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FingerKIt: Vom Röntgenbild zum maßgeschneiderten Implantat mydrg.de





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FingerKIt: Vom Röntgenbild zum maßgeschneiderten Implantat

Mehr Beweglichkeit durch KI: Individualisierte Fingergelenksimplantate aus dem 3D-Drucker (Fraunhofer Gesellschaft).



Die Remobilisierung von Fingergelenken, die durch Erkrankungen oder
Verletzungen beeinträchtigt sind, ist ein Zukunftsmarkt der bedarfsgerechten
Versorgung von Patientinnen und Patienten. Das Konsortium »FingerKIt«, in dem
sich fünf Fraunhofer-Institute zusammengeschlossen haben, entwickelt
KI-erstellte, individualisierte Gelenksimplantate aus dem 3D-Drucker, um die
filigranen Fingerteile wenn nötig zu ersetzen.

Die FingerKIt-Implantate werden in speziellen 3D-Druck-Verfahren gefertigt,
welche hohe Detailgenauigkeit und unterschiedliche Oberflächenqualitäten
ermöglichen.
© Fraunhofer IAPT
Die FingerKIt-Implantate werden in speziellen 3D-Druck-Verfahren gefertigt,
welche hohe Detailgenauigkeit und unterschiedliche Oberflächenqualitäten
ermöglichen.
Volkskrankheit rheumatoide Arthritis: Auch stark gekrümmte Finger können mit
einem FingerKIt-Implantat optimal behandelt werden.
© iStock/WILLSIE
Volkskrankheit rheumatoide Arthritis: Auch stark gekrümmte Finger können mit
einem FingerKIt-Implantat optimal behandelt werden.
Ob durch einen Unfall beim Sport oder die Volkskrankheit rheumatoide Arthritis:
Wenn Fingergelenke unbeweglich werden, ist das eine gravierende Einschränkung
und physische und psychische Belastung – für bestimmte Berufsgruppen wie
Musiker, Chirurginnen oder Handwerker bedeutet es häufig sogar das
Karriereende. In Zukunft könnte eine Entwicklung der Fraunhofer-Einrichtung für
Additive Produktionstechnologien IAPT, des Fraunhofer-Instituts für Keramische
Technologien und Systeme IKTS, des Fraunhofer-Instituts für Toxikologie und
Experimentelle Medizin ITEM, des Fraunhofer-Instituts für Werkstoffmechanik IWM
und des Fraunhofer-Instituts für Digitale Medizin MEVIS dazu beitragen, dass
Finger mit zerstörten oder geschädigten Gelenken ihre Beweglichkeit
zurückerlangen.

Bisherige Therapie geschädigter Fingergelenke
Verliert heute ein Fingergelenk durch Unfall oder Erkrankung seine Funktion, so
sind die Behandlungsmethoden eingeschränkt: Meist wird eine Versteifung
durchgeführt, was Patientinnen und Patienten in ihrem Alltag aber stark
beeinträchtigt. Soll ein Implantat gesetzt werden, gibt es auf dem Markt
derzeit zwei Optionen: Silikonimplantate, die sich in vielen Fällen schnell
wieder lösen und durch einen erneuten Eingriff revidiert werden müssen, oder
einfach gearbeitete Standard-Implantate, die lediglich in bestimmten
Größenstufen angeboten werden und nicht alle Bewegungen ermöglichen. Eine
passgenaue Lösung, die nicht verrutscht und die vorherige Beweglichkeit
wiederherstellt – also ein individualisiertes Implantat – sollte daher das Ziel
der optimalen Versorgung von Patientinnen und Patienten sein.

Projekt FingerKIt: Viele Innovationen, ein zukunftsweisendes Produkt
Im Projekt FingerKIt haben fünf Fraunhofer-Institute nun ein Konzept
entwickelt, mit dem das gelingen könnte: In einer automatisierten Prozesskette
sollen individualisierte Fingergelenksimplantate aus metallischen oder
keramischen Werkstoffen schnell, sicher und zertifiziert hergestellt werden.
Dafür entwickelten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler am Fraunhofer
MEVIS zunächst eine KI-gestützte Software, die in der Lage ist, aus
zweidimensionalen Röntgenaufnahmen dreidimensionale Modelle der Fingerknochen
zu errechnen und eine potenzielle Fehlstellung der Finger zu korrigieren.
Anschließend leiten Forschende des Fraunhofer IAPT das individuelle
Implantatdesign anhand einer KI aus dem Fingermodell ab und setzen es im
3D-Druck um. Nachdem es gilt, sehr feine und filigrane Strukturen abzubilden,
arbeiten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bei der Fertigung mit
Metall-Binder-Jetting, also dem schichtweisen Aufbau der Teile, die in einem
nachfolgenden Schritt gesintert – d.h. verdichtet und gefestigt – werden. Am
Fraunhofer IKTS erfolgt die Fertigung der Implantate im
Near-Net-Shape-Manufacturing – ebenfalls ein Fertigungsverfahren, mit dem
Produkte möglichst nahe der gewünschten Endkontur entstehen, sodass nur wenige
Nachbesserungen erforderlich sind. Auch keramische Materialien kommen dank der
Expertise des Fraunhofer IKTS zum Einsatz. Diese werden im Schlickerguss –
einem speziellen Gipsform-Gussverfahren – verarbeitet. Um die Fragestellungen
zur biologischen Verträglichkeit und Zertifizierung der Implantate kümmert sich
das Fraunhofer ITEM, um die Simulation der mechanischen Belastungen das
Fraunhofer IWM.

Während der Arbeit im Projekt haben die Forschenden mehrere Innovationen
entwickelt: »Die KI-basierte Berechnung eines dreidimensionalen
Implantatdesigns aus 2D-Vorlagen wie Röntgenbildern ist völlig neuartig und
inzwischen zum Patent angemeldet«, verrät Dr. Arthur Seibel aus dem Bereich
Bauteil-Design am Fraunhofer IAPT. Sein Kollege Dr. Philipp Imgrund,
Abteilungsleiter Prozessqualifizierung am Fraunhofer IAPT, ergänzt: »Auch die
Prozesstechnik ist etwas Besonderes: Weil die Struktur des Implantat-Schafts
sehr filigran ist, haben wir als 3D-Druck-Verfahren das Metall-Binder-Jetting
für Titan eingesetzt. Das Verfahren ermöglicht die sehr präzise Fertigung der
kleinen, komplexen Implantate und erlaubt es gleichzeitig, die Oberfläche des
Schafts so zu strukturieren, dass dieser besser in den Knochen einwächst.
Weiterhin können wir so die Nachbearbeitung der Gelenkflächen minimieren, die
möglichst glatt und reibungsarm sein müssen.«

Ein neuer Standard für die Versorgung?
Die Ergebnisse des Projekts FingerKIt sind eine gute Nachricht für alle
Patientinnen und Patienten, denen bisher nicht zufriedenstellend geholfen
werden konnte. Durch die Fraunhofer-Innovationen könnten in Zukunft auch
komplizierte Fälle – stark gekrümmte Finger, fehlende Knochenteile, sehr kleine
Gelenke – sehr gut behandelt werden.

Die Individualanfertigung ist dank automatisierter Modellerstellung und
3D-Drucks zudem zeitsparend: Ersten Berechnungen der Forscher zufolge wäre es
möglich, bis zu 60 Prozent der üblicherweise benötigten Zeit von der
Feststellung des Bedarfs bis zum Einsetzen eines Implantats einzusparen. Eine
Versorgung ist so innerhalb von wenigen Tagen vorstellbar, was durch kürzere
Liegezeiten auch geringere Kosten in Krankenhäusern verursacht. Ein weiterer
Vorteil: Aufgrund der dem Original-Gelenk nachempfundenen Konstruktion wird
eine im Vergleich zu bisherigen Lösungen deutlich verbesserte Beweglichkeit
erreicht. Dr. Imgrund fasst zusammen: »Mit FingerKIt könnte sich die Behandlung
etwa der rheumatoiden Arthritis völlig verändern. Die Versorgung mit einem
individualisierten Implantat könnte zum Goldstandard werden.«

Wachstumsmarkt Fingergelenksimplantate
Laut Deutscher Gesellschaft für Rheumatologie leiden rund zwei Prozent der
erwachsenen Bevölkerung in Deutschland an entzündlich-rheumatischen
Erkrankungen – die meisten von ihnen möchten auch im fortgeschrittenen Alter
nicht auf eine gute Lebensqualität verzichten. Interessant ist die
Neuentwicklung auch für Patientinnen und Patienten, die durch Verletzungen
beeinträchtigt sind. Im Vergleich etwa zu Fuß- oder Sprunggelenksimplantaten
ist der Markt für die Remobilisierung von Fingergelenken noch deutlich
unterentwickelt. Die Experten schätzen, dass das Gesamtpotenzial im Jahr 2026
bei 5,8 Millionen Euro liegt.

Technologisch ist die Entwicklung innerhalb von FingerKIt inzwischen so weit
fortgeschritten, dass das Produkt gemeinsam mit einem Partner aus der
Medizintechnik zur Marktreife gebracht werden könnte: Die KI-basierte
Design-Erstellung und die Fertigung funktionieren; es existieren bereits
ausstellungsreife Implantate. Im nächsten Schritt soll der Weg zur Zulassung
beschritten werden. Dr. Imgrund: »Derzeit sind wir auf der Suche nach
Unternehmenspartnern, die uns mit ihrem Know-how helfen können, unsere
KI-erstellten Medizinprodukte auf den Markt zu bringen.«

Quelle: Fraunhofer Gesellschaft, 01.12.2022

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