Unterstützung der KK bei evtl. mangelnder Pflegequalität

  • Hallo Herr Horndasch,
    hallo Herr Merguet,

    Sie weisen beide auf § 116 SGB X als Anspruchsgrundlage für einen Anspruch der KK auf Akteneinsicht hin. Diese Anspruchsgrundlage gibt es natürlich, aber Sie müssen eine Besonderheit in dem Urteil des BGH vom 23.03.2010 (VI ZR 327/08) beachten, von dem ich vermute, dass Sie sich darauf beziehen. Berichtigen Sie mich bitte, wenn ich da falsch liege.

    Der 6. Senat hatte über einen Fall zu entscheiden, in dem die KK Einsicht in die Akten eines Pflegeheims nehmen wollte. Der Senat hat zutreffend festgestellt, dass § 294a SGB V auf Pflegeheime nicht anwendbar ist. Ausweislich des Gesetzestextes \"sind die an der vertragsärztlichen Versorung teilnehmenden Ärzte und Einrichtungen sowie die Krankenhäuser nach § 108 verpflichtet\" die entsprechenden Mitteilungen zu machen oder Auskunft zu erteilen. Pflegeheime sind gerade nicht ärztlich geleitete Einrichtungen. Der Senat weist darauf hin, dass in der Literatur eine analoge Anwendung der Vorschrift auf Pflegeheime befürwortet wird, legt die Vorschrift aber dann nicht dahingehend aus. Braucht er auch nicht, denn er hat in § 116 SGB X i.V.m. §§ 401 analog, 412 BGB eine vertretbare Lösung für das Problem gefunden.

    Nach meiner Auffassung ist die Lösung über § 116 SGB X i.V.m. §§ 401 analog, 412 BGB aber nur in den Fällen praktikabel, in denen die KK eine nicht-ärztliche Einrichtung angeht und ich meine, dass würde in der Entscheidung auch durchklingen. Für die in § 294a SGB V Abs. I Satz 1 a.E. genannten Einrichtungen dürfte diese Lösung ausscheiden, denn § 294a SGB V sollte als speziellere Regel Vorrang vor der allgemeinen schuldrechtlichen Lösung über § 116 SGB X i.V.m. §§ 401 analog, 412 BGB haben.

    Diese Unterscheidung mag unnötig spitzfindig erscheinen, führt aber in der Konsequenz dazu, dass Sie eine auf § 116 SGB X basierende Anfrage der KK (natürlich nur, wenn Sie meine Auffassung für zutreffend halten) pauschal zurückweisen können und im Falle eines Rechtsstreits der Weg zu den der Thematik sachlich näher stehenden Sozialgerichten eröffnet ist.

    Weiterer Vorteil ist, dass Sie sich nicht mit den Fragen einer tatsächlichen oder mutmaßlichen Einwilligung \"rumschlagen\" müssen. Sie könnten sich - sehr salopp gesagt - auf den Standpunkt stellen: \"Ich machs als § 108- KH nur nach § 294a SGB V und da musst du KK mir erst mal ordentlich was konkretisieren.\"

    Mit freundlichen Grüßen
    DRGRecht

  • Hallo DRGRecht,
    Einspruch:
    der 6. Senat hat dargeelgt, dass jedem Heimbewohner genauso wie jedem Krankenhauspatienten ein Einsichtsrecht in seine Unterlagen zusteht.
    Gemäss 116 SGB X geht dieses Recht unter bestimmten Umständen auf die Krankenkasse über.
    Anspruchsrundlage ist also nicht ein Einsichtsrecht der Krankenkasse sondern das (wohl auch hier nicht bestrittene) Einsichtsrecht des Betroffenen, wleches nur übergeht.
    Im Urteil ist hier die Randnummer 6 interessant, wo ein Heimbewohner expressis verbis einem Patienten gleich gestellt wird.

    Auf Gegenargumente bin ich gespannt.

    Herzliche Grüsse aus Mittelfranken
    E. Horndasch

  • Hallo Herr Horndasch,

    das alles mag rechtens sein (wobei die \"bestimmten Umstände\" gemäß 116 SGB X geklärt sein müssten).

    Ich hatte dem Post allerdings eher das reine Interesse der Krankenkasse OHNE Kenntnis des Patienten entnommen: \"Anschreiben einer KK mit der Bitte um Übersendung Entlassberichtes, da die Aufnahmediagnose für den stationären Fall (E86) auf eine mangelnde Pflegequalität eines Heimes hinweisen könnte.\"
    Der Zusatz \"In Absprache mit dem Patienten....\", \"Auf Wunsch des Patienten...\" o.ä. könnte für Klarheit sorgen, das Krankenhaus zur Einsichtnahme des Betroffenen (oder des Bevollmächtigten nach Vorlage der schriftlichen Entbindung von der Schweigepflicht) veranlassen.

    Mit freundlichen Grüßen

    Lunge - Internist / Pneumologe

  • Hallo zusammen,
    grundsätzlich verlangt § 116 SGB X keine Einwilligung, Kooperation oder sonstiges des betroffenen Patienten. Der Schadensersatzanspruch des Patienten geht direkt auf die KK über, wenn diese einen begründeten Verdacht auf einen drittverursachten \"Schaden\" hat. Für das KH ist das aber sicherlich sehr schwierig zu beurteilen und von daher wären ergänzende Hinweise der KK zumindest hilfreich.

    Viele Grüße

    Michael Bauer :)
    Krankenkassenbetriebswirt

  • Hallo zusammen,

    was das Akteneinsichtrecht eines Leistungsempfängers angeht, haben Sie, Herr Horndasch, natürlich Recht. Dieses Recht steht jedem Einzelnen schon aufgrund des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 I i.V.m. Art 1 I GG) zu. In seine eigenen, bei einem Dritten geführten Sozialdaten darf der Betroffene grundsätzlich einsehen. Eine weitere sehr wichtige Ausprägung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung ist es, dass der Betroffene Dritte von der Kenntnis dieser Daten ausschließen kann (oder können müsste). Daher stellt sich stets die Frage nach der Zulässigkeit von Datenerhebung, Datenverarbeitung und Datennutzung.

    In dem Urteil geht es streitgegenständlich um die Datennutzung, unter die die Weitergabe von Daten fällt. Ziel des Sozialdatenschutzes sollte es zumindest sein, jeden Umgang mit (personenbezogenen) Sozialdaten als grundsätzliches Verbot mit Erlaubnisvorbehalt auszugestalten. Die Realität sieht leider anders aus. Dennoch bleibt die Frage: Wer darf welche Daten erheben, verarbeiten, nutzen.
    Konkret: Darf das KH Daten übermitteln? Darf die KK übermittelte Daten verarbeiten? Jeder an einem Sozialrechtsverhältnis Beteiligte muss von sich aus prüfen, ob der Umgang mit den Daten rechtmäßig ist.
    Konkret: Die KK muss prüfen, ob sie die Daten anfordern darf. Das KH muss prüfen, ob es die Daten auf Anforderung übermitteln darf. Bedenken Sie bitte, dass Sie das Recht auf informationelle Selbstbestimmung des Patienten schützen, der von den Vorgängen zumeist nichts mitbekommt und seine Rechte selber nicht verteidigen kann.

    An welchem Maßstab prüfen Sie jetzt diese Fragen? Welche Ermächtigungen gibt es für Eingriffe in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung? Gesetzliche Regelungen sind dünn gesäht und, wie am Beispiel des § 294a SGB V zu erkennen, viel zu oft nur wenig hilfreich. Die Rechtssprechung ist in diesem vergleichsweise jungen Rechtsgebiet in einem stetigen Wandel. Ob das Urteil eine Hilfe ist, sei dahingestellt.

    Unter den Randnummern 5-7 fasst der Senat die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts zusammen. Es war der Auffassung, ein \"Einsichtsrecht der Klägerin [KK] ergebe sich nicht aus § 116 Abs. 1 Satz 1 SGB X in Verbindung mit §§ 401, 412 BGB\" (Rn.6).
    Der Senat hat diese Rechtsauffassung verworfen und geht davon aus, dass \"dem Krankenversicherer [...] grundsätzlich ein Anspruch auf Herausgabe von Kopien der Pflegedokumentation aus übergegangenem Recht gemäß § 116 Abs. I SGB X in Verbindung mit §§ 401 Abs. 1 analog, 412 BGB, wegen eines möglichen Schadensersatzanspruchs der Versicherten [....]\" zustehe.

    Es drängt sich die Frage auf, ob die zitierten Normen eine Ermächtigungsgrundlage für den Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung darstellen. Die §§ 115 ff. SGB X regeln Erstattungs- und Ersatzansprüche der Leistungsträger gegen Dritte, § 116 SGB X regelt Ansprüche gegen Schadensersatzpflichtige. Nach dem Wortlaut der Norm geht der \"Anspruch auf Ersatz eines Schadens [...] auf den Versicherungsträger [...] über, soweit dieser auf Grund des Schadensereignisses Sozialleistungen zu erbringen hat, [...]\". Die §§ 115 ff. SGB X behandeln \"nur\" den Übergang eines bestimmten Teils des Schadens unter bestimmten Voraussetzungen. Der Anspruch auf Akteneinsicht ist nicht ausdrücklich geregelt (eigentlich ja auch nicht in § 294a SGB V, der auch schon dahingehend erst ausgelegt werden muss).

    Jezt kommt der Griff in die Trickkiste. Der Senat wendet § 401 Abs. I BGB entsprechend an (§ 412 BGB ist hier von untergeordneter Bedeutung). § 401 BGB regelt den Übergang von Neben- und Vorzugsrechten, die einer übergegangenen Forderung folgen. Eine direkte Anwendung ist beim besten Willen nicht möglich. Der Senat sagt einfach, bei dem Akteneinsichtsrecht handele es sich um ein Nebenrecht, da das Akteneinsichtsrecht der Sicherung der (nach § 116 SGB X übergegangenen) Forderung diene (RN 13 ff.). Erlauben Sie mir eine persönliche Anmerkung: Der Sicherung der Forderung hat der Senat gewiss gedient; hat er aber auch dem Datenschutz als Individualrechtsgut des Betroffenen genügend Rechnung getragen?

    Es dar freilich nicht übersehen werden, dass die Gerichte in einem konkreten Streit um eine Entscheidung gebeten werden. Den Parteien ist nicht gedient, wenn ein Urteil auf höchstem juristischen Niveau ergeht, dass hinterher nicht \"gerecht\" ist. Der Schaden ist da, die KK hat bezahlt und der Schädiger soll sich ja eigentlich auch nicht hinter dem informationellen Selbstbestimmungsrecht des Geschädigten verstecken können. Sonst könnte man - den Gedanken konsequent weitergeführt - zu dem Ergebnis kommen, dass die Verweigerung der Mitwirkung an der Schadensregulierung treuwidrig wäre und der Geschädigte seinen Schaden selbst zu tragen habe. Zumindest widerspräche es allen Rechtsgrundsätzen, wenn die KK in dieser Konstellation auf dem Schaden sitzen bliebe. Der Senat wollte § 294a SGB V nicht (doppelt-) analog anwenden und musst sich deshalb \"was stricken\", womit er dann zu einer durchaus praktikablen und dem Rechtsempfinden entsprechenden Lösung gekommen ist. Aber er hat - das ist meine sehr subjektive Ansicht - die Buckelpiste genommen.

    Ich bleibe bei der Auffassung, dass auf ein KH die Normenkette des BGH nicht anwendbar ist. Hier hat § 294a SGB V analog Vorrang. Für Leistungserbringer, die nicht in seinen Anwendungsbereich fallen, halte ich eine (doppelt-) analoge Anwendung für vorzugswürdig, denn die Norm soll dem Datenschutz dienen, was die vom BGH angewandten Normen nicht vorsehen.

    Ich fürchte, ich bin ins Erzählen geraten und habe die eigentliche Problemstellung aus dem Blick verloren. Aber ich glaube, Herr Horndasch, wir sind im Grund mit unseren Auffassungen auf einer Linie. Wenn ich falsch liege, korrigieren Sie mich bitte.

    Was die Nachweispflichten der KK angeht, so glaube ich fast, dass ihr die Anwendung des § 294a SGB V entgegen kommen müsste, denn, Herr Bauer, Sie müssen \"nur\" die Anhaltspunkte konkretisieren (was gewiss schon schwer genug ist) und dabei Ihre datenschutzrechtlichen Verpflichtungen beachten. Gehen Sie nach § 116 SGB X i.V.m. §§ 401 analog, 412 BGB vor, so müssen Sie dessen Voraussetzungen nachweisen, was u.U. schwerer sein kann. Aber das ist nur eine Vermutung, die zu überprüfen gewiss reizvoll wäre.

    Mit freundlichen Grüßen
    DRGRecht

  • Hallo,
    ich habe da auch nochmal eine Frage. Folgender Fall.
    Patient kommt mit einer Analfistel. Entlassung nach einer Woche mit Einschaltung ambulanter Pflegedienst für 3x tgl. VW.
    Nach 5 Tagen kommt Patient erneut mit Dekubitus 4. Grades am Sitzbein. Die KK hat den Pflegedienst duch den MDK wg. Behandlungsfehler prüfen lassen. Wir haben nicht davon mitbekommen, da von uns keine Unterlagen angefordert wurden. Heute bekomme ich eine ANFM über DTA, dass der MDK im Rahmen dieser Behandlungsfehlerprüfung festgestellt hat, dass unsere HD falsch ist und wir die Rechnung ändern sollen. Muss ich darauf reagieren ?
    Ein MDK wurde nach § 275 nicht eingeschaltet und die 6 Wochen Frist ist lange vorbei.
    Gruß aus Westfalen

  • Tag, Frau Wagener,

    Sie müssen nicht reagieren.
    - weil die Meldung nur über DTA kam
    - weil die 6 Wochen Frist abgelaufen war
    - weil Ihr KH-Fall nicht überprüft worden ist
    - weil Ihre Unterlagen dem MDK nicht vorgelegen haben.

    Gruß

    merguet

  • Tagchen,
    ich stimme merguet uneingeschränkt zu. Das war nach dem Motto \"Probieren wirs halt mal\"

    Viele Grüße

    Michael Bauer :)
    Krankenkassenbetriebswirt

  • Hallo merguet,

    dem stimme ich natürlich auch zu.

    Für mich wirft sich an dieser Stelle die Frage auf, ob diese, im Grunde hochsensiblen Datensammlungen, in dieser Art und Weise abgefragt werden dürfen.

    In einem Arbeitsverhältnis würde ich dies als Mobbing 4. Grades bezeichnen.

    Gruß
    JP