 2 ).


    Wie immer kommt es hier auf die Dokumentation an. Leider zeigt sich hier dann doch oft, dass diese trotz aller Schulungen und Ermahnungen der Ärzte nicht ausreichend ist, um einen entsprechenden Anspruch durchzusetzen.

  • Ich wünsche einen schönen Tag und vielen Dank für die Antworten,

    ich muss gestehen, ich habe absichtlich erst einmal nur den Gutachtentext vermittelt und habe gehofft, dass einstimmig alle der Auffassung wären, dass bei einem Suizidversuch zu dieser Uhrzeit, egal ob mit oder ohne chirurgisch zu behandelnde Wunden, immer ein vollstationärer Aufenthalt notwendig wäre, wegen der Gefahr für das Leben des Patienten. Aber leider sehen sie dies wohl nicht so. In diesem Fall ist die Verlegung in die Psychiatrie schnell gegangen, das ist nicht immer so.

    In diesem Fall hatte sich der Patient den Unterarm aufgeschnitten in suzidaler Absicht, er war , wie sie schon vermuteten alkoholisiert. In solchen Fällen bringt der Notdienst die Patienten in unsere Notaufnahme zur Versorgung der Verletzung, Ausschluß einer akuten Intoxikation und Veranlassung weiterer Maßnahmen. Der Behandlungsplan sieht in jedem Fall die stationäre Aufnahme vor bis die Verlegung in die Psychiatrische Einrichtung möglich ist.

    Nach unserer Auffassung hat auch eine Eingliederung in den Klinikablauf stattgefunden. Bei akuter Gefahr für das Leben und Depressionen unter Alkoholeinfluss ist eine intensive Überwachung des Pat. notwendig durch ärztliches oder Pflegepersonal, die OP wurde organisiert, ärztlicher Bereitschaftsdienst u.s.w. Es war also von vornherein nicht absehbar, wann der Pat. verlegt werden könnte.

    Ich denke diese Fälle sind ähnlich zu sehen, wie die Problematik mit den Stundenfällen auf der ITS, die ja nach MDK auch ambulant abzurechnen wären. Maßgeblich für die Einstufung als stat. Aufenthalt ist doch auch, dass solche Fälle gar nicht ohne die besonderen Mittel des Krankenhauses behandelt werden könnten, zumindest zu dieser Nachtzeit nicht.

    Die Kasse lehnt die Zahlung ab, beruft sich auf das Gutachten des MDK und wir klagen nun. Ich weiß nicht, an bestimmte medizinische Grundsätze muss sich doch auch ein MDK-Arzt aus seiner praktischen Zeit noch erinnern können? Für solche Fälle kann es eigentlich keine ambulante Behandlung geben? Aber ich lasse mich auch gern vom Gegenteil überzeugen.

    Mit freundlichen Grüßen
    U. Seiffert-Schuldt

  • Hallo Frau Seiffert-Schuldt,
    ich interpretiere den §39(1) genauso wie Sie, dass in diesem Fall die Schnittverletzung nur ein Teil der Gesamterkrankung war und diese Anlass für einen stationären Aufenthalt gegeben hat.
    M.E. kann man nicht sagen, die Schnittverletzung konnte unabhängig vom Gesamtzusammenhang ambulant oder vorstationär therapiert werden und danach hat erst in der Fachklinik der stationäre Aufenthalt begonnen

    Ich beglückwünsche Sie zur Klageentscheidung. :i_respekt:
    Auch bei uns wird immer wieder von einer KK versucht, eine Notfallbehandlung, bei der von vornherein feststeht, dass sie stationär durchgeführt werden muss, nachträglich als vorstationäre Behandlung zu bewerten, wenn der Pat. nach kurzer stat. Behandlung doch verlegt werden muss.

    Allerdings muss ich auch Kollegen Schaffert Recht geben, wenn er bemängelt, dass in solchen Fällen fast immer zu wenig dokumentiert wird.
    Falls das bei Ihnen nicht der Fall sein sollte, kann ich Ihr Vorhaben nur unterstützen.
    :d_zwinker:

    mfG
    Thomas Heller
    QMB/Med Co/OA Gyn
    Haßberg-Kliniken
    Haus Haßfurt/Unterfranken

  • Guten Abend Herr Heller,
    vielen Dank für Ihre Einschätzung. Wir waren früher mal viel \"klagfreudiger\". Nachdem bei uns die Klagen aber erst innerhalb eines Zeitraums von 4-5 Jahren bearbeitet werden (bei Gericht), überlegt man sich das inzwischen. Wenn ich die Klage jetzt einreiche, habe ich evtl 2012 einen Termin zur mündlichen Verhandlung, dann kann sich kein Arzt mehr an den Fall erinnern und der Richter fragt, ob ich mich nicht lieber vergleichen möchte, weil das Urteil sowieso keinem mehr nützt, weil \"altes\" Recht. Und so, wie sich die Rechtsprechung derzeit entwickelt, muss ich mich wirklich fragen, ob unsere Rechtsgelehrten noch wissen, was sie tun. Ich denke da zum Beispiel an das Urteil, in dem ein vollstationärer Aufenthalt nicht bezahlt werden muss von der Kasse, weil eine ambulante Behandlung ausgereicht hätte. Diese musste aber auch nicht bezahlt werden vom Kostenträger, weil ja eine vollstationäre Behandlung durchgeführt wurde. Und letztendlich griffen auch die Grundsätze von Treu und Glauben nicht, weil das KH keinen AOP-Vertrag mit den Kostenträgern abgeschlossen hatte. Wenn Richter wüßten, was sie bei Kostenträgern mit solchen Urteilen anrichten... Da wird alles durcheinandergeschmissen oder in einen Topf geworfen und wenn man vernünftig widersprechen will, sagt die Kasse, ich solle mich an den Vorstand wenden, der hätte das so angeordnet! Da fällt mir nichts mehr ein...Ich wende mich auch gern an Vorstände, aber diese geben das Problem auch wieder in die Peripherie ohne neue Anweisungen. Wir klagen, weil wir uns nicht anders wehren können. Wir wehren uns gegen das schlechte Begutachtungsniveau, gegen falsche Rechtsauslegung der Kostenträger und all die hier schon häufig angesprochenen Probleme, aber wem sag ich das.... Freude! In diesem Fall stimmt die Dokumentation!

    Einen fröhlichen Abend wünsche ich
    und vielen Dank. Ich habe jetzt wenigstens die Argumente zur Klagebegründung.
    Uta Seiffert-Schuldt

    • Offizieller Beitrag

    Guten Tag,

    vielen Dank für die ergänzenden Informationen. Jetzt wo der Nebel der MDK-Nebelkerzen verweht ist, können die tatsächlich entscheidenden Fakten bei der Beurteilung berücksichtigt werden. Nach Würdigung der Fakten halte ich hier eine stationäre Behandlung bei Ihnen für zutreffend.


    Zitat


    Original von FUSS:
    Ich weiß nicht, an bestimmte medizinische Grundsätze muss sich doch auch ein MDK-Arzt aus seiner praktischen Zeit noch erinnern können?


    Das die genannten Fakten vom MDK Gutachter im Kontext überhaupt nicht diskutiert werden, ist möglicherweise in kollektiven Wahrnehmungsverzerrungen begründet.


    Gruß

    Eberhard Rembs