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Bezug zum ärztlichen Alltag längst verloren

Bundesgesundheitsminister präsentiere der Öffentlichkeit digitale Luftschlösser (Freie Ärzteschaft).



Auf einer Pressekonferenz im Rahmen der vom Bundesgesundheitsministerium organisierten Health Data Conference konkretisierte Minister Karl Lauterbach kürzlich seine Pläne für ein „modernstes Digitalsystem“ Europas, das er hierzulande aufbauen möchte – und seitdem mehren sich Kritik und Zweifel an
deren Umsetzbarkeit und auch am Minister selbst. Auch die Freie Ärzteschaft
zeigt sich fassungslos; nicht zuletzt aufgrund der angekündigten Honorierung
von 10 Euro für die Erstbefüllung der elektronischen Patientenakte (ePA) und
den Plänen, die Telemedizin beliebig auszuweiten.

Wieland Dietrich, Vorsitzender der Freien Ärzteschaft, nimmt kein Blatt vor den
Mund: „Das sind digitale Luftschlösser, die uns ein Gesundheitsminister
präsentiert, der offenbar im ,Wolkenkuckucksheim‘ sitzt und den Bezug zum
ärztlichen Alltag und zu den Sorgen und Nöten der Patientinnen und Patienten
längst verloren hat!“

Völlig realitätsfern und mitunter gefährlich: ePA-Erstbefüllung für 10 Euro
Die Vertragsärztinnen und -ärzte für die Erstbefüllung der elektronischen
Patientenakte mit 10 Euro zu honorieren, empfindet der Essener Dermatologe als
„Missachtung des Aufwandes“, der mit dieser verantwortungsvollen Aufgabe
verbunden sei. Und nennt zum Vergleich die 13 Euro, die beispielsweise die
Erstellung eines amtlichen Führungszeugnisses koste, und das quasi per
Knopfdruck aus dem Drucker komme. Solch eine Datenbefüllung sei aufwändig,
aufgrund der Schweigepflicht mit dem Patienten abzustimmen und für 10 Euro
schlichtweg nicht zu leisten, so Dietrich weiter. Er befürchte daher qualitativ
schlechte Dateneingaben mit fraglichem Nutzen und sogar Risiken für diejenigen,
die darauf zugriffen und sich auch darauf verließen. „Da sehe ich ein hohes
Gefahrenpotenzial, am Ende ist der Patient der Leidtragende, ebenso wie bei den
Datensicherheitsrisiken“, warnt der Vorsitzende der Freien Ärzteschaft.

Fernbehandlung ist nicht immer eine gute Medizin!
Ein weiterer Kritikpunkt aus Sicht der Freien Ärzteschaft ist die geplante
Ausweitung der Telemedizin, und dabei insbesondere die angedachte nahezu
„schrankenlose“ Idee von Videosprechstunden anstelle von persönlichen
Praxisbehandlungen. „Lauterbach will Videosprechstunden künftig populärer
machen, die ja durchaus in der Corona-Pandemie teils ihre Berechtigung hatten,
um einen Arzt zu kontaktieren“, kommentiert Dietrich Lauterbachs Pläne.
Inzwischen habe das Interesse daran patientenseitig aber nachweislich deutlich
nachgelassen, zumal Patienten während der Pandemie die Grenzen einer
telemedizinischen Beratung erfahren hätten, und nun wieder gern von Angesicht
zu Angesicht mit den Ärztinnen und Ärzten ihres Vertrauens sprächen.“Ärztliche
Fernbehandlung hat enge Grenzen – und sie ermöglicht in aller Regel nicht die
Versorgungsqualität und Patientensicherheit, die eine gute Medizin und die
ärztliche Sorgfaltspflicht erfordern. Diese Fakten werden aber einfach vom
Tisch gewischt und niemand hat uns Ärztinnen und Ärzte und die
Patientinnen/Patienten gefragt, was dahingehend überhaupt möglich ist und wo
Videosprechstunden Sinn machen und wo nicht“, kritisiert Dietrich das Vorgehen
des Gesundheitsministers. „Jedenfalls wird in weiten Bereichen der
Facharztstandard nicht erfüllt, weil Maßnahmen zur Befunderhebung wie
körperliche Untersuchungen, Abstriche oder Blutentnahmen nicht möglich sind.
Herr Lauterbach als Mediziner sollte das wissen – stattdessen redet er einer
Mangelmedizin das Wort!“

Erst mal die vorhandene Probleme angehen, statt neue zu schaffen
Dietrich weist in diesem Zusammenhang auch darauf hin, dass es aktuell
vordringlichere Probleme im Bereich der Gesundheitspolitik gebe, für die es
dringend Lösungsansätze bräuchte: die zunehmende Medikamentenknappheit, Mangel
an Behandlungszeit oder die steigenden Wartezeiten für Termine in
(fach)ärztlichen Praxen durch wachsenden Ärztemangel und die immer geringer
werdende Motivation im niedergelassenen Bereich aufgrund der verfehlten
Gesundheitspolitik der letzten Jahre. „Statt eine gute Versorgungsqualität
sicherzustellen und die sichtlichen und zunehmenden Versorgungsprobleme in den
Griff zu bekommen, geht es aktuell offenbar vorwiegend darum, eine schlecht
durchdachte Zwangsvernetzung durchzuboxen – und all das auf dem Rücken von
Erkrankten und deren Ärztinnen und Ärzten“, resümiert der Vorsitzende der
Freien Ärzteschaft.

Quelle: Freie Ärzteschaft, 24.06.2023

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