• Hallo Herr Cardiot,

    1. habe ich bereits an anderer Stelle erwähnt, dass ich nebenher Rettungsassistent bin (Ausbildung zum Rettungssanitäter und durch Nachweis von 2.000 Dienststunden Anerkennung als Rettungsassistent / das ging bis 1993!). Im Rahmen der Ausbildung habe ich ein vierwöchiges Praktikum auf der internistischen Intensivstation eines Krankenhauses der Maximalversorgung absolviert. Da diese Station auch das Personal für die Notaufnahme stellte, glauben Sie mir, dass ich mehr als eine Nacht dort verbracht habe.

    Im Gegensatz dazu glaube ich nicht, dass Sie auch nur einen Tag die Wünsche, Bedürfnisse und das Anspruchsdenken der gesetzlich Versicherten in einer deutschen Krankenkasse hautnah erlebt haben.

    Wir müssen uns davon trennen, dass die Krankenkasse immer dann zuständig ist, wenn keiner anderer zuständig ist. Die Kritiker der Gesundheitsreförmchen der letzten Jahre sagen immer "erst mal weg mit den versicherungsfremden Leistungen", verlangen aber, dass im von Ihnen geschilderten Fall aufgrund Tag und Uhrzeit, sowie sozialer bzw. familiärer Umstände die gesetzliche Krankenversicherung belastet wird.

    Verstehen Sie mich bitte nicht falsch, aber es gibt in meinem Alltag viele, viele menschlich nachvollziehbare Anträge, Wünsche, die ich fachlich aber nicht nachvollziehen darf und die sich in der gesamten Solidargemeinschaft multiplizieren und auch wirtschaftlich nicht unbedeutend sind.

    Ich erwarte von einem Partner im Gesundheitssystem, dass er neben dem Einzelfall nie das Gesamte aus dem Auge verliert. Schließlich leben wir in und von diesem System - entsprechend sollten wir es achten und seine Regeln befolgen. Und so muss ich als Schlusswort leider nochmal betonen, dass der von Ihnen geschilderte Fall nicht als Krankenhausbehandlung abrechenbar ist!

    Gruß und schönes Restwochenende (wenigstens noch zwei Stunden),


    ToDo
    In

    Freundliche Grüße


    ToDo

    Wir lieben die Menschen, die frisch heraus sagen, was sie denken - falls sie das gleiche denken wie wir.
    (Mark Twain)

  • Hallo Forum,

    als "halber" Arzt (Innere) und Medizincontroller kann ich die geschilderte Problematik sehr gut nachvollziehen.

    ToDo: Wenn man die Angehörigen oder den Hausarzt höflich darauf aufmerksam macht, dass Abwesenheit der pflegenden Person keine Aufnahmeindikation darstellt, kann man ganz schön 'was erleben. Von Äusserungen wie "wir haben ja schliesslich jahrelang einbezahlt" bis "ich gehe an die Öffentlichkeit" ist von Seiten der Versicherten alles drin. Meiner Erfahrung nach hilft nur zu sagen, dass die Kasse bei nicht vorhandener med. Indikation nicht bezahlt und sie natürlich gerne das Bett und die Pflege in Anspruch nehmen können, jedoch mit einer Rechnung von rund 250.- €/ Tag, die sie privat begleichen müssen. Auf diese Art wird die Suche nach einem Pflegeplatz stark beschleunigt. Dass die Hausärzte, die Einweisen, gegenüber einem solchen Anspruchsdenken irgendwann nachgeben kann ich gut verstehen (auch wenn ich es nicht für richtig halte). Manche Kollegen sagen einem aber auch: "suchen Sie sich eine Diagnose aus, der Pat. hat ja genug...." Das stimmt bei so alten Menschen auch fast immer. Ich denke hier müssen die niedergelassenen Kollegen für gegenüber dem Abrechnungdilemma in dem wir stecken sensibilisiert werden.

    Ich habe erst zweimal - und das tagsüber- die Aufnahme eines solchen pat. abgelehnt. In diesen Fällen konnte aber eine andere Lösung gefunden werden. Im Nachtdienst hat man keine Chance! Wir informieren in solchen Fällen direkt die Kasse oder sogar den MdK. Erstaunlicher Weise haben wir damit ganz gute Erfahrungen gemacht.

    Meiner Meinung nach werden sich solche Fälle in Zukunft eher noch häufen in einer Gesellschaft in der fast jeder nur auf seinen eigenen Vorteil bedacht ist/ bzw. seine eigenen Interessen verfolgt und keiner bereit ist Opfer für andere zu bringen. Daher sollte dieses wirklich riesige Problem diskutiert werden und nach praktikablen Lösungen gesucht werden. Dieses Beispiel zeigt auch, dass die DRG's die tatsächliche Situation nicht (immer) adäquat aufzeigen.

    eki

  • Hallo Eki,

    Zitat

    [...]
    Meiner Meinung nach werden sich solche Fälle in Zukunft eher noch häufen in einer Gesellschaft in der fast jeder nur auf seinen eigenen Vorteil bedacht ist/ bzw. seine eigenen Interessen verfolgt und keiner bereit ist Opfer für andere zu bringen. [...]

    Dies schildert auch nur einen Ausschnitt. Es gibt solche Situationen, in denen eher auf den eigenen Vorteil geachtet wird. Allerdings sind sicher die meisten Pflegesituationen (häusl.) dem Pflegebedürftigen gegenüber wohlgemeint. Nur zu häufig wird dabei vergessen, dass Pflege körperlich und vor allem psychisch belastend ist. Wir dürfen nicht vergessen, dass ein 80jähriger oftmals von schon 60jährigen auch nicht mehr ganz gesunden Kindern gepflegt wird. Eine professionelle Distanz, wie auf Krankenhausstationen möglich ist, ist den "Kindern" zu Hause unmöglich aufzubauen. Ich sehe hier viele Hilferufe der Pflegenden, auch wenn sie durch eine Art Anspruchshaltung offenbar werden.

    Allerdings ist das Krankenhaus nicht der richtige Ort für solche Hilfe und die Krankenkasse sicher auch nicht der richtige Kostenträger. Die Mittel, welche von der Solidargemeinschaft über die Pflegeversicherung zur Verfügung gestellt werden, reichen kaum für die nötigste Grundpflege. Daher stimme ich Ihnen zu, dass sich diese Situationen noch häufen werden. Ich sehe hier noch erheblichen Erklärungsaufwand auf die Krankenhäuser zukommen, einen alten unversorgten Menschen des Nachts nicht abgewiesen zu haben. :shock1:

    MfG, Andreas Linz

  • Hallo, liebe Vorschreiber/-innen!

    Spannend finde ich, dass bei Fällen dieser Art (und dass
    der beschriebene Fall gelebter Alltag in Kliniken ist,
    steht außer Frage) zwei Dinge miteinander verwoben werden,
    die eigentlich nicht zusammengehören, sondern völlig
    seperat zu sehen sind:

    1) Die Frage der Notwendigkeit einer stat. Aufnahme. Hier
    gibt es selbstverständlich neben den medizinischen
    Indikationen auch soziale Indikationen. Sie können eben
    Freitags um 20.00 Uhr keinen unversorgten Patienten auf die
    Straße schicken.

    2) Die Frage, wer die Krankenhausleistung bezahlt. In
    Deutschland herrscht der cerebrale Automatismus, dass in
    dem Moment, in dem der Patient im Krankenhaus verbleiben
    muss (egal aus welchem Grund!), automatisch eine
    Krankenkasse dies auch bezahlen muss. Weit gefehlt: Laut
    den Krankenhauspflegerichtlinien (Punkte 4.1 und 4.2)
    beschränkt sich die Leistungspflicht der Krankenkassen eben
    nur auf die medizinischen Indikationen, bei den anderen
    explizit benannten Indikationen (Pflegefall, soziale
    Indikation, Schönheitsoperation, Unterbringung aus Gründen
    der öffentlichen Sicherheit und Ordnung)müssen diese
    Leistungen eben von anderen Trägern bzw. dem Pat./ den
    Angehörigen selbst bezahlt werden. Es gilt jedoch im
    Krankenhaus oftmals noch als Sakrileg dies bei den
    Angehörigen offen anzusprechen:
    Wir erbringen hier eine Leistung, die nicht zu den
    Aufgaben deiner Krankenkasse gehört und dafür musst
    du uns bezahlen, wenn du willst, dass wir diese Leistung
    erbringen.

    Insofern kann hier den betroffenen Krankenhäusern nur
    empfohlen werden mit offenen Karten zu spielen und vor
    allem sich mit offenen Worten direkt an die Angehörigen
    zu wenden.

    Einen schönen Arbeitstag noch wünscht

    MSch
    --
    Alle Wahrheiten sind Halbwahrheiten. Sie als volle Wahrheiten zu behandeln heißt den Teufel spielen.

    Alfred North Whitehead
    (1861 - 1947), englischer Philosoph und Mathematiker

    Alle Wahrheiten sind Halbwahrheiten. Sie als volle Wahrheiten zu behandeln heißt den Teufel spielen.

    Alfred North Whitehead
    (1861 - 1947), englischer Philosoph und Mathematiker

  • Hallo Forum, insbesondere MSch,

    danke für die Trennung der Diskussion in die zwei von Ihnen geschilderten Bereiche. Das ist auch in meinen Augen DAS Problem in der Praxis.

    Außerdem freue ich mich über das "Coming Out" eines MDK-Arztes und hoffe auf konstruktive Diskussionen.

    Gruß,


    ToDo


    "Erst hatte ich kein Glück, und dann kam auch noch Pech dazu"

    Jürgen "Kobra" Wegmann
    (Ex-Fußballprofi)

    Freundliche Grüße


    ToDo

    Wir lieben die Menschen, die frisch heraus sagen, was sie denken - falls sie das gleiche denken wie wir.
    (Mark Twain)

    • Offizieller Beitrag

    Herzlich willkommen im Forum MSch,

    es ist schön, dass hier nun auch die MDK-Sicht eingeht.
    Ich hoffe, Sie werden sich rege beteiligen. In diesem Zusammenhang würde ich gerne auch Ihr Augemmerk auf diesen Thread (Hauptdiagnose) lenken. Ihre Ansicht interessiert bestimmt nicht nur mich.

    Zitat

    Original von MSch:
    Alle Wahrheiten sind Halbwahrheiten. Sie als volle Wahrheiten zu behandeln heißt den Teufel spielen.
    Alfred North Whitehead
    (1861 - 1947), englischer Philosoph und Mathematiker


    Sie werden sich auf dieser Ebene (Zitate) bestens mit Herr Rembs verstehen (Hallo Herr Rembs).

    Gruß
    --
    D. D. Selter

    Mit freundlichen Grüßen

    D. D. Selter

    Ärztlicher Leiter Medizincontrolling

    Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik Murnau

  • Schönen guten Tag allerseits!

    Auch wenn ich MSch grundsätzlich Recht gebe, in vielen Fällen ist die Situation jedoch komplexer:

    Es ist ja oft nicht so, dass gar keine medizinischen Gründe für die stationäre Behandlung vorlägen. Die Frage (und unterschiedliche Bewertung zwischen MDK und Krankenhaus) ist oft nur, ob eine ambulante Behandlung “unter geeigneten Rahmenbedingungen“ nicht auch möglich wäre.

    Leider sind die „geeigneten Rahmenbedingungen“ eben doch oft nicht vorhanden, was der MDK jedoch bewusst nicht berücksichtigt (er habe nur die medizinischen Kriterien zu klären), während die Krankenkasse sich stur auf das Ergebnis des Gutachtens stützt.

    Um es auf eine politische Ebene zu bringen: Wenn das politische Ziel eine Kosteneinsparung in dem einen Sektor ist, muss man den anderen Sektor stärken. Wenn also die stationären Behandlungen zurückgehen sollen, muss man die ambulante Behandlung fördern.

    Zur Zeit wird jedoch in beiden Sektoren gespart. Die Folge ist, dass insbesondere die Problempatienten zwischen den Sektoren hin und her geschoben werden. Dies führt aber lediglich zu einer Kostensteigerung, zu Abrechnungsstreitigkeiten und zu einer schlechtern Versorgung dieser Patienten.

    Schönen Tag noch,
    --
    Reinhard Schaffert

    Medizincontroller
    Facharzt für Chirurgie
    Krankenhausbetriebswirt(VWA)
    Kliniken des Wetteraukreises

    • Offizieller Beitrag

    Hallo,

    Hallo M Sch.
    Schön, daß sich Sie sich hier beteiligen.

    Zitat


    Original von MSch:
    Sie können eben Freitags um 20.00 Uhr keinen unversorgten Patienten auf die
    Straße schicken.


    Genau das ist der Punkt!!!
    Welcher verantwortungsvolle Arzt kann z.B. Freitag 20 Uhr einen Patienten (alt, gebrechlich, hilflos, unversorgt, alleine lebend, dement) seinem Schicksal überlassen?
    (unterlassene Hilfeleistung)
    Ein politisches und gesellschaftliches Problem kann nicht durch den Krankenhausarzt gelöst werden.


    Zitat


    Original von MSch:
    Die Frage, wer die Krankenhausleistung bezahlt. Es gilt jedoch im
    Krankenhaus oftmals noch als Sakrileg dies bei den Angehörigen offen anzusprechen:
    Wir erbringen hier eine Leistung, die nicht zu den Aufgaben deiner Krankenkasse gehört und dafür musst du uns bezahlen, wenn du willst, dass wir diese Leistung erbringen.


    Was ist konkret zu tun?
    Hier brauche ich Ihren Rat!

    In dieser Ausnahmesituation die Frage stellen (etwas überspitzt formuliert): „Geld oder Leben“ ?
    a) Ethisch-moralisch bedenklich?
    b) Ist das nicht Nötigung bzw. Erpressung?


    Zitat


    Original von MSch:

    Alle Wahrheiten sind Halbwahrheiten. Sie als volle Wahrheiten zu behandeln heißt den Teufel spielen.

    Alfred North Whitehead
    (1861 - 1947), englischer Philosoph und Mathematiker


    Danke für das Zitat!


    Teufel

    Der Teufel maskiert sich, entwickelt Rechtfertigungstheorien, er gefällt sich in Disharmonie, er gibt kein Terrain kampflos preis....
    Das Böse (der Teufel) ist vor allem ein Begriff aus dem religiösen Bereich. Von vielen Menschen wird „böse“ mit "Unmenschlichkeit" gleichgesetzt.


    Wahrheit
    Wenn ich MDK Gutachten bzw. sozialmed. Stellungnahmen (häufig aus der ex post Sicht) lese, habe ich häufig den Eindruck es gibt nur eine Wahrheit.

    Und ist es nicht auch eine Wahrheit, daß die MDK Stellungnahmen immer mehr und immer komplizierter begründete Urteile hervorbringen, aber immer weniger Gerechtigkeit?


    Herzliche Grüße

    E Rembs

  • Hallo Forum,

    ich habe noch einen schönen Fall, den wohl jeder, der in einer größeren Stadt (mit den dazugehörigen Pennern)arbeitet kennt:

    (quote)
    ______________________________________________________________________
    Der Patient ließ sich am ...gegen 0.10 Uhr in deutlich alkoholisiertem Zustand mit dem Taxi vom Stadtbahnhof in unsere Klinik bringen. Er gibt an, dass er eigentlich von A mit dem Zug nach B hätte fahren wollen, sei dann aber eingeschlafen und schließlich in xyz angekommen, wo er jetzt einen Schlafplatz suche.

    Körperlichen Untersuchungsbefund bis auf leicht schwankenden Gang bei Alkoholmissbrauch unauffällig.

    Trotz 45-minütigen Bemühens der diensthabenden Ärztin war es nicht gelungen, für den Patienten eine Unterkunft zu finden, so dass für die Nacht eine stationäre Aufnahme erfolgte.

    Am nächsten Morgen verschwand der Patient früh aus unserer Klinik ohne von der Stationsärztin gesehen werden zu können.
    ______________________________________________________________________

    Keine Indikation zur stat. Aufnahme gegeben, ausser vielleicht Selbstgefährdung bei 3,7 Promille.... Erfahrungsgemäss häufen sich jetzt diese Fälle wo es wieder häufiger regnet und kälter wird. Die Burschen haben auch oft Krankheiten, die sie verschleppen und je nach Bedarf (aggressiv) aus dem Zylinder zaubern.
    Wie gehen andere damit um?

    Gruß
    Eki

  • Guten Morgen,

    ich möchte das Thema gerne noch einmal aufleben lassen, da es ja nunmehr fast 13 Jahre alt ist, aber nach wie vor aktuell.
    Wir haben eine Geriatrie im Haus und doch nicht selten Notaufnahmen, bei denen Angehörige mit aufgenommen werden müssen, weil sich nachts keine Lösung findet.
    Selbst Kurzzeitpflegeplätze sind selten kurzfristig aufzutreiben.
    Prüfgrund der Kasse später "soziale Indikation?, Ehepartner ebenfalls stationär...".
    Hier steht man als Arzt sicher zwischen den Stühlen.
    Auch bei Einweisungen von Eheleuten über Hausärzte ist eine Ablehnung recht schwierig. Verprellte Hausärzte=weniger Einweisung etc., Angehörige, die die Klinik verklagen wollen-schlechter Ruf - ?( Irgendwie ein unlösbarer Kreislauf.
    Ich würde mich über ein paar Beiträge hierzu sehr freuen.

    Viele Grüße
    NaSchu

  • Hallo NaSchu

    Wenn Sie unter Marketing- Gesichtspunkten Kundenpflege betreiben, ist das doch in einem marktwirtschaftlich organisierten Betrieb okay. Sie sollten fairerweise halt nur nicht unbeteiligten Dritten (also einer Kasse z.B.) die damit verbundenen Kosten aufbürden...

    Mit freundlichen Grüßen

    Breitmeier