Neues vom BSG / LSG

  • Das Urteil klingt in der Kurzform plausibel und war so eigentlich auch erwarten. Unangenehm für einige Kliniken ( und Patienten) könnte der Hinweis des BSG werden, dass die IVIG vertragsärztlich ambulant möglich ist und keine teilstationäre ( geschweige denn vollstationäre) Behandlung erfordert. Das sehen z.B unsere Klinikneurologen bisher anders...

    Mit freundlichen Grüßen

    Breitmeier

  • Aktuell hat offenbar das LSG BaWü in einer Entscheidung vom 14.12.2016 (unter Aktuelles vom 15.12.) die bereits 2014 vertretene Auffassung des dortigen 4. Senats bestätigt, wonach einer Krankenkasse im Prozess kein eigenes Akteneinsichtsrecht zustehe, sondern sie insoweit auf den MDK angewiesen ist, sofern sie keine Schweigepflichtentbindungserklärung vorlegt. Mal sehen, ob das rechtskräftig wird...
    Ansonsten werde ich meinen Klagen ab sofort nur noch eine anstatt zwei Abschriften der Patientenakte fürs Gericht beifügen. ^^

  • Hallo,

    da enthält die Begründung zu B 1 KR 18/16 R doch einige bemerkenswerte Ausführungen:

    R-Nr. 8: "Der Anspruch auf Zahlung einer Aufwandspauschale ist eine eng auszulegende Ausnahmeregelung. Sie zielt nur auf die Einschränkung von solchen Prüfungen ab, die KKn ohne berechtigten Anlass, ggf gar durch "missbräuchliche" Prüfungsbegehren eingeleitet haben, nicht aber zB auf Verfahren, zu denen es nur durch ein Fehlverhalten des Krankenhauses gekommen ist."

    Der Gesetzesentwurf BT-Drucksache 16/3100 Seite 171 sagt dazu: "Um einer ungezielten und übermäßigen Einleitung von Begutachtungen entgegenzuwirken, wird mit Satz 3 eine Aufwandspauschale von 100 Euro eingeführt." (Hervorhebungen durch Verfasser)
    Ausschließlich ungezielte Prüfungen wurden somit ersichtlich nicht adressiert.

    R-Nr. 10: "Bei der Regelung des § 275 Abs 1 SGB V ging und geht es im Falle der Leistungen von Krankenhausbehandlung nach § 39 SGB V in erster Linie um die Einflussnahme auf das Behandlungsgeschehen vor und während der Leistungserbringung."
    Da werden dann wohl vom MDK zukünftig nur noch laufende Behandlungen geprüft. Unter Verweis auf § 275 Abs. 1 SGB V - sowohl seitens der Kassen als auch des MDK - wurden bisher bei uns allerdings ausschließlich unzählige abgeschlossene Fälle geprüft. Eine MDK-Prüfung bei einer noch laufenden Behandlung habe ich noch nie erlebt.

    R-Nr 13 - zur Einführung von Aufwandspauschale und 6-Wochenfrist nach § 275 Abs. 1c: "Soweit die Gesetzesmaterialien hierbei die Vorstellung aufscheinen lassen, dass Fehlabrechnungen "aufgrund von Umfang und Komplexität der Kodierregeln" in den Anwendungsbereich des § 275 Abs 1c SGB V fallen sollen ..., bleiben sie in ihren rechtlichen Grundannahmen diffus. Der in der Norm zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers, wie er sich aus dem Wortlaut der Vorschrift und dem Sinnzusammenhang ergibt, in den sie hineingestellt ist ... lässt eine solche Vorstellung nicht erkennen"

    Was sagt der Gesetzesentwurf BT-Drucksache 16/3100 Seite 171 zu § 275 Abs. 1c? "Mit der Pauschale wird eine vereinfachte, aber unbürokratische Regelung verfolgt. Sie kann deshalb keine Detailgerechtigkeit in jedem Einzelfall gewährleisten. So sind aufgrund von Umfang und Komplexität der Kodierregeln Fehlabrechnungen mit zu hohen oder zu niedrigen Rechnungsbeträgen grundsätzlich nicht auszuschließen."

    Das ist nicht diffus und lässt klar erkennen, dass § 275 Abs. 1c SGB V eben auch Abrechnungsprüfungen adressiert. Der Gesetzgeber bedarf hier keiner rechtlichen Grundannahme, im Gegensatz zum BSG.

    R-Nr. 35: Immerhin hat der Gesetzgeber noch Glück gehabt, wird ihm doch vom BSG, zumindest bis zum 31.12.2015, bescheinigt: "Jedenfalls die bis zum 1.1.2016 geltende Gesetzes- und Rechtslage kennt demgegenüber keine Begünstigung unzutreffender Tatsachenangaben in Krankenhausabrechnungen durch eine Prüfeinschränkung der Beweismittel."

    R-Nr. 24 - Krankenhäuser können beruhigt sein, sind sie doch "nicht etwa aus datenschutzrechtlichen Gründen zur irreführenden Falschabrechnung gezwungen".

    Viele Grüße

    Medman2

  • Absurd sind die Ausführungen unter R-Nr. 12 zum entscheidenden Teil des § 275 Abs. 1 Nr. 1 2. Halbsatz (Auffälligkeiten zur Prüfung der ordnungsgemäßen Abrechnung, unten hervorgehoben):

    § 275 Abs. 1 Nr. 1 SGB V:

    (1) Die Krankenkassen sind in den gesetzlich bestimmten Fällen oder wenn es nach Art, Schwere, Dauer oder Häufigkeit der Erkrankung oder nach dem Krankheitsverlauf erforderlich ist, verpflichtet,

    • bei Erbringung von Leistungen, insbesondere zur Prüfung von Voraussetzungen, Art und Umfang der Leistung, sowie bei Auffälligkeiten zur Prüfung der ordnungsgemäßen Abrechnung,

    ... eine gutachtliche Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung ... einzuholen.

    Der Passus war auf Vorschlag des Gesundheitsausschusses (BT-Drucks. 14/7862 S.6 2.7.) eingefügt worden. Hier zunächst die Gesetzesbegründung:

    • "Klarstellung, dass in Einzelfällen bei Auffälligkeiten auch die Rechnungslegung durch den Medizinischen Dienst geprüft werden kann. Das Verfahren wird ausdrücklich begrenzt auf Fälle, in denen die Krankenkassen einen Anfangsverdacht haben. Die Krankenkassen müssen in diesen Fällen die Möglichkeit haben, abgerechnete Leistungen vom Medizinischen Dienst überprüfen zu lassen. Dies gilt z. B. für Leistungen, die vor der Behandlung genehmigt wurden oder für die eine Kostenübernahmeerklärung abgegeben wurde, aber auch für Leistungen, die nicht genehmigungsbedürftig sind. Diese Prüfung in Einzelfällen ist im Krankenhausbereich unabhängig von der verdachtsunabhängigen Stichprobenprüfung nach dem neuen § 17c des Krankenhausfinanzierungsgesetzes."
      (Hervorhebungen durch Verfasser)

    Das macht das BSG daraus:

    • "Die zweite Alternative "Auffälligkeiten zur Prüfung der ordnungsgemäßen Abrechnung" ... schließt an den durch den Einleitungssatz vorgegebenen Regelungskontext der Anhaltspunkte für die Fallauswahl an, nicht etwa an eine eigenständige abweichende Regelung. Die Auffälligkeiten, die zu Abrechnungsprüfungen verpflichten, ergeben sich aus der Art, Schwere, Dauer oder Häufigkeit der Erkrankung oder dem Krankheitsverlauf. Sie folgen letztlich daraus, dass das Krankenhaus die Versicherten nicht wirtschaftlich iS von § 12 Abs 1 SGB V behandelt und deswegen die Abrechnung nicht ordnungsgemäß ist. Der Gesetzgeber des FPG stellte entsprechend der vom Ausschuss für Gesundheit vorgeschlagenen Ergänzung des § 275 Abs 1 Nr 1 SGB V klar, dass "in Einzelfällen bei Auffälligkeiten auch die Rechnungslegung" durch den MDK geprüft werden kann .... Der Ausschuss erläuterte den Anwendungsbereich der Auffälligkeitsprüfung dahingehend, dass sie "z. B. für Leistungen, die vor der Behandlung genehmigt wurden oder für die eine Kostenübernahmeerklärung abgegeben wurde, aber auch für Leistungen, die nicht genehmigungsbedürftig sind" ... gelte."

    Das BSG legt dar, unwirtschaftliche Behandlung führe zu einer allein dadurch bedingten nicht ordnungsgemäßen Abrechnung, entsprechend könne auch die Rechnungslegung geprüft werden, quasi als Wirtschaftlichkeitsprüfung (??). Dies wäre, wenn überhaupt, nachvollziehbar, hieße es "bei Auffälligkeiten der Abrechnung" oder "bei auffälligen Abrechnungen". Es heißt jedoch "zur Prüfung der ordnungsgemäßen Abrechnung". Im Übrigen ist es nicht sinnvoll, bei einer unwirtschaftlich erbrachten Leistung, die formal ordnungsgemäß abgerechnet ist, die Abrechnung zu prüfen. Hier hilft nur die Prüfung, ob die Leistung regelrecht/wirtschaftlich erbracht wurde (1. Halbsatz).

    In der Gesetzesbegründung wird aber nur ausgeführt, dass "auch die Rechnungslegung ... geprüft werden kann".

    Was "Art, Schwere, Dauer oder Häufigkeit der Erkrankung oder ... Krankheitsverlauf" mit unwirtschaftlicher Behandlung zu tun haben soll, ist nicht nachvolliehbar. Möglich und - einzig - sinnvoll ist allerdings der Bezug auf Punkt 2 (Teilhabe der Leistungen der Rehabilitationsträger) oder Punkt 3 (zur Sicherung des Behandlungserfolges) oder Besetigung von Zweifeln an der Arbeitsunfähigkeit.

    Entschuldigung für die Länge des Beitrages!

    Medman2

  • ok, da bin ich ja mal gespannt, ab wann die ersten KKen auf diesen Zug aufspringen:

    Burk, Überbelegung im stationären Sektor: Die Planbettenzahl als quantitative Grenze der Leistungsberechtigung von Krankenhäusern, in NZS, 2017, 212-217 (kostenpflichtig)
    Der Kollege verweist darauf, dass bei einer Überbelegung von Planbetten kein Vergütungsanspruch des KH besteht und zeigt theoretische Möglichkeiten auf, mit denen durch statistische Auswertungen bzw. Einzelfallprüfungen der Nachweis einer Überbelegung zu führen wäre...

  • der 1. Senat war gestern mal wieder am Zug und der Terminbericht ist nun online:

    fiktiv-wirtschaftlich gilt auch, wenn der Patient vor einer OP entlassen wird, um noch eine Zweitmeinung einzuholen; etwas zur FZF, Zahlungsansprüche bei Leistung durch unzuständige Kasse und natürlich wird die AWP wieder abgewiesen... :|

  • Offenbar ist die Sache mit der 3 oder 4-jährigen Verjährungsfrist immer noch nicht durch: eine Kammer des SG Speyer schließt sich weiterhin der Auffassung des SG Mainz an und stellt sich gegen das BSG. Im Hinblick darauf, dass insoweit die Einheitlichkeit der Rechtsprechung nicht gewährt ist, wodurch sich letztlich regionale Verjährungsfristen ergeben, stellt sich die Frage ob hier nicht der Gesetzgeber kurzfristig klarstellend eingreifen sollte, um den Streit zu befrieden und für Rechtssicherheit auf beiden Seiten zu sorgen - ich habe jedenfalls wenig Lust, mir hier für jeden Gerichtsbezirk unterschiedliche Fristen zu notieren... :|

  • document.py?Gericht=bsg&Art=en&Datum=2017&nr=14587&pos=1&anz=8

    B1KR 3/16

    Hallo zusammen,

    Ich habe die gerade veröffentlichte Urteilsbegründung des BSG im o.g. Verfahren inzwischen dreimal mit zeitlichem Abstand gelesen, werde aber immer noch nicht richtig schlau daraus...
    Konkret hätte ich 2 Fragen:

    • Kennt jemand den medizinischen Hintergrund des Falles? Mich interessiert insbesondere, warum das BSG entgegen der KHS und MDK-Empfehlung die Hauptdiagnosen des 2. und 3. Falles geändert hat und damit zu einer Fallzusammenführung gemäß FPV kam.
    • Bedeutet der Abschnitt13
      Die Beklagte macht die sachlich-rechnerische Unrichtigkeit der Kodierung des zweiten und dritten Krankenhausaufenthalts unter Missachtung des § 2 FPV 2007 geltend (zu Abgrenzung vgl BSG Urteil vom 10.3.2015 - B 1 KR 3/15 R - Juris RdNr 16 ff = USK 2015-6; BSG Urteil vom 28.3.2017 - B 1 KR 29/16 R - RdNr 11, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen). Eine Verfristung der Prüfanzeige ist hierfür ohne Belang
    • dass jede Kodierprüfung auf Basis der FPV ohne Prüfanzeige erfolgen darf und nur Fragen zur Wirtschaftlichkeit einem Beweisverwertungsverbot bei Verstoß gegen die Fristen unterliegen?

    Ich bin gerade etwas ratlos

    Mit freundlichen Grüßen

    Breitmeier

  • Hallo Herr Breitmeier,

    ad 2.: so meinte es wohl der 1. Senat des BSG.

    Allerdings existiert seit 1.1.2016 der neue § 275 Abs. 1c Satz 4:

    • "Als Prüfung nach Satz 1 ist jede Prüfung der Abrechnung eines Krankenhauses anzusehen, mit der die Krankenkasse den Medizinischen Dienst beauftragt und die eine Datenerhebung durch den Medizinischen Dienst beim Krankenhaus erfordert."

    Dieser gilt ausweislich des gesetzgeberischen Willens (S. 110) für jedwede Prüfung einer Abrechnung, bei der beim Krankenhaus Unterlagen angefordert werden.

    Inwieweit dies eine Klarstellung oder eine erst ab 1.1.2016 gültige Regelung darstellt, ist umstritten.

    Da der 1. Senat Gesetze entgegen dem gesetzgeberischen Willen (S. 171)

    • " Mit der Pauschale wird eine vereinfachte, aber unbürokratische Regelung verfolgt. Sie kann deshalb keine Detailgerechtigkeit in jedem Einzelfall gewährleisten."

    auslegt, aus seiner Sicht folgerichtig, da er geltendes Gesetz als Straftatbestand klassifiziert (BSG vom 25.10.2016, B 1 KR 18/16 R, RNr. 35), darf man gespannt sein, ob und wie eine Beurteilung durch das Bundesverfassungsgericht im Rahmen der gegenwärtig anhängigen Klagen ausfällt.


    Viele Grüße

    Medman2