Pyodermie bei Varizelleninfektion

  • Sehr geehrtes Forum,

    folgendes Problem: Patient wird wegen schwerer Pyodermie bei Varizellen auf der Basis einer Neurodermitis behandelt. Die KK möchte als HD die Varizellen, weil Pyodermie (L080) Symptom der Grundkrankheit ist, wir sehen die L080 als Aufnahmeentscheidende Diagnose an. Wer hat Recht?
    Herzlichen Dank und frohe Ostern! Hioer liegen noch so einige (MDK-)Eier parat (;~))

    wertschätzende Grüße an
    alle Gesundmacher(innen)
    und Gesundmacher(innen)bezahler(innen),
    Dr. S. Siefert
    Medizinmanagement und Arzt
    Kath. Kinderkrankenhaus Wilhelmstift
    Freie und Hansestadt Hamburg

  • Sehr geehrter Herr Siefert,

    eine bakterielle Superinfektion als Symptom einer viralen Grunderkrankung zu bezeichnen erscheint selbst mir als medizinischem Laie recht konstruiert. Die Pyodermie als \"Krankheitszeichen\" weist auf ein bakterielles Geschehen hin und eben nicht auf Varizellen. Einen spezifischeren Kode für Pyodermie als die L08.0 gibt es abgesehen von der gangränösen Pyodermie [L88] meines Wissen nach nicht. Und den zugrundeliegenden Keim als HD zu verschlüsseln untersagt ein expliziter Hinweis im ICD. Die Varizellen an sich hätten vermutlich kaum die stationäre Aufnahme zur Folge gehabt und standen wohl auch nicht im Fokus der Behandlung - wenn sie denn überhaupt direkt behandelt worden sind. Ich sehe also keine andere Option für die Hauptdiagnose als die L08.0.

    Schöne Grüße und erholsame Feiertage!

    B. Liebermann

  • Guten Tag zusammen,
    meine 2 cent:
    HD Pyodermie oder alternativ sekundäre Impetigo (nicht ganz perfekt, zielt auf den klinisch mehr als evdidenten Aspekt der Superinfektion von bestehenden Hautläsionen ab)

    ND1 VZV-Infektion
    ND2 Atopische Dermatitis

    Die Behauptung, dass eine Pyodermie ein Symptom einer VZV-Infektion ist, halte ich für medizinisch schlichtweg falsch.

    Ebenfalls nicht korrekt ist die (verständliche) Annahme, dass eine VZV-Infektion auf dem Boden einer atopischen Dermatitis kein Grund zur stationären Behandlung sein soll. Sie kann. Selbst ohne Grunderkrankung der Haut wie die atopische Dermatitis können Varizellen alles andere als eine \"banale Kinderkrankheit\" sein.

    Beispiel aus der Literatur
    Liese JG et al. The burden of varicella complications before the introduction of routine varicella vaccination in Germany. Pediatr Infect Dis J. 2008 Feb;27(2):119-24.

    Abstract:
    BACKGROUND: The true burden of varicella complications in Germany is not known. We investigated the incidence and pattern of varicella complications in children and adolescents using 3 independent surveillance sources. METHODS: Prospective nationwide surveillance in all pediatric hospitals through the German Pediatric Surveillance Unit [Erhebungseinheit für Seltene Pädiatrische Erkrankungen in Deutschland (ESPED)] was used to ascertain hospitalized varicella cases in children <or=16 years of age between January 2003 and December 2004. In the federal state, North-Rhine Westphalia (NRW), a practice sentinel network [European Diabetes Study Group (EURODIAB)] and pediatric hospital based International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems, 10th Revision (ICD-10) surveillance were additionally used to refine incidence estimates via capture-recapture methodology. RESULTS: A total of 918 hospitalized varicella patients (male-to-female: 55%/45%) with a median age of 3.3 years (interquartile range, 1.4-5.2) and a median hospital stay of 5 days (interquartile range, 3-8) were reported. Varicella associated complications occurred in 80% of the hospitalizations, most frequently being neurologic (25.4%), skin infectious (23.2%), and gastrointestinal tract complications (15.0%). Most hospitalizations (77%) occurred in previously healthy children. A predisposing condition existed in 207 children (23%): immunosuppression 7%, atopic dermatitis 7%, and other underlying chronic conditions 9%. Severity of varicella complications was related to increasing age and immunosuppression. Permanent or possible sequelae were reported in 15 (1.7%) and 78 (8.7%) of all children, respectively; 10 children died. Capture-recapture analyses yielded an incidence of 14.1 (95% confidence interval, 9.7-18.6) varicella hospitalizations/100,000 children, corresponding to 1996 (95% confidence interval, 1363-2629) varicella-related hospitalizations per year in Germany. CONCLUSIONS: These data show that the severity of varicella complications in healthy children has been previously underestimated.

    Schöne Grüße und Ostern

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    Dr. med. A. Christaras
    FA Kinder- & Jugendmedizin

  • Liebe Kollegen,

    Patienten mit einer Atopie weisen eine verminderte zelluläre Immunantwort auf, daher sind virale Infektionen in dieser Population immer mit Vorsicht zu betrachten (z. B. Eczema herpeticatum). Dies allein würde aber (Alter und nähere Umstände sind nicht bekannt) noch keine stationäre Aufnahme rechtfertigen, eine schwere Superinfektion aber auf jeden Fall. Diese würden Sie ja auch mit einer systemischen Antibiose behandeln etc.

    Daher sehe ich die Impetigo (bitte spezifisch benennen und auch so codieren: L01.-) ganz klar als Hauptdiagnose. Daß sie ein Symptom der \"Grundkrankheit\" sein soll, spricht deutliche Worte über die Qualifikation des Kollegen beim MDK. Ich kennen nur einen Dermatologen dort, der wird es aber nicht begutachtet haben. Das Problem der fachfremden Begutachtung kennen wir leider auch mehr als uns lieb ist, nämlich wenn Chirurgen neurologische Fälle begutachten...

    Ich hoffe, Ihnen etwas geholfen zu haben.

    Viele Grüße,

    V. Blaschke

    _____________________
    Dr. med. Volker Blaschke

  • Hallo Herr Siefert,

    würde mich inhaltlich dem vorigen Beitrag anschließen und die L01.1 als HD (mit Sekundärkode eines evtl. gefundenen Keims) verschlüsseln.

    Was mir nicht ganz klar war:
    Sie schreiben \"Die KK möchte als HD die Varizellen\". Diskutieren Sie Verschlüsselungsfragen direkt mit der Krankenkassen? Wenn es so wäre, würde es den fehlenden medizinischen Sachverstand erklären ....

    Viele Grüße

    [center]C. Voll[/center]

    [center]Kinderarzt, Neonatologe, Medizincontrolling
    Kinderklinik Dritter Orden, Passau[/center]

  • Hallo,
    auch Krankenkasen haben mitunter medizinischen Sachverstand in Form von Beratungsärzten. Das nur der Form halber.
    Und auf der Basis von existierenden Gutachten kann ich auch direkt mit den Kassen über die darin aufgelisteten Sachverhalte diskutieren, ohne den Datenschutz zu verletzen.

    Herzliche Grüsse aus Mittelfranken
    E. Horndasch

  • Hallo Herr Horndasch,

    weiß schon, dass die KK Beratungsärzte haben. Meine Erfahrung ist, dass man trotzdem meistens (bzw. fast immer) mit \"Sachbearbeitern\" spricht, die sich dann rücksprechen, was evtl. zu einem Gespräch mit dem nächsten höherrangigen Sachbearbeiter führt. Sprechen Sie direkt mit den Beratungsärzten der Krankenkassen?

    Meiner Erfahrung nach macht es Sinn, leistungsrechtliche Fragen, die außerhalb der strengen medizinischen Beurteilung liegen, mit der Krankenkasse direkt zu besprechen. Hier lassen sich echte Klärungen und Einzelfallentscheidungen auch zu Gunsten des Krankenhauses herbeiführen.

    Bezüglich der rein medizinischen Fragen und Wertungen legt sich doch der MDK in seinem Gutachten sowieso fest. Kann man dieses Gutachten bezgl. der medizinischen Fragen anschließend nochmal mit dem Beratungsarzt der Krankenkassen diskutieren und abwandeln, evtl. sogar zum eigenen Vorteil...?
    Das würde mich sehr überraschen, aber ich wäre dankbar für die Information. wenn es so wäre.

    Beste Grüße

    [center]C. Voll[/center]

    [center]Kinderarzt, Neonatologe, Medizincontrolling
    Kinderklinik Dritter Orden, Passau[/center]

  • Hallo Herr Voll,
    zu Ihren Fragen / Anmerkungen:

    Bisweilen spreche ich auch direkt mit einem Beratungsarzt (Zugegeben eher selten, aber kann mitunter hilfreich sein)

    Ihrem zweiten Absatz stimme ich zu.

    zu Ihrem dritten Absatz: manchmal kann es Gutachten geben, die entgegen den Kodierregeln verfasst wurden oder bei denen andere Sachverhalte nciht berücksichtigt wurden.
    Zum Beispiel die Problematik I11.00 und I50.13 bei der HD-Zuordnung
    oder
    die Sepsis-Kriterien. Hier konnte mitunter auf der Basis der im GA enthaltenen medizinischen Informationen ein Widerspruch oder eine SG-Auseinandersetzung vermieden werden (aber auch diese Fälle werden weniger).

    Herzliche Grüsse aus Mittelfranken
    E. Horndasch